Abenteuertrip zur Europameisterschaft Bonner Jungs fahren nach Polen und in die Ukraine

BONN · Was passiert wenn ein trinkfester Pole, ein risikofreudiger Pokerprofi, ein autoversessener Ingenieur und ein Länderspiel-erprobter Brauer gemeinsam abends einen trinken gehen? Am nächsten Tag sind sie verkatert und haben, so wie diese vier Bonner Jungs, ein festes Ziel vor Augen: Ab nach Polen und in die Ukraine zur Europameisterschaft!

Wenn nun außerdem, wie in diesem Fall, eine alte Oma ins Spiel kommt und ihrem Enkel einen Mercedes Benz 190 E, Baujahr 1983. zur freien Verfügung stellt, dann wird die ganze Sache erst richtig interessant.

"Erst wollten wir fliegen", erzählt Lukas Liebersbach (27), dessen polnische Wurzeln sicher Anreiz gaben, zur EM zu fahren, "doch dann haben wir gesagt, dass wir es richtig machen müssen". Nach anfänglichen Planungen, einen Kleinbus zu organisieren, entschloss sich Christian Friedrich (27), der gerade sein Studium in Maastricht beendet hat und leidenschaftlich Poker spielt, den von seiner Oma vermachten Mercedes für den EM-Trip zu nutzen. "Ich wollte mir sowieso einen neuen Wagen kaufen, den Mercedes fahren wir jetzt einfach, bis er auseinander fällt", erzählt er. Und die Chancen dazu stehen in Anbetracht der Reiseroute gar nicht mal so schlecht.

Gestartet wird heute Nacht um 24 Uhr in Bonn. Von hier aus geht es direkt nach Kalush in die Westukraine, 130 Kilometer von Lemberg entfernt, wo die deutsche Fußballnationalmannschaft am Sonntag ihr letztes Vorrundenspiel gegen Dänemark absolviert. Hier werden die Vier bereits im Stadion dabei sein und die deutsche Mannschaft zu jedem weiteren Spiel begleiten.

Neben Fußballfieber und "Schland-Schlachtrufen" heißt das vor allem eins: Kilometer schrubben! Und das nicht nur auf Autobahnen. "Im Idealfall, wenn Deutschland Gruppenerster würde und ins Finale käme, dann hätten wir eine reine Fahrtstrecke von insgesamt 5500 Kilometern in 18 Tagen", berichtet Brauer Simon Schulz (34), der auch 1996 im Wembley-Stadion live dabei war, als die deutsche Mannschaft den letzten EM-Titel einholte. "Würde Deutschland jedoch Gruppenzweiter", fährt er fort, "wären das direkt 1000 Kilometer mehr".

Dass die Reise Abenteuer verspricht, lässt vor allem die undurchsichtige infrastrukturelle Lage in der Ukraine vermuten. Simon Schulz bestätigt das und lacht: "Die Abdeckung des Straßenkartenmaterials in meinem TomTom zur Ukraine beträgt gerade mal 38 Prozent." Und wenn der Wagen liegen bleibt? Da bleiben die Jungs ganz gelassen: "Dann haben wir ja noch den Oliver, unseren KFZ-Profi und Ingenieur von Ford dabei. Ganz egal was passiert, wir ziehen das durch, bis zum bitteren Ende."

Doch dass der Wagen eher auffällt als aufgibt wird schnell klar wenn man ihn sieht. Unter der Ägide eines befreundeten Graffiti-Künstlers und 18 Dosen Farbe, verwandelte sich der ehemals beigefarbene Mercedes am vergangenen Samstag binnen fünf Stunden künstlerischen Auslassens zu einem motorisierten Kunstwerk. Über den hinteren Türfronten prangt der Schriftzug "Deutschland", die Motorhaube trägt stolz die Daten der letzten deutschen internationalen Titelsiege, dazwischen dynamische Graffiti und farbige Übergänge.

Das Letzte, was noch Indizien auf die ursprüngliche äußere Schale des EM-Gefährtes gibt, ist das beigefarbene Dach. Doch leer bleiben soll es nicht. "Wir werden alles versuchen, um möglichst viele Unterschriften der deutschen Spieler auf dem Dach zu bekommen", erzählt Lukas Liebersbach motiviert. So utopisch das klingt, so unwahrscheinlich ist es nicht, denn den Fanbetreuer der deutschen Mannschaft vor Ort, den kennt man auch. Vielleicht kann der dann helfen.

Und was, wenn das Geld ausgeht oder knapp wird? "Dann muss der Chrisi halt mal 'ne Nacht ins Casino", antworten die Jungs auf ganzer Strecke optimistisch. Denn auch Meldungen über aggressive polnische Hooligans und Warnungen von Freunden und Verwandten können das Quartett nicht aufhalten. "Eigentlich haben uns alle davon abgeraten", erzählt Schulz, " und wir haben das auch schon im Hinterkopf", ergänzt Liebersbach, "doch ganz ehrlich, passieren kann dir überall was".

Vier Männer auf dem Weg zur EM nach Polen und in die Ukraine und das in einem patriotisch aufgemotzten Mercedes Benz - für die einen ist das Wahnsinn, für die Bonner Jungs ist das Fußballfieber und Reiselust vom Feinsten. Für sie gilt nur eins: zu viert, in diesem Wagen, Kilometer für Kilometer, bis zum Finale - und dann mit Siegerpose zurück nach Bonn.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort