DFB-Pokalfinale Eine Herzensangelegenheit

BERLIN · Gebräunt und mit einem relaxten Lächeln auf den Lippen, als sei er gerade von einem dreiwöchigen Segelurlaub aus der Karibik zurückgekommen: So saß Jürgen Klopp 24 Stunden vor dem DFB-Pokalfinale auf dem Podium der Pressekonferenz in den Katakomben des Berliner Olympiastadions.

Tiefenentspannt. Die Klick- und Klack-Geräusche der zig Fotokameras um ihn herum nimmt er ohnehin längst nicht mehr wahr.

Jürgen Klopp plauderte und scherzte so ausgeruht mit dem Wolfsburger Trainer Dieter Hecking, als säßen die beiden Jahre nach Abschluss ihrer Karrieren bei einem Pils an der Theke und klönten über längst vergangene Zeiten. Vor allem über die schönen Seiten des Fußballs, über die Gänsehautmomente. Zum Beispiel über jene, von denen Klopp im Falle eines glanzvollen Abschieds weitere erleben wird. Jene, die eine große Sause auf dem legendären Borsigplatz garantiert, wo die BVB-Fans 1956 schon den ersten der inzwischen acht deutschen Meistertitel feierten. Wo im Zenit der Klopp-Ära 2012 die Schale und der DFB-Pokal präsentiert wurden.

"Ich bin noch nicht in dem Modus, diesen Film ablaufen zu lassen", sagte der 47-Jährige am Tag vor dem Endspiel. Auch, um keine Ablenkung zuzulassen. Die Konzentration auf das Wesentliche zählt. Das wäre für den BVB der vierte Pokalsieg, für Wolfsburg der erste. "Die Trainer sind ja nicht ganz unwichtig, aber ihre Zukunft hat keine Relevanz für den Ausgang des Finales", stellte Klopp klar, der nach Saisonende Thomas Tuchel Platz macht.

Sieben aufregende, erfolgreiche und schöne Jahre auf der Dortmunder Kommandobrücke liegen hinter "Kloppo" - sieben geile Jahre, um es in seiner Sprache zu formulieren. Das i-Tüpfelchen soll der Pokaltriumph gegen den VfL Wolfsburg werden. Ein Turbo-Finale kann es werden, ein Duell mit offenem Visier. "Weil beide Teams", so VfL-Übungsleiter Dieter Hecking, "offensiv ausgerichtete Spielsysteme bevorzugen". Mit Ausnahme-Kreativkräften auf beiden Seiten: Gündogan, Reus oder Aubameyang können den Unterschied zugunsten Dortmunds machen, genauso gut aber Gustavo, De Bruyne oder Dost zugunsten der "Wölfe".

Letzten Sonntag hat die Dortmunder Südkurve ihren "Pöhler" vor dem 3:2 gegen Werder Bremen verabschiedet. Aus feuchten Augen blinzelte Klopp wie Gulliver im Land der Riesen auf das auf Stoff gedruckte riesige Antlitz seiner selbst - es war eigens für die Abschiedsinszenierung gefertigt worden. Die Gänsehaut wirkt nach, nimmt man Klopps seligen Gesichtsausdruck zum Maßstab. Dazu hat auch das von der Mannschaft bereits eingelöste Abschiedsversprechen beigetragen.

Als Klopps Rücktritt bekannt wurde, sei eines sofort ausgemacht gewesen, sagte BVB-Kapitän Mats Hummels an diesem Freitag in Berlin: "Nämlich, dass wir dem Trainer zum Abschied zwei Dinge präsentieren: die Europa-League-Teilnahme und das Pokalfinale." Die Aussichten, dass jetzt noch der Cup dazukommt, schätzt Hummels hoch ein: "Wir hatten in dieser Saison häufig schlechte Tage, aber aus der Phase sind wir raus."

Sicherlich hat Klopp eine Truppe Hochbegabter beisammen. Deren Marktwert spricht Bände: Nach dem FC Bayern (und vor dem VfL Wolfsburg) haben die Dortmunder den zweitwertvollsten Kader aller Bundesligisten. Dennoch darf es Klopp als Verdienst zugeschrieben werden, dass er in einer desaströsen Lage ein Team zusammenschweißte, das die Saison erfolgreich zu Ende spielte. Desaströs sah es im Januar in der Tat aus: Dortmund Tabellenletzter, in akuter Abstiegsgefahr. Nicht jeder hätte in dieser Zeit, als in seinem Hinterkopf die Gedanken ans Aufhören gereift sein müssen, noch alles investiert, um das Saisonergebnis zu retten. Klopp tat es. Weil der BVB ihm immer eines war: eine Herzensangelegenheit.

Aus seiner extremen Emotionalität resultiert auch die Seite des Jürgen Klopp, die längst nicht alle mögen: der theatralische, hier und da cholerische, besserwisserisch wirkende und für manche auch rechthaberische - der Vollgas-Klopp. Schiedsrichter und Offizielle wissen ein Lied davon zu singen. Zu oft hat er sie zur Minna gemacht. Der Anblick entsprechender Fernsehbilder hat ihn selbst gelegentlich entsetzt. Immerhin kann Klopp Fehler eingestehen.

2007 war er aus Mainz gekommen. Von einem Verein, der den Aufstieg verpasst hatte - mit den Seinen weinte er vor dem Dom der Stadt. Zu einem Club, der zwar allmählich wirtschaftlich wieder Fuß fasste, aber auf dem Fußballfeld im Mittelmaß versunken war. Die Überzeugungskraft und Eloquenz, die er dem breiten Publikum schon als ebenso unterhaltsamer wie fachkundiger ZDF-Fernsehexperte während der WM 2006 offenbart hatte, weckte den schlafenden Riesen BVB. "Du hast diesem Club und auch mir persönlich viel Energie und Optimismus mitgegeben", sagte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc letzten Sonntag.

So sehr Klopp sich bemüht hat, vor dem Endspiel nicht im Mittelpunkt zu stehen - es gelingt ihm nicht. Ob er sich als Held sehe, wenn er mit Dortmund erneut den Pokal hole, wurde er gefragt. "Ich habe nicht den Anspruch, der Held des Spiels zu sein", antwortete Klopp. Er könne sich gar nicht vorstellen, wie das gehen solle. "Die Borussia hat so viele Helden", sagte Klopp und bemühte die Clubhistorie: "Norbert Dickel zum Beispiel ist der Held von Berlin." Damit erinnerte der BVB-Trainer an die beiden Tore des früheren Stürmers und heutigen Stadionsprechers im Endspiel 1989 gegen Werder Bremen (4:1).

"Robert Lewandowski hat auch ein paar Mal getroffen", verwies Klopp auf die drei Treffer des Polen beim 5:2-Pokaltriumph 2012 gegen Bayern München: "Dafür sind ihm die BVB-Fans auch nicht wirklich böse." Obwohl Lewandowski danach zum FC Bayern wechselte.

Ob Held oder nicht: Jürgen Klopp hat eine Erfolgsära in Dortmund geprägt. Ganz gleich, wie dieses Pokalfinale endet - großes Kino ist gewiss.

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