Interview mit Leonardo Bittencourt „Der FC hat die Qualität, die Klasse zu halten“

Köln · Leonardo Bittencourt, ehemaliger Spieler des 1. FC Köln trägt beim SV Werder Bremen eine große Verantwortung. Vorn fühlt er sich am wohlsten

Interview mit Leonardo Bittencourt: „Der FC hat die Qualität, die Klasse zu halten“
Foto: dpa/Bernd Thissen

Fast hätte es Leonardo Bittencourt wieder erwischt. Nach seinem Abstieg mit dem 1. FC Köln aus der Fußball-Bundesliga vor zwei Jahren entging der Offensiv-Allrounder in der vergangenen Saison mit dem SV Werder Bremen nur haarscharf dem Gang in die Zweitklassigkeit. Vor dem Duell beider Clubs am Freitag (20.30 Uhr, Dazn) im Weserstadion unterhielt sich Tobias Carspecken mit dem 26-jährigen Deutsch-Brasilianer.

Herr Bittencourt, Sie sind im April zum zweiten Mal Vater geworden. Ist bei Ihnen daheim überhaupt etwas von einer Corona-Müdigkeit zu spüren?

Leonardo Bittencourt: (lacht) Sagen wir mal so: Langweilig wird uns nicht.

Wie sehr hilft Ihnen Ihre junge Familie dabei, sich über die Pandemie hinwegzutrösten?

Bittencourt: Wenn man nach Hause kommt und da eine Familie wartet, die dazu auch noch gesund ist, dann ist das einfach eine schöne Sache. In diesen Zeiten noch einmal mehr.

Werder Bremen hat Sie im Sommer für eine verankerte Ablösesumme von sieben Millionen Euro fest von der TSG Hoffenheim verpflichtet. Stellt eine solche Zahl gerade in der aktuellen Zeit eine Belastung für Sie dar?

Bittencourt: Es belastet mich überhaupt nicht. Ich hänge mir dieses Preisschild ja auch nicht selber um. Natürlich sind sieben Millionen Euro sehr viel Geld, gerade in der Corona-Krise. Vor Corona wäre diese Zahl aber wahrscheinlich eher kein so großes Thema gewesen. Zumal ich knapp 200 Bundesliga-Spiele auf dem Buckel habe, international gespielt habe und auf verschiedenen Positionen spielen kann.

Durch den Verkauf von Mittelfeldchef Davy Klaassen an Ajax Amsterdam sind Sie noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Spüren Sie eine gestiegene Erwartungshaltung?

Bittencourt: Wir haben mit Davy einen erfahrenen Mann verloren, der Verantwortung übernommen hat. Bei einem Kader mit vielen jungen Leuten rückt man als routinierter Spieler dann automatisch in die Position, noch mehr Verantwortung übertragen zu bekommen. Das erwartet der Trainer auch von mir. Ich versuche, den Jungs mit meiner Erfahrung zu helfen, verstelle mich dabei aber nicht.

In der vergangenen Saison mussten Sie bei Werder permanent Löcher stopfen. Wie schwierig war es, fast jede Position auf dem Feld mal bekleidet zu haben?

Bittencourt: Es war einerseits spannend, andererseits aber auch eine große Herausforderung. Schließlich ist Kontinuität nur dann möglich, wenn man regelmäßig auf der gleichen Position spielt und die Abläufe daher genau kennt. Obwohl ich wegen unseres großen Verletzungspechs fast jede Woche auf einer anderen Position zum Einsatz gekommen bin, denke ich, dass ich das gut hinbekommen habe.

Für diese Spielzeit ist Ihr Aufgabenbereich mit Trainer Florian Kohfeld dagegen klar abgesteckt. Sie sollen maximal zwischen der Acht und der Zehn pendeln oder mal im Angriff aushelfen. War das eine Bedingung Ihrerseits?

Bittencourt: Eine Bedingung von mir war das nicht. Wenn ich irgendwo helfen kann, dann mache ich das sehr gerne. Klar ist aber auch, dass es für mich und auch für die Mannschaft besser ist, wenn ich dort spiele, wo ich in all den Jahren gespielt habe. Das ist nun mal vorn, da fühle ich mich am wohlsten.

