Deutschland gegen Österreich Mittelfeld-Duo Gündogan/Kimmich steht auf dem Prüfstand
Bonn · Ilkay Gündogan mit Joshua Kimmich – das passt nicht recht zusammen im zentralen Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft. Ein Dilemma für den Bundestrainer vor dem Spiel gegen Österreich.
Dass dieser freundliche junge Mann schon mal die Fassung verlieren kann, schien bei all seiner höflichen Zurückhaltung und Selbstbeherrschung kaum vorstellbar. Fast wirkte er wie Asterix nach einem ordentlichen Schluck Zaubertrank, gereizt von einer Kohorte Römern, als Ilkay Gündogan seinem neuzeitlichen Gegner an den Kragen wollte. Manchmal, das mutet ein wenig kurios an, ist dieser Gegner auch Kollege, wenn die beiden im Dienst der Nation stehen. In diesem Fall aber prallten zwei Streitkräfte aufeinander, als der Münchner Joshua Kimmich zwar nicht das gallische Dorf erobern wollte, aber immerhin den Ball, den der gefoulte Gündogan unfreiwillig mit seinem Körper zudeckte im Champions-League-Duell zwischen den Bayern und Manchester City.
Kimmich also stocherte zwei Mal nach, und der Ball traf das Gesicht seines Widerstreiters. Was Gündogan derart erboste, dass er dem Münchner hinterherlief, ihn am Trikot packte und mit einigen passenden Worte eindeckte (zum Glück hatte er dann doch keinen Zaubertrank dabei). Er müsse sich nicht alles gefallen lassen, sagte der heutige Barca-Spieler, er sei „eher ein ruhiger Typ – klar. Aber wenn ich das Gefühl habe, eine Aktion ist unnötig, dann darf man das auch mal zeigen.“ Manchmal wünschte man sich tatsächlich, der begnadete Fußballer würde via Zaubertrank häufiger aus sich herauskommen.
Gerangel zwischen Gündogan und Kimmich
Die Episode aus dem Frühjahr hat an dem eigentlich guten Verhältnis zwischen den beiden nicht gekratzt. Und nicht nur den Fußballgurus dürfte klar sein, was auch Gündogan damals aussprach: Solche Dinge passieren eben auf dem Platz. Dort, wo das Duett Gündogan/Kimmich vereint ist, wenn sie nicht gerade dem Vereinsfußball frönen. In ihrem gemeinsamen Club, dem 1. FC Deutschland, spielen sie Seite an Seite (manchmal auch etwas verschoben), zuständig für die Machtzentrale des Spiels. Als sogenannte Doppelsechs sollen sie den Widerstand im Mittelfeld hochhalten. Harte Arbeit im Maschinenraum des Spiels ist zu verrichten, bei der eine unbedingte Abstimmung der Maschinisten unerlässlich ist. Und genau hier eröffnet sich ein Problem: Die beiden tun sich schwer damit, eine gemeinsame Funktionalität sicherzustellen.
In ihrer Beschaffenheit weisen sie zu viele gleiche Merkmal auf, was verhindert, dass aus zwei dominanten Fußballern eine dominierende Einheit wird. Die nicht nur auf dem Schutzstreifen vor der Abwehr zuverlässige Arbeit verrichtet, sondern zugleich das Spiel nach vorn in geordnete Bahnen lenkt. Wie beim 2:3 gegen die Türkei ist eine defensive Kompaktheit und Straffheit so nicht herzustellen. „Beide verfügen über außergewöhnliche Klasse“, hat TV-Experte Lothar Matthäus festgestellt, „aber sie passen nicht zusammen, weil sie sich zu ähnlich sind“. Man müsse sie auf dem Platz gar trennen, „damit sie sich nicht gegenseitig im Weg stehen“.
