EM-Auftakt gegen Frankreich Deutsche Mannschaft agiert in der Offensive zu harmlos

Analyse | München · Bei der EM-Auftaktniederlage gegen Frankreich schießt das DFB-Team durch Mats Hummels zwar das einzige Tor, ist im Angriff aber ohne Durchschlagskraft. Gegen Portugal ist die Elf von Bundestrainer Joachim Löw nun unter Zugzwang.

 Serge Gnabry agierte gegen Frankreich als Sturmspitze, kam aber kaum Mal zum Abschluss.

Serge Gnabry agierte gegen Frankreich als Sturmspitze, kam aber kaum Mal zum Abschluss.

Foto: dpa/Alexander Hassenstein

Diese knurrige Erscheinung passte so gar nicht zu dem distinguierten Herrn Löw, der selbst bei Niederlagen üblicherweise eine anständige Form bewahrt. Es waberten Begriffe wie „Pech“ durch den Raum, wie „Ungerechtigkeit“, als der Bundestrainer die Niederlage gegen Frankreich zu analysieren hatte. Ein Lob für Didier Deschamps, den Trainer-Kontrahenten, eine Gratulation, kam ihm dabei nicht über die in diesem Moment sehr schmalen Lippen (das jedoch holte er später in schriftlicher Form nach). Joachim Löw hatte das Halbfinal-Aus bei der EM 2016 wenige Minuten danach offenbar noch nicht richtig verarbeitet. Seine Mannschaft, so vermittelte er es im Presseraum des Stade Velodrome in Marseille (ja, damals gab es die Pressekonferenzen noch mit physischer Teilnahme), sei die bessere gewesen. Keine Diskussion.

Er hatte ja irgendwie auch recht, der Bundestrainer, der fünf Jahre später nun sein letztes großes Turnier bestreitet. Vergessen hatte er dabei nur, dass über das Müller-Fischer-Hrubesch-Völler-Land schon seit einiger Zeit der große Kummer hereingebrochen war. Denn bei aller Dominanz, die die deutsche Elf damals in den Turnierspielen treu begleitete, das Wesentliche blieb ihr im Halbfinale verwehrt: Tore. Schon damals zeichnete sich ab, dass die Erben Gerd Müllers nicht mehr nur im Strafraum ihren Fuß, Kopf, Bauch und notfalls den Po hinhalten müssen, sondern ihre Funktion als sogenannte Hybridspieler, wie sie Fußballlinguisten gerne bezeichnen, finden. Anders: als solche Offensiv-Typen, die sich überall in des Gegners Hälfte trollen.

Vor fünf Jahren, da gab es wenigstens noch einen Mario Gomez, jahrelang im Land zuvor geschmäht, dann in Frankreich wieder liebgewonnen. Der aber fehlte damals gegen die Bleus verletzt. Quelle malheur! Bei den Gastgebern jedoch fehlte Antoine Griezmann, sehr zum Bedauern der Deutschen, nicht. Er erzielte schