DFB-Team 2019 Brisantes Umbruchjahr: Löw muss seine Komfortzone verlassen

München · Die DFB-Spitze ist überzeugt, dass Joachim Löw immer noch der "bestmögliche Bundestrainer" ist. 41 Prozent der Deutschen sehen das anders, wie eine Umfrage zum Jahreswechsel zeigt. "Zwei wichtige Themen" stehen 2019 an. Löws Bewährungsjahr beginnt aufregend.

 Einige Fans sehen Bundestrainer Joachim Löw kritisch.

Einige Fans sehen Bundestrainer Joachim Löw kritisch.

Foto: Patrick Seeger

Joachim Löw ist heilfroh, dass sein schlechtestes Jahr als Fußball-Bundestrainer Geschichte ist.

"Es ist gut, dass nun 2019 beginnt", äußerte der 58-Jährige zum Jahreswechsel. Er muss die kommenden zwölf Monate nutzen, um die Nationalmannschaft nach dem WM-Desaster in Russland, dem folgenden Abstieg in die zweite Liga der Nations League und dem Minusrekord von sechs Niederlagen in einem Kalenderjahr wieder in die Weltspitze zu bringen. Löw hat "zwei wichtige Themen" ganz oben auf die Agenda gesetzt: Das eine ist die Qualifikation für die EM 2020, das andere der personelle Umbruch.

Löw will den "jungen Spielern Raum geben" und sie so entwickeln, um beim nächsten Turnier in anderthalb Jahren "präsent zu sein und viel besser abzuschneiden als in Russland". Die Jahrgänge 1995/1996 rückten schon in den letzten Partien 2018 in den Vordergund und in die Verantwortung. Akteure wie Joshua Kimmich (23), Timo Werner (22), Niklas Süle (23), Leon Goretzka (23) und Julian Bradt (22) waren schon beim WM-Debakel dabei. Dazu stießen Spieler wie der vor der WM ausgemusterte Leroy Sané (22), Serge Gnabry (23), Thilo Kehrer (22) oder das Leverkusener Ausnahmetalent Kai Havertz (19).

Alte raus, junge Tempospieler rein, verkürzt ausgedrückt ist das der Weg, den Löw nach einem zögerlichen Neustart im Sommer erst unter dem Druck des 0:3 in den Niederlanden wirklich einzuschlagen bereit war. "Der Umbruch ist im Gange", verkündete der Weltmeistercoach von 2014 zuletzt. Löw wollte und will ihn aber "nicht abrupt" vollziehen. "Die Jungen brauchen Halt und Orientierung", lautet seine Begründung.

Teamsenior Manuel Neuer (32) bleibt Löws Kapitän. Auf den Münchner Torwart hat er sich vorerst bis zur EM 2020 als Nummer 1 festgelegt. Auch Toni Kroos, der am 4. Januar 29 Jahre alt wird, behält einen Sonderstatus, während andere 2014-Weltmeister wie das Münchner Trio Jérôme Boateng (30), Mats Hummels (30) und Thomas Müller (29) zuletzt deutlich an Bedeutung eingebüßt haben.

Kapitän Neuer unterstützt den fließenden Übergang, bei dem Löw "neben den vielen Jungen auch auf ein Gerüst aus erfahrenen Spielern" setzt. Der Kapitän spürt eine "neue Dynamik in der Mannschaft". Die letzten Spiele 2018 gegen Russland (3:0) und die Niederlande (2:2) wertet der Torhüter bereits als Trendwende. Das Spielsystem wurde modifiziert. Das 3-4-3 mit pfeilschnellen Angreifern wie Sané, Gnabry und Werner hat den Ballbesitzfußball abgelöst. "Wir haben einen neuen Spirit in der Mannschaft, aber auch neuen Speed und Spielwitz", sagte Neuer.

Unter den Top Ten der Feldspieler mit den meisten Einsatzminuten in den Länderspielen seit der WM befinden sich immerhin schon fünf aus den Hoffnungsjahrgängen 1995 und 1996 (Kimmich, Werner, Süle, Kehrer, Sané). Der Blick im DFB geht schon Richtung Sommer 2020. Die Spielergenerationen müssten von Löw nun "zu einem Team zusammengeführt werden, das 2020 um den Titel mitspielen kann", schrieb er in seinem am Dienstag veröffentlichten Neujahrsgruß.

Der DFB-Präsident hatte den Vertrag mit Löw schon vor dem blamablen Vorrunden-Aus in Russland bis zur nächsten WM-Endrunde 2022 in Katar verlängert. Vier Jahre blickt aber niemand mehr voraus. Löw muss 2019 eine überzeugende EM-Qualifikation abliefern. In der Gruppe mit den Niederlanden, Nordirland, Estland und Weißrussland ist Platz zwei das Minimum. Auf den Jahresauftakt am 20. März in Wolfsburg gegen Serbien folgt vier Tage später gleich das brisante Auftaktspiel auswärts gegen Holland. "Angesichts dieser Gruppe muss man sich qualifizieren. Da gibt es gar keine Frage", sagte Grindel nach der Auslosung deutlich.

Ein weiteres Katastrophenjahr wie 2018 würde Löw auch DFB-intern nicht mehr verziehen. Viele Fans sehen den lange umjubelten "Jogi" inzwischen sehr kritisch. 41 Prozent der Deutschen halten Löw nicht mehr für den richtigen Bundestrainer, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab. Nur 35 Prozent der Befragten bejahten die Frage, ob Löw noch der Richtige auf dem Posten sei.

Der öffentliche Druck könnte helfen. Die Leistung der Nationalelf war in der Ära Löw stets auch ein Abbild der Trainer-Performance. Im zurückliegenden WM-Jahr wirkte Löw abgehoben, entrückt, bequem - und so trat dann auch die Nationalelf auf. In 13 Jahren als ihr Chef war Löw meist dann am besten, wenn er die Komfortzone verlassen musste.

2010 ging er vertragslos in seine erste WM als Chefcoach und führte die Nationalelf ohne den kurz vor dem Turnier verletzten Kapitän Michael Ballack auf Platz drei. In Südafrika begeisterte Deutschland mit frischem Fußball und Turnierdebütanten wie Neuer, Özil, Khedira oder Müller. Ähnlich war es 2014, als Löw die Goldene Generation um Lahm, Schweinsteiger, Klose und Mertesacker in Brasilien 24 Monate nach dem von ihm vercoachten EM-Halbfinale 2012 zum WM-Titel führte.

Als Trainer-Sternstunde gilt DFB-intern aber der Confed Cup 2017. Löw formte damals in kurzer Zeit aus einem zusammengewürfelten, jungen Team den Turniersieger. Diese Bravourleistung sorgte dafür, dass die Verbandsspitze beim ewigen Bundes-Jogi über das blamable WM-Versagen hinwegsah und Löw auch Anfang 2019 immer noch als "bestmöglichen Bundestrainer" ansieht, wie Vizepräsident Rainer Koch erklärte.

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