Beide Führungsspieler sollen möglichst immer spielen
Selbst Julian Nagelsmann scheint vor dem zweiten Spiel der Testrunde am Dienstag in Österreich (20.45 Uhr/ZDF) eine konkrete Ahnung bekommen zu haben, dass die beiden auf dem Platz keine ideale Partnerschaft führen. Sie seien vom Profil her nicht „die klassischen Spieler, die es lieben, auf zweite Bälle zu gehen“. Ohne den Gewinn der zweiten Bälle jedoch ist das Verhindern der zweiten Welle des Gegners nur schwerlich möglich – und führt zu Kontrollverlust. Nun steckt der Bundestrainer in einer Mittelfeld-Malaise, denn beide sind anerkannte Führungsspieler, die es gilt, immer auf den Rasen zu bekommen. Selbst unter der Voraussetzung, sie räumlich trennen zu müssen. Die Schwierigkeit: Auf Gündogan will Nagelsmann nicht verzichten im Zentrum, er ist sein Kapitän und zeigt endlich auch in der Nationalmannschaft jene außergewöhnlichen Gündogan-Dinge wie Technik, Übersicht und Spielintelligenz die er in den vergangenen Jahren unter Pep Guardiola im Club konstant abgerufen hatte. Im DFB-Team kamen seine Talente jedoch nicht ausreichend zum Tragen, da er prominentes Opfer einer gewissen Verschiebetaktik wurde. Auch auf Kimmich will Nagelsmann nicht verzichten in diesem sensiblen Bereich. „Ich sehe ihn als Sechser“, hatte Nagelsmann vor dem Türkei-Spiel gesagt. Eine Rückversetzung muss der Münchner also kaum befürchten – zunächst. Denn man sollte sich noch einmal Kimmichs Geschichte beim bislang letzten großen Turnier in Erinnerung rufen. Sein früherer Münchner Musterknabe (es sei denn, er will den Ball unter Kimmichs Körper), sagte Hansi Flick bei der WM in Katar, sei „einer der besten Sechser, die es gibt“. Wenige Tage später fand sich Kimmich im Gruppenfinale gegen Costa Rica trotzdem auf der Position des Rechtsverteidigers wieder, auch in seinem finalen Spiel als Bundestrainer gegen Japan schickte der Bammentaler den Münchner ins Randgebiet. „Wir haben keinen gelernten Top-Rechtsverteidiger“, findet Matthäus, „und Kimmich spielt auch dort spitze.“
Abwägung gehört für jede Führungskraft zu den elementaren Faktoren, und so hat auch Nagelsmann Entscheidungen zu treffen, die vielleicht nicht unbedingt seiner Überzeugung entsprechen, dem Gemeinwohl aber zuträglich sind. Grundsätzlich halte er „extrem viel“ von Gündogan und Kimmich als Widerstandskämpfer in der Zentrale, sagte er, „aber natürlich müssen wir immer gucken, was der Gegner uns anbietet und was das Spiel verlangt“.
Groß als starke Alternative
Soll heißen: In emotional aufgeladenen Partien wie gegen die Türkei oder wie vom Bundestrainer erwartet in Wien, wenn es ankommt auf Robustheit und Resilienz, auf Biss und Beharrlichkeit in den Zweikämpfen, aber weniger auf Ballbesitz, wäre der Einsatz eines wahrhaftigen Malochers im Maschineraum eine gute Idee. Ein Sechser eben, einer aus dem weltmeisterlichen Buschwald-Khedira-Schweinsteiger-Kosmos, „der vor der Abwehr aufräumt“, weiß Matthäus, „das ist weder Gündogan noch Kimmich“.
Nagelsmanns Vorarbeiter Flick hat da ja ganz ordentliche Vorarbeit geleistet und in der südenglischen Nische von Brighton & Hove Albion Pascal Groß entdeckt und rausgezerrt, der dort in sieben Jahren zu einer kompromisslosen und anerkannten Größe aufgestiegen war. Während der USA-Reise harmonierte er gleich gut mit Gündogan. Er kenne „seine Rolle“, sagte Groß neulich in Hartford, selbst wenn es „schön“ gewesen sei zu spielen. Das klang unverstellt, aber vielleicht auch ein wenig zu demütig.