Interview mit Toni Schumacher "Ich habe einen hohen Preis bezahlt"

KÖLN · Das Geißbockheim ist wieder sein zweites Zuhause. Harald „Toni“ Schumacher, früherer Weltklasse-Torhüter des 1. FC Köln und der Nationalmannschaft, hat als Vizepräsident mit dazu beigetragen, dass der 1. FC Köln nach turbulenten Jahren und fünf Abstiegen auf einem guten Weg ist, wieder eine feste Größe in der Bundesliga zu werden. Mit dem 61-Jährigen sprachen Joachim Schmidt und Hartmut Eickenberg.

 Endlich das Fahrstuhl-Image ablegen und in der Bundesliga etablieren: Das wünscht Toni Schumacher sich für den FC.

Endlich das Fahrstuhl-Image ablegen und in der Bundesliga etablieren: Das wünscht Toni Schumacher sich für den FC.

Foto: Wolfgang Henry

Herr Schumacher, gibt es eigentlich noch irgendjemanden,der Sie Harald nennt?
Toni Schumacher:
Nein, da fällt mir keiner ein. Doch –Rüdiger Schmitz, mein ehemaliger Manager. Aber sonst niemand. Wenn heute aufder Tribüne jemand 'Harald' in meine Richtung rufen würde, würde ich gar nichtreagieren.

Als Harald Schumacher sind Sie vor mehr als 40 Jahren alsTorhüter von Schwarz-Weiß Düren zum 1. FC Köln gekommen, als Toni wurden Sieeine Kölner Legende.
Schumacher:
Schon am ersten Trainingstag wurde mein neuerName ins Leben gerufen. Wir hatten bereits einen Harald in der Mannschaft –Harald Konopka. Da hat der Heinz Simmet gesagt: Das geht nicht. Ab heute bis duder Tünn, in Anlehnung an Toni Schumacher, den FC-Torhüter aus den60-er-Jahren. Er war das Original, ich die Kopie. Dass ich tatsächlich mit zweitemVornamen Anton heiße, wusste damals keiner.

Wie war der erste Tag?
Schumacher:
Aufregend. Ich habe mir davor tagelang den Kopfzerbrochen: Wir begrüße ich die anderen? Ich kam aus einem kleinen Verein, hierbeim FC spielten reihenweise Nationalspieler. Sage ich Herr Overath, HerrSimmet, Herr Thielen? Wissen Sie, was ich gemacht habe? Ich bin so früh nachKöln gefahren, dass ich als Erster am Geißbockheim war. So mussten die anderenmich begrüßen.

Warum der FC und nicht Alemannia Aachen oderMönchengladbach?
Schumacher:
Das habe ich meiner Mutter zu verdanken. Siesagte zu mir: Geh' nach Köln, das ist ein feiner Verein.

Hat der feine Verein den Torhüter-Lehrling gut bezahlt?
Schumacher:
1200 Mark brutto. Das war gutes Geld für einen18-Jährigen. Mein Vater verdiente damals vielleicht 180, 200 Mark die Woche.

Die heutigen Gehälter sind im Vergleich dazu surreal.
Schumacher:
Stimmt. Dafür hatten wir mehr Spaß. Wir sindbeispielsweise vom Spiel aus Braunschweig gekommen, dann zusammen vomGeißbockheim in Trainingsklamotten in die Stadt gefahren und standen aberpflichtbewusst am nächsten Morgen komplett um zehn Uhr auf dem Trainingsplatz.Das kannst du heute gar nicht mehr machen. Das wäre innerhalb von Augenblickenauf Facebook oder Twitter zu sehen. Der Profi von heute ist ja fast gläsern.

Und wirkt glattgeschliffen. Sterben die unbequemen Typenwie einst Breitner, Effenberg oder auch Schumacher aus?
Schumacher:
Man lässt sie vielleicht auchnicht mehr sich entwickeln. Jeder hat heute einen Berater, wird geschult,wie er mit den Medien umzugehen hat. Jedes Wort wird in der Öffentlichkeitseziert. Es traut sich kaum noch ein Spieler, spontan zu sein.

Mit Timo Horn hat der 1. FC Köln in der guten Traditionder Schumachers und Illgners wieder einen vielversprechenden Torhüter. Wo sehenSie ihn im deutschen Ranking?
Schumacher:
Wir haben mit Manuel Neuer eine Nummer 1, dieaus jetziger Sicht auf Jahre unantastbar ist. Aber Timo gehört zu den jungenWilden, die irgendwann ihre Chance in der Nationalmannschaft bekommen werden.

Was fehlt ihm?
Schumacher:
Erfahrung. Die kann man sich nicht anlesen. Eswird spannend sein zu sehen, wie er reagiert, wenn er mal entscheidende Fehlergemacht hat und die Leute nicht kommen und ihm auf die Schulter klopfen. Wenner dann so reagiert, wie ich es erwarte und ihm zutraue, wird er ein Großer.

Wie?
Schumacher:
Abhaken, die kalte Schnauze zeigen und beimnächsten Mal wieder Topleistung zeigen.

Wo schlummert bei ihm weiteres Potenzial?
Schumacher:
Er müsste sich auf dem Platz noch mehr Gehörverschaffen. Die Kommunikation mit den Vorderleuten ist wichtig. Was ich mitdem Mund vorher regeln kann, muss ich nachher nicht mit Paraden ausbügeln. Aberwenn wir so wenig Sorgen auf anderen Positionen hätten, wären wir glücklich.

Er hat seinen Vertrag bis 2019 verlängert. Wie viel istdas Papier wert, wenn ein Millionenangebot kommt.
Schumacher:
Wir sind durch unsere Verbindlichkeiten auch einstückweit fremdgesteuert. Wenn ein Riesenangebot kommen sollte, können wirnicht kategorisch nein sagen. Wenn du keine Verbindlichkeiten hast, hast duauch keine finanzielle Schmerzgrenze. Wir haben eine. Aber wir arbeiten daran,dass wir irgendwann keine mehr haben.

Das Thema Doping im Fußball ist aktueller denn je.Stuttgart und Freiburg stehen am Pranger. Fühlen Sie sich fast 30 Jahre nachIhren Enthüllungen bestätigt.
Schumacher:
Dazu möchte ich heute eigentlich gar nichts mehrsagen. Ich habe damals das Buch geschrieben und darin die Wahrheit gesagt,Punkt, Aus.

Waren Sie nicht überrascht von der Härte der Reaktion:Rausschmiss in Köln und aus der Nationalmannschaft?
Schumacher:
Ihr vielleicht nicht? Es wurde einer bestraft,der die Wahrheit gesagt hat. Kennen Sie den Spruch: ‚Ich liebe den Verrat, aberhasse den Verräter?‘ So erging es mir. Der Preis war sehr hoch, und ich habeihn bezahlt. Und kurz darauf führt der DFB dann die Dopingkontrollen ein.Natürlich unabhängig von meinem Buch, klar.

Waren Sie selbst bei Dr. Klümper in Freiburg inBehandlung?
Schumacher:
Ja. Ich hatte eine sehr körperbetonteSpielweise, ich bin sechs Mal am Knie operiert worden, ich habe bis auf dieDaumen alle Finger gebrochen. Wenn ich Schmerzen hatte, fuhr ich hin, und erhat mir schmerzstillende Spritzen gegeben. Für mich war wichtig, dass ichwieder spielen konnte. Das ist alles in meinem Buch nachzulesen.

Wird heute noch in der Bundesliga gedopt?
Schumacher:
Nein, das glaube ich nicht.

Befindet sich der FC sportlich Ihrer Meinung nach imSoll?
Schumacher:
Total im Soll. Allerdings gab es Spiele, indenen keiner von uns die Punkte auf dem Zettel stehen hatte, die wir danngewonnen haben: Hoffenheim oder Schalke zum Beispiel. Andererseits haben wirnatürlich auch Punkte liegenlassen, mit denen wir fest gerechnet hatten. Vondaher hält es sich unterm Strich die Waage.

Es gab aber Phasen, in denen ein Rückfall in der Tabelledrohte.
Schumacher:
Ich finde, unsere Mannschaft hat das guthinbekommen. Immer dann, wenn sie in eine negative Spirale zu rutschen drohte,hat sie positive Ausrufezeichen gesetzt. Das war zuletzt gegen Frankfurt derFall. Ich meine, ich hätte beim Schlusspfiff 45.000 Steine von 45.000 Herzenfallen hören. Da hat man wieder gesehen, dass wir uns auf unsere Jungs unddiejenigen, die für sie verantwortlich sind, verlassen können.

Was sagt das über die Mannschaft aus?
Schumacher:
Zwei Dinge vorweg: Wir haben den zweitkleinstenEtat und die zweitjüngste Mannschaft der Liga. Damit so dazustehen, ist ausmeiner Sicht eine tolle Leistung. Wir haben keine herausragenden Einzelkönner,sondern die Mannschaft ist der Star. Das ist ein verschworener Haufen. DieMischung stimmt einfach. Und mit dem Peter Stöger haben wir einen unaufgeregtenTrainer, der einen guten Zugang zu seinen Spielern besitzt.

