100 Jahre „Kicker“ Ärger gibt es nur bei den Noten

Bonn. · Seit 100 Jahren steht der „Kicker“ für seriöse Fußball-Berichterstattung. Sein Erfinder war ein Pionier des Sports in Deutschland. Ein Blick zurück.

 Stolz präsentiert Bayern-Stürmer Robert Lewandowski die Torjägerkanone. Seit 1965 lobt der „Kicker“ die Trophäe aus.

Stolz präsentiert Bayern-Stürmer Robert Lewandowski die Torjägerkanone. Seit 1965 lobt der „Kicker“ die Trophäe aus.

Foto: dpa/Kai Pfaffenbach

Den Anfang machte ein wahrer Pionier des deutschen Fußballs. Einer, der sich bereits in den 1890er Jahren die Verbreitung des neuen Sports aus England auf die Fahne geschrieben hatte. Walther Bensemann missionierte, versuchte Vorurteile gegen diese „englische Krankheit“ abzubauen, war an der Gründung zahlreicher Vereine (darunter auch des FC Bayern München) beteiligt, organisierte 1899 das erste – nicht offizielle – Länderspiel einer deutschen Auswahl gegen England und gehörte gar zu den Gründervätern des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Und doch steht sein Name vor allem für ein Projekt, eine kleine Fußballzeitschrift, die Bensemann am 14. Juli 1920 erstmals als Herausgeber auf den Markt brachte: den „Kicker“.

100 Jahre später ist das anfangs nur 20 Seiten starke Heft noch immer das führende Fachmagazin für Fußball in Deutschland. Bei Fans, Spielern und Clubmanagern gleichermaßen beliebt, steht der „Kicker“ seit einem Jahrhundert für geradlinige Sportberichterstattung – schnörkellos, sachlich, kein bisschen reißerisch oder boulevardesk, aber auch ein wenig altbacken und konservativ. „Beim ,Kicker’ ist der Fußball im Zentrum. Und es ist ihnen ziemlich wurscht, ob ein Spieler ein goldenes Kalbssteak gegessen hat oder nicht“, hat der einstige Bayern-Präsident Uli Hoeneß einmal gesagt.

Flucht vor den Nazis

Beim „Kicker“ geht es nur um den Sport. Statistiken, Spielberichte und seriöse Nachrichten zu Clubs und Spielern sind wichtiger als Skandale und Gerüchte. Ein Ansatz, den schon Bensemann in seinen 13 Jahren als Herausgeber pflegte – bis er 1933 als Spross einer jüdischen Bankiersfamilie aus Berlin vor den Nazis in die Schweiz fliehen musste. In den folgenden Jahren verkam das Heft unter Bensemanns Nachfolger Hanns Jakob Müllenbach jedoch zum Propaganda-Blatt der Nationalsozialisten und wurde schließlich 1944 kriegsbedingt eingestellt.

Im November 1946 startete der neu gegründete Olympia-Verlag in Nürnberg mit der Zeitschrift „Sport“, fünf Jahre später ging der „Kicker“ in München wieder in Produktion. Lange kämpften beide Hefte um den deutschen Fußballmarkt, bis sie 1968 unter dem altbekannten Namen fusionierten. Bereits 15 Jahre zuvor war das einstige Wochenmagazin auf zwei Ausgaben pro Woche erweitert worden – montags mit grünem, donnerstags mit rotem Cover.

Schon früh taten sich die Redakteure des Hauses mit innovativen Ideen hervor, die das Heft bis heute prägen. 1956 etwa wurde erstmals die „Rangliste der deutschen Spieler“ erstellt. Es war der „Versuch einer objektiven Beurteilung unserer Spieler, frei von lokalpatriotischen Verpflichtungen“, wie es damals im Vorwort hieß. Seitdem werden zweimal jährlich alle Bundesliga-Spieler bewertet. Rekordmann ist natürlich Franz Beckenbauer, der 27-mal das Prädikat „weltklasse“ erhielt.

Immer Ärger mit den Noten

Später kamen die Wahl zum „Fußballer des Jahres“, die Bundesliga-Stecktabelle oder die Torjägerkanone hinzu. Nicht wegzudenken ist auch das Bundesliga-Sonderheft zum Saisonstart, oft als die „Fußball-Bibel“ bezeichnet. Und dann sind da noch Noten. Keine andere Zeitung in Deutschland wird so für ihre Benotung der Spielerleistungen beachtet wie der „Kicker“. Mitunter kommt es deswegen auch zu grotesken Situationen. Wie die unter Journalisten gerne erzählte Anekdote um Michael Ballack. Der Ex-Kapitän der Nationalmannschaft soll einst so wütend über eine Note gewesen sein, dass er monatelang nicht mehr mit dem Fachmagazin sprach – er hatte eine Vier bekommen.

Wie praktisch alle Printprodukte ist auch beim „Kicker“ in den vergangenen drei Jahrzehnten die Auflage stark eingebrochen. Mit je rund 110.000 Heften am Montag und Donnerstag wird nur noch etwa ein Drittel der Zeitschriften wie zu Hochzeiten verkauft. Dafür hat sich das Magazin im Internet etabliert. Mit rund 2,5 Millionen täglichen Nutzern gehört es zu den zehn reichweitenstärksten Onlinemedien in Deutschland. Der 1997 gestartete Internetauftritt und die App sind längst wichtiger geworden als das Magazin selbst. „Etwa zwei Drittel der Erlöse stammen aus dem Digitalen“, berichtet Chefredakteur Jörg Jakob.

Sein großer Vorgänger Walther Bensemann wäre stolz, wenn er die Entwicklung heute betrachten könnte. Die des Fußballs zum Lieblingssport der Deutschen. Und die des „Kicker“ zum immer noch wichtigsten Fußballmagazin der Republik.

(mit Material von dpa)
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