Neuer Stürmer des 1. FC Köln „Arokodare ist schnell im Kopf und auf den Beinen“

Köln · Oliver Schlegl ist ein Kenner des Fußballs im baltischen Raum. Vor seiner aktuellen Tätigkeit als Spielerberater war er Chef der ersten Liga Lettlands. Tobias Carspecken sprach mit ihm über den Wechsel des nigerianischen Mittelstürmers Tolu Arokodare (19) vom lettischen Erstligisten Valmiera FC zum Bundesligisten 1. FC Köln.

  Selbstbewusste Pose:  Tolu Arokodare will beim 1. FC Köln die ersten Schritte zu einer großen Karriere machen.

Selbstbewusste Pose: Tolu Arokodare will beim 1. FC Köln die ersten Schritte zu einer großen Karriere machen.

Foto: 1. FC Köln

Herr Schlegl, heimlich, still und leise hat der 1. FC Köln die Verpflichtung von Tolu Arokodare eingefädelt. Waren Sie überrascht?

Ja und nein. Dass es für Tolu am Ende zum 1. FC Köln gehen würde, war nicht unbedingt abzusehen. Klar war aber, dass er in eine stärkere Liga wechseln wollte.

Gab es andere Interessenten?

Es gab mindestens zehn Vereine, die wirkliches Interesse an Tolu gezeigt haben. Am heißesten gehandelt wurde der RSC Anderlecht. Es gab aber auch deutsche Clubs. Im Alter von 17 Jahren hat Tolu Probetrainings beim SC Freiburg und FC Toulouse absolviert, die ihn als minderjährigen Spieler aber nicht registrieren konnten.

Anderlecht soll 1,5 Millionen Euro Ablöse geboten haben. Warum hat der Wechsel nicht geklappt?

Valmiera wollte mindestens zwei Millionen Euro haben.

Arokodare geriet dann in die Negativschlagzeilen.

Sein französischer Berater hat Tolu nahegelegt, bei einem Punktspiel nicht mitzuspielen. Das hat hier hohe Wellen geschlagen. So etwas gab es im kleinen Lettland noch nicht. Ein paar Tage später hat Tolu in der Qualifikation zur Europa League gegen Lech Posen wieder mitgespielt.

Wie haben Sie ihn als Menschen kennengelernt?

Ich habe Tolu mal auf lettischer Sprache begrüßt. Was mir sehr positiv aufgefallen ist: Er hat auf Lettisch geantwortet. Das ist sehr außergewöhnlich. Die meisten ausländischen Spieler, die hier spielen, lernen kein Lettisch. Lettland ist besonders für junge Afrikaner die erste europäische Station in ihrer Karriere, sie wollen das Land wieder verlassen. Tolu ist menschlich ein Stück reifer als gleichaltrige Afrikaner.

Was ist er für ein Spielertyp?

Er ist ein klassischer Neuner. Einer für den Strafraum, der mit 1,95 Metern Größe über eine enorme Physis verfügt. Er ist sehr kräftig gebaut, absolut nicht schlaksig. Zudem ist er schnell auf den Beinen und im Kopf. Das macht ihn zu einem Stürmer, der immer gefährlich ist, der immer auf seine Abschlusschance lauert.

Trauen Sie ihm zu, den Sprung in die Bundesliga zu packen?

Mittel- bis langfristig: ein klares Ja. Kurzfristig gesehen muss man abwarten, wie viel Zeit Tolu braucht, um sich in Deutschland zu akklimatisieren. Die Bundesliga verfügt über ein anderes Tempo, eine andere Intensität. Zu bedenken ist auch, dass das Umfeld in Köln ein ganz anderes ist. Medien finden im lettischen Fußball praktisch nicht statt. Hier gibt es nur eine Hand voll Journalisten, die über die erste Liga schreiben. Zudem hat Tolu in Valmiera selbst vor Corona vor nur einigen Hundert Leuten gespielt.

Besitzt Arokodare sogar die Qualität für eine ganz große Karriere?

Von seinen Anlagen her bringt er alles mit, um sich durchzusetzen. Wenn er sich in der Bundesliga zurechtfindet, ist ganz viel möglich. Tolu hat vor, irgendwann einmal in der Premier League zu spielen. Er erfüllt viele Voraussetzungen, um dieses Ziel erreichen zu können. Er hat keine Angst, ist durchsetzungs- und kopfballstark. Ein Spielertyp, der in England sehr beliebt ist.

Könnte Arokodares Wechsel nach Köln ein neues Geschäftsmodell in der lettischen Liga in Gang setzen?

Seit Ende 2019 müssen statt zuvor sechs nur noch drei lettische Spieler von jeder Mannschaft pro Spiel eingesetzt werden. Zudem gibt es keine Unterscheidung bei der Spielberechtigung zwischen EU-Ausländern und Nicht-EU-Ausländern. Agenten aus Afrika nutzen die lettische Liga für ihre jungen Spieler seither als erstes Schaufenster im europäischen Fußball. Für die lettischen Vereine ist das auf einmal ein richtig interessantes Geschäftsmodell geworden. Sie nehmen junge, afrikanische Spieler in großer Zahl auf, weil sie die Chance sehen, durch einen Weiterverkauf Ablösesummen zu generieren. Tolu ist für diese Geschäftsidee ein Aushängebeispiel. Er spielt seit einem guten Jahr in Lettland, schießt viele Tore – und geht direkt in die Fußball-Bundesliga. Das wird die Situation hier sicher anheizen.

In der laufenden Saison der Virsliga hat Arokodare mit 15 Treffern in 16 Ligaspielen geglänzt. Wie ist das Niveau des lettischen Fußballs einzustufen?

Es gibt zwei Vereine, Riga FC und Rigas FS, die vorneweg marschieren und über deutsches Drittliga-Niveau verfügen. Die meisten Clubs sind eher in der Regionalliga anzusiedeln.

Wie kann man sich den Ligabetrieb in Lettland vorstellen?

In den kleinen Städten hat der Fußball dörflichen Charakter. Deutsche Fans würden sich dort wie auf einer Bezirkssportanlage fühlen. Andere Vereine verfügen über Stadien.

Sie waren von 2017 bis 2018 Chef der Virsliga. Was waren Ihre Aufgaben?

Es ging darum, die Liga zu professionalisieren, gerade in den Bereichen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Das lettische Staatsfernsehen hatte beispielsweise kein Interesse, Spiele zu zeigen. Man musste nach Spartensendern suchen, die für Geld die Spiele übertragen.

Warum üben Sie den Posten nicht mehr aus?

Die Vereine waren nicht dazu bereit, große Schritte in Richtung Professionalisierung zu gehen. Manche Clubs verfügen über einen Etat von nur 250 000 Euro. Zudem sind die finanziellen und daher auch die sportlichen Unterschiede innerhalb der Liga sehr groß. Es gibt hier Spieler, die für 500 Euro im Monat spielen, andere bekommen 10 000 Euro ausgezahlt. Es fehlte auch die Manpower, um gewisse Dinge umzusetzen. Es ging nicht so voran, wie ich mir das vorgestellt habe. Das war ein Stück weit frustrierend.

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