Trainer, Tränen, viele Treffer So verlief das Jahr 2021 beim 1. FC Köln - Teil II
Köln · Nach der Zitterpartie in der vergangenen Saison wirkt der 1. FC Köln in der Hinrunde der neuen Spielzeit wie ausgewechselt. Das Jahr 2021 war aber insgesamt alles andere als erfolgreich. In unserem zweiten Teil des Jahresrückblicks schauen wir auf den neuen Trainer und die Erfolgsgeschichte, die ihn mit Anthony Modeste verbindet.
Der Blick spricht Bände. Für diesen einen kleinen Moment muss man Angst haben. Angst um Anthony Modeste. Dem Franzosen ist der Ernst der Lage nicht bewusst. In seinem Karnevalstrikot steht der Hüne vor Steffen Baumgart und wackelt tänzerisch mit den Hüften. Auf dem Kopf: eine Schiebermütze. Baumgarts Schiebermütze. Der kantige Trainer ist alles andere als „amused“. „Weiter“, schreit Baumgart seinen Torjäger an, nachdem dieser dem Coach die Mütze durchs Gesicht gezogen und dann lieblos aufgesetzt hat.
Modeste hat gerade das 2:2 gegen Union Berlin erzielt. Ein spätes Tor. Ein Tor, das ein Unentschieden zu einem gefühlten Sieg verwandeln könnte. Doch das tut es nicht. Zumindest nicht bei Baumgart. Der Trainer will gewinnen. Immer. Selbst wenn der Torjäger erst in der Schlussphase den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleichstreffer erzielt. Nur wenige Minuten später liegen sich die beiden Tanzfreunde dann doch in den Armen. Vereint. Baumgart und Modeste sind die prägenden Gesichter der Kölner Hinrunde, der zweiten Jahreshälfte des FC, das andere Gesicht der Geißböcke. Nach der Zitterpartie um den Klassenerhalt in der vergangenen Spielzeit stehen die beiden für den Umbruch, den es in Köln im Sommer gegeben hat.
„Spürbar anders“ steht mit roten Lettern auf der weißen Wand, vor der Steffen Baumgart an jenen Tagen im Juli abgelichtet wird. Der Name ist Programm. Seit der Ankunft von Baumgart weht beim 1. FC Köln ein anderer Wind. Die Stimmung ist anders, spürbar anders. Man merkt, dass sich in Köln gerade etwas bewegt. Baumgart lässt keinen Zweifel an der Veränderung.
„Wir reden immer vom Klassenerhalt. Aber wer mich kennt weiß, dass ich mehr möchte“, sagt der Coach auf seiner ersten Pressekonferenz für den 1. FC Köln. „Ich denke offensiv und ich hoffe, dass wir in unserem Stadion diese Saison das eine oder andere Mal die Tormusik hören werden. Wir wollen Tore schießen, auch mit dem Risiko, hinten eins mehr zu bekommen.“ Floskeln, die man im Fußball schon oft gehört hat. Doch offenbar Floskeln, die man in Köln hören will. Der Trainer kommt an, ist vom ersten Tag an ein Publikumsliebling. Gerade nach der Hängepartie der Vorsaison wollen die Fans Fußballfeste erleben und die verspricht der Trainer.
Grundlagen werden im Trainingslager geschaffen
Auch auf dem Trainingsplatz weht ein anderer Wind. Schlager zum Warmlaufen. Das mag der Trainer. „Das war auch für mich neu. In der Kabine läuft schon mal motivierende Musik, aber das war eine neue Erfahrung“, beschreibt Keeper Timo Horn das Novum. Der Trainer ist laut, gibt klare Anweisungen, ist direkt, dennoch der Kumpel-Typ. Die Spieler vertrauen Baumgart – ein grundlegendes Element des Baumgartschen Systems.

Das Jahr 2021 des 1. FC Köln in Bildern - Teil II
Doch der Trainer hat einen Vorteil. Das Gesicht der Geißböcke hat sich nicht komplett verändert. Fünf Neuzugänge haben die Kölner mit Timo Hübers, Luca Kilian, Dejan Ljubicic, Marvin Schwäbe und Mark Uth zu vermelden. Abgänge gibt es zahlreiche. Vor allem die Leihspieler kehren zu ihren Clubs zurück. Sebastiaan Bornauw ist der größte Verlust. Der Belgier fährt nicht mehr mit ins Trainingslager nach Donaueschingen, schließt sich kurz zuvor dem VfL Wolfsburg an.
Auch im Sommercamp ist die Veränderung des Trainers zu spüren. Er macht seine Witze mit den Spielern, sucht aber auch immer wieder das Gespräch, das verbindet. So legt er die Basis für eine erfolgreiche Saison. Vertrauen heißt das Erfolgsrezept. Die Testspiele sind wenig aussagekräftig, auch der 3:2-Erfolg über eine C-Mannschaft der Bayern nicht. Doch die Baumgartsche Spielidee ist schon da erkennbar. Er will offensiv spielen, den Gegner früh unter Druck setzen, nimmt dafür Gegentore in Kauf.