Ihr Bundesliga-Bestwert liegt bei fünf Toren, den Sie in der Saison 2017/18 beim 1. FC Köln aufgestellt haben. Haben Sie sich zum Ziel gesetzt, diese Marke nun zu überbieten?

Bittencourt: Mein Ansporn ist es, in jedem Spiel zu treffen. Darauf arbeite ich hin. Noch sind wir am Anfang der Saison. Ich hoffe, dass zu meinem aktuell einen Treffer noch ein paar Tore dazukommen werden. Und, klar, ich möchte diese Marke übertreffen.

Mit neun Punkten aus sechs Spielen rangiert Werder auf Platz neun. Stimmt Sie der Auftakt zufrieden?

Bittencourt: Wir sind damit sehr zufrieden. Jetzt haben wir ein Heimspiel, das wir gewinnen wollen. Wenn uns das gelingt, stehen wir sehr gut da. Wichtig ist, dass wir ein gewisses Polster nach unten aufbauen, um wieder den selbstbewussten Fußball spielen zu können, den wir schon in der Vergangenheit gezeigt haben. Wir haben eine junge, wilde Mannschaft. Es gibt bei uns viele junge Spieler, die wissbegierig sind und den unbedingten Willen haben, sich in der Bundesliga festzubeißen. Das ist eine total spannende Aufgabe.

Werder hat sich in der vergangenen Saison erst in der Relegation gegen den 1. FC Heidenheim vor dem Abstieg retten können. Warum bleibt Ihrem Club eine abermalige Horrorsaison erspart?

Bittencourt: Wir haben aus dem, was schiefgelaufen ist, gelernt. Unser Teamgefüge ist durch die Erlebnisse der vergangenen Saison enorm zusammengewachsen. Es macht momentan sehr viel Spaß, auch wenn wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen. Das ist ein Prozess, der sich zieht. Wir werden Zeit brauchen und auch mal Rückschläge einstecken müssen.

Welche Parallelen haben Sie zu Ihrer Abstiegssaison mit dem 1. FC Köln festgestellt?

Bittencourt: Das Verletzungspech war bei beiden Mannschaften riesig. In Köln hatten wir damals auch noch die Doppelbelastung mit Europa. Wenn zwölf, 13 Spieler gleichzeitig verletzt sind, dann kann das keine Mannschaft der Welt kompensieren.

Bremen ist bereits Ihre sechste Saison im Profibereich. Hatten Sie zwischenzeitlich Bammel, schon wieder umziehen zu müssen?

Bittencourt: (lacht) Ja, den hatte ich tatsächlich. Ich bin schließlich mit dem Ziel hierhergekommen, länger zu bleiben, und fühle mich bei Werder auch sehr wohl. Der Verein ist sehr familiär geprägt. Dann standen wir aber unten drin – und ich wusste, dass ich nur ausgeliehen bin. Es hat mich daher umso mehr gefreut, dass wir noch die Kurve bekommen haben.

Ihr Ex-Club Köln wartet saisonübergreifend seit nun schon 16 Spielen auf einen Sieg. Wie bewerten Sie die Lage beim FC?

Bittencourt: Für mich ist das aus der Distanz schwierig zu beurteilen. Zumal ich nicht mehr so viel Kontakt nach Köln habe. Zu Marco Höger und Jonas Hector schon noch. Thomas Kessler, mit dem ich mich sehr häufig austausche, hat jedoch seine Karriere beendet. Manche Clubs kommen mit dem Lockdown besser klar, andere weniger. Ich denke aber schon, dass der FC die Qualität besitzt, die Klasse zu halten.

 Wie erwarten Sie die Kölner am Freitag – auch im Hinblick auf das 1:6-Debakel, das der FC am letzten Bundesliga-Spieltag 2019/20 kassiert hat?

Bittencourt: Das kann man nicht miteinander vergleichen, weil es für beide Mannschaften eine komplett andere Situation ist. Der FC hat ein gutes Spiel gegen Bayern München gemacht und wird die positiven Dinge mitnehmen wollen. Es ist die letzte Partie vor der Länderspiel-Unterbrechung, beide Teams werden sich mit einem guten Gefühl in die Pause verabschieden wollen. Es wird ein spannendes Spiel.

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