Was würde denn ein sechster Abstieg bedeuten?
Schumacher:
Fast bei jeder unserer gemeinsamen Sitzungen vonVorstand und Geschäftsführung weist Alexander Wehrle, der als Geschäftsführereinen phantastischen Job macht, auf ein solches Szenario hin. Das heißt, wirbeschäftigen uns damit: Er, was das Finanzielle, und Jörg Schmadtke was dasSportliche anbelangt. Beide sagen, wir würden einen erneuten Abstieg verkraftenkönnen. Aber ich will es wirklich nicht darauf ankommen lassen. Denn für michgibt es nur eins: FC-Spiele samstags um halb vier. Ich kann mich einfach nichtmit dem Gedanken an die Zweite Liga anfreunden. Das ist nicht arrogant, sondernich kenne es nicht anders aus meiner Karriere.

Sie wissen aber aus eigener Erfahrung, wie sich eineMeisterschaft anfühlt. Ist das in Köln noch einmal möglich?
Schumacher: Für mich ist es nicht absehbar. Das steht aberauch nicht auf unserem Zettel. Wir wollen uns in der Bundesliga etablieren:Jetzt ist das Ziel Platz 15. Wobei ich im Vorfeld gesagt habe, den hätte ichgerne im Februar. Warum? Dann könnten wir schon konkret die Personalplanung fürdie nächste Saison beginnen. Und nächstes Jahr ist dann Platz 14 das Ziel.

So kleine Schritte?
Schumacher:
Ja, wir sind ja auch nicht in nur zwei Jahren indie Misere hineingeraten. Seit 17 Jahren geht es rauf und runter mit dem FC.Davon kann man sich nicht innerhalb einer kurzen Zeit erholen undrehabilitieren.

Neben sportlichen Schlagzeilen ist der FC auch wiederdurch Gewalttätigkeiten sogenannter Fans ins Gerede gekommen. Andererseits hatman den Eindruck, dass der Verein sich in der Bundesliga zu einem Vorreiter imKampf gegen die Gewalt entwickelt.
Schumacher:
Das sind wir! Das wird bei den verantwortlichenStellen auch gesehen und anerkannt. Das ist ein großer Verdienst von WernerSpinner. Deshalb hat es mich sehr getroffen, als er in Duisburg beim Pokalspielin die Fankurve ging um einige Leute zu beruhigen, und die nichts besseres zutun hatten, als Bengalos anzuzünden, nachdem er sich umgedreht hatte. Leiderist es Fakt, dass man nicht alle erreicht. Wir hoffen, es lässt sich künftigetwas durch entsprechende Gerichtsurteile, die uns Handlungsspielraum geben,ändern, denn alleine bekommen wir es als Verein nicht hin.

Bekommt der 1. FC Köln denn ein anderes Problem in denGriff, die teils völlig veraltete Infrastruktur? Oder provokant gefragt: Istdas Geißbockheim noch zeitgemäß?
Schumacher:
Der Standort wird immer zeitgemäß bleiben. Somanche Einrichtung wie die Kabinen, in denen sich schon ganzeSpielergenerationen umgezogen haben, ist sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Dawerden wir kreativ sein, um das zu modernisieren. Aber das Geißbockheim istunsere Heimat, unser Zuhause. Hee sin mer, un hee blieve mer.

Zur Person

Aufrichtig, geradeheraus, aber auch umstritten und unbequem: Harald "Toni" Schumacher hat in seiner Karriere Höhen und Tiefen erlebt. Von 1972 bis zu seinen Doping-Enthüllungen 1987 spielte er für den 1. FC Köln. Er war Meister mit dem FC (1978), dreimal Pokalsieger, wurde Europameister mit der Nationalmannschaft (1980) und Vize-Weltmeister (1986).

Sein brutales Einsteigen gegen den Franzosen Patrick Battiston bei der WM 1982 in Spanien brachte ganz Frankreich gegen ihn auf. Nach seinem Rauswurf in Köln spielte er für Schalke 04 (1987/88), Fenerbahce Istanbul (1988-91), den FC Bayern (1991/92) und Borussia Dortmund (1995/96). Sein letztes Spiel bestritt er 1996 mit 42 Jahren für den BVB.

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