Viel Arbeit für Hansi Flick Das DFB-Team zeigt große Defizite gegen Belgien

Köln · Die erste Niederlage im neuen Jahr hat den großen Ambitionen der Nationalmannschaft auf dem Weg zur Heim-EM einen Dämpfer verpasst. Gegen Belgien gab es viele Schwachpunkte.

 Riss die deutsche Mannschaft nach dem 0:2-Zwischenstand gegen Belgien mit: Emre Can (rechts).

Riss die deutsche Mannschaft nach dem 0:2-Zwischenstand gegen Belgien mit: Emre Can (rechts).

Foto: dpa/Christian Charisius

Dass sich Timo Werner nicht mit der Thermik eines nasskalten Märzabends im Kölner Westen eingehend beschäftig hatte, war offensichtlich. Das darf ihm jedoch nicht zum Nachteil gereichen, schließlich ist sein Fachbereich in der harten Welt des Fußballs angesiedelt und nicht in der hohen Kunst der Segelfliegerei. Was nicht ausschließt, dass sich der Stürmer vor Ausflügen in fachfremde Bereiche fürchtet. Sein Augenmerk während der Partie gegen Belgien richtete der Nationalspieler auch auf ein schwarzes Blatt Papier, das, gefaltet zu einem Papierflieger, alleingelassen und verkümmert auf dem Rasen des Müngersdorfer Stadions lag. Er hob den leicht lädierten Papierflieger, auf Reisen geschickt von den Südrängen, auf und versuchte ihn, in einem Modellversuch durch einen gezielten Wurf von der Landebahn zu entfernen und auf sicheres Gelände außerhalb des Rasenrechtecks zu geleiten. Das misslang. Der Flieger brachte es zunächst nicht weit, was Gelächter auf den Rängen auslöste.

Nur Werner war nicht zum Lachen zumute, war es doch aus deutscher Sicht nicht der einzige fehlerhafte Versuch, Ordnung herzustellen. Das 0:2 gegen Belgien diente nicht dazu, eine Stimmung im Land zu erzeugen, die sich positiv auf die Mission Heim-EM auswirken könnte. Obschon die Zuschauer sowohl das 2:0 in Mainz gegen Peru als auch das Duell in Köln mit dem Nachbarn, gegen den es zuvor geschlagene 113 Jahre keine Heimniederlage zu verzeichnen gab, beachtlich wohlwollend begleiteten. Werner selbst hatte in Köln bis auf Einsatz und Eifer und eben jene amüsante Flugshow nicht viel zu bieten gehabt außer dem bekannt hibbeligen Umgang mit dem Ball.

Goretzka wirkt merkwürdig antriebslos

Immerhin konnte man dem Leipziger das Engagement nicht absprechen, was nicht auf alle Mitstreiter zuzutreffen schien. Es war ein sehr schlimmes Bild, das die Deutschen da in der ersten halben Stunde abgaben. Sie waren kein ernstzunehmender Gegner für die Belgier, die in Guerillamanier die Einheimischen überrumpelten. Und einer der Überrumpelten zeigte dabei Ansätze von einer irritierenden Passivität, die man so aus seinem eigentlichen Arbeitsort München nicht von ihm gewohnt ist. Ohne Dynamik und Entschlossenheit bewegte sich Leon Goretzka in Räumen, die für das Spiel kaum relevant waren. Zweikämpfe versuchte er weitgehen zu vermeiden, so als habe sich der Ligagipfel der Bayern gegen Dortmund am Samstag einen zu großen Platz in seinem Kopf gegriffen.