Baumgart macht die Spieler besser
Der Systemwechsel funktioniert, Baumgarts Taktik geht auf. Doch die eigentliche Qualität des Trainers liegt an anderer Stelle. Das hat auch schon Horst Heldt erkannt, der Baumgart im Mai Richtung Köln lotste. „Er hat bewiesen, dass er Spieler, egal welchen Alters, weiterentwickeln und besser machen kann“, sagte der damalige Sportdirektor. „Damit ist er der richtige Mann für den Weg, den wir in den nächsten Jahren gehen müssen.“
In der Tat verbessert Baumgart einige seiner Spieler. Egal welchen Alters. Den 23-jährigen Salih Özcan genauso wie den 33-jährigen Modeste. Der Kölner Stürmer trifft im ersten Saisonspiel beim 3:1-Erfolg gegen die Hertha. Dann am zweiten Spieltag beim 2:3 gegen die Bayern, am vierten beim 1:1 gegen Freiburg und am fünften beim 1:1 gegen Leipzig. Modeste funktioniert wieder, ist bei alter Stärke und... zu Tränen gerührt.

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Es ist der 18. September. An diesem Tag wäre Modestes Vater 67 Jahre alt geworden. Doch Guy Modeste verstarb im Dezember 2018. „Das sind so viele Emotionen für mich“, sagte der Franzose nach dem Spiel gegen Leipzig im TV-Interview und konnte die Tränen erneut nicht verbergen. „Ich habe meinen Papa vor drei Jahren verloren und das Tor heute ist sehr wichtig für mich.“ Es ist der emotionale Höhepunkt eines verrückten Spiels. Vier Tore hat Felix Brych zurückgepfiffen. Das zweite Tor von Modeste zählt. Der FC erkämpft sich einen Punkt.
Köln mit guter Ausgangslage
Nach dem siebten Spieltag steht Köln mit zwölf Punkten da. Es ist ein fulminanter Start, der die ganze Stadt in Euphorie versetzt. Köln träumt von Europa, einige Fans von Baumgart als Kanzler. Doch die Freude erlebt einen herben Dämpfer. Das 0:5 in Hoffenheim offenbart schonungslos die Schwächen im Baumgartschen System. Die TSG findet den Schlüssel gegen die „hohe Intensität“, das aggressive Anlaufen. Selbstkritisch geht der FC in das Spiel gegen Leverkusen.
Es ist vielleicht das Schlüsselspiel der Hinrunde. Denn auch gegen Bayer offenbart Köln wieder erschreckende Schwächen im defensiven Umschaltspiel. Nach 17 Minuten liegt Bayer 2:0 in Führung. Gegen die schnellen Konter findet Köln kein Mittel. Im Gegenteil: es sind die schlecht zu Ende gespielten Angriffe der Werkself, die Köln im Spiel halten. Ein weiteres Debakel liegt lange Zeit in der Luft. Im zweiten Durchgang zeigt Köln eine weitere Stärke, die den Club unter Baumgart ausmacht: Comeback-Qualitäten. Anthony Modeste erzielt seinen ersten Doppelpack der Saison.
Zwei Wochen später wiederholt der wiedererstarkte Goalgetter dieses Kunststück gegen Union Berlin. Wieder ein Doppelpack, wieder 2:2. Der Mützenklau, die Tanzeinlage – doch damit ist Baumgart nicht zufrieden. Der Trainer will wieder dreifach punkten. Fünf Spiele in Folge gelingt dem FC kein Sieg. Ausgerechnet bis zum Derby gegen Borussia Mönchengladbach. Vorerst zum letzten Mal feiern 50 000 Menschen im Kölner Stadion ein Fußballfest. Eins, das der FC 4:1 gegen den Rivalen gewinnt. Auch, weil der bislang kriselnde Sturm neben Modeste endlich trifft.
Nach einer kleinen sportlichen Durstsrecke mit einem glücklichen Punkt gegen Bielefeld und einer Niederlage gegen Augsburg, ist er wieder da: Modeste. Der Kölner Stürmer trifft doppelt beim 3:2 gegen Wolfsburg und auch beim 1:0 über Stuttgart. Damit beendet der FC zum Hinrundenfinale zwei anhaltende Serien. Bis zum Erfolg in Wolfsburg hatte Köln kein Auswärtsspiel gewonnen, bis zum 1:0 gegen Stuttgart waren die Geißböcke in der Liga nicht ohne Gegentor geblieben. Ein Freudentänzchen gab es von Modeste dafür nicht. Aber Tränen. Den Siegtreffer gegen Stuttgart erzielt der Franzose am Todestag seines Vaters.
Für den FC stehen am Ende der Hinrunde 25 Punkte, der achte Tabellenplatz und ein Umbruch bei den Verantwortlichen. Christian Keller wird neuer Sportdirektor ab April, Alexander Wehrle wird den FC spätestens im April verlassen. Philipp Türoff steigt zum 1. Januar als neuer kaufmännischer Geschäftsführer ein. Sportlich stellt sich am Ende des Jahres die Frage, ob sich Modeste bei Baumgart für die wiedererlangten Torfähigkeiten oder der Trainer bei seinem Stürmer für die Erfolgsgeschichte und 25 Punkte bedanken muss.