Er war mit seiner phlegmatischen Aura, die ihn umgab, keine große Unterstützung für seinen Partner mit den großen Ansprüchen. Joshua Kimmich hatte gerade in der unerklärlichen Anfangsphase alle Hände voll zu tun, mit dem Gegner in Person von Man-City-Star Kevin de Bruyne, mit sich. Immer einen Schritt hintendran war er, seine Pässe wiesen die Genauigkeit einer Sonnenuhr vor Sonnenaufgang auf, fanden Räume, die, wenn überhaupt, von den Belgiern besetzt waren. Gemeinsam konnten die beiden Erfahrenen dem DFB-Team keinen Halt geben, bewegten sie sich doch wie zwei gleiche Pole in ihrer Zone. Ein wenig defensiverer Geist des Mittelfeld-Duos und Geschlossenheit hätten gutgetan, um die ohnehin nicht als besonders vertrauenswürdige Abwehr mit den beiden Mal-dabei-mal-nicht-Kandidaten in der Zentrale, Matthias Ginter und Thilo Kehrer, zu entlasten. Die defensiven Defizite auf den Seiten dürften Neuling Marius Wolf, gelernter Rechtsaußen, und David Raum ohnehin vorläufig nicht ablegen.

Leistungssteigerung nach dem Wechsel

Während einige Nationalspieler – aufgrund der Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte – eine leicht verklärende Interpretation der 90 Minuten bereithielten wie etwa Angreifer Niclas Füllkrug („Wir haben insgesamt trotzdem ein gutes Gesicht gezeigt und Moral bewiesen“) oder selbst Bundestrainer Hansi Flick („60, 65 Minuten war es von uns ein gutes Spiel“), ging Lothar Matthäus, oberster Fußball-Richter des Landes hart mit seinen Nachfolgern ins Gericht. Das sei das Schlechteste gewesen, „was ich in meiner langen, langen Laufbahn gesehen habe“, sagte der frühere DFB-Kapitän, der dann allerdings anerkannte, dass „sie aufgewacht“ seien.

Kimmich selbst wähnt in den 14 Monaten bis zur Heim-EM einen guten Verbündeten. „Zum Glück haben wir noch ein bisschen Zeit.  Heute hat man gemerkt, dass wir noch nicht auf internationalem Top-Niveau sind“, räumte der aktuelle DFB-Kapitän ein, der sich im Laufe der Belgien-Partie zu steigern wusste. „Wichtig war, dass wir ab der 30. Minute eine Reaktion gezeigt haben“, sagte der Bayern-Profi, „trotzdem war es zu wenig.“ Am Ende reichte es so nur zum 1:2 durch einen verwandelten Handelfmeter von Niclas Füllkrug (44.) und dem späten 2:3 durch Serge Gnabry.

Can bringt Dynamik und Zweikampfhärte

Die Steigerung wurde erst dadurch bedingt, dass Kimmich nach einer halben Stunde einen neuen Partner fand, da lag die deutsche Elf durch die Treffer schon längst recht aussichtslos mit 0:2 zurück. Goretzka musste wegen einer Knöchelverletzung ausgewechselt werden. An seiner statt schob der Dortmunder Emre Can, der sich mit breiter Brust und breiten Schultern in jeden Zweikampf und mitten ins Getümmel warf, die Mannschaft an. Das Publikum mit Szenenapplaus und der Trainer mit warmen Worten erkannten dies an. Er habe sehr viele Zweikämpfe gewonnen und „die Mannschaft wachgerüttelt“, befand Flick über seinen „aggressiven Leader“, der nun verstärkt Anspruch auf den Platz in der eigentlichen Münchner Zone im defensiven Mittelfeld erheben dürfte. Sein Hang, Fußball auch als Körperkontakt-Sport zu betrachten, berechtigt ihn dazu.

Warum das im Süden der Republik bewährte Duo Kimmich/Goretzka im Auftrag für das Land nicht so recht zusammenfinden will, darauf wusste auch Flick keine gehaltvolle Antwort zu geben. Er wich auf der Pressekonferenz aus, sprach eher belanglos davon, es dem Gegner „zu einfach gemacht“ zu haben, man habe „zu viele Räume, zu viel Platz“ gelassen, die „Zweikämpfe nicht angenommen“. Konkret wurde er dann aber in Bezug auf die höchst irritierende Anfangsphase. Er forderte: „Es muss einmalig bleiben, dass wir solche 25 Minuten gesehen haben.“

Und Leon Goretzka? Sagte nichts, besser: nur so viel: „Es sollte schon reichen bis Samstag“, bis zum Top-Spiel. Dann humpelte er in die Kölner Nacht hinaus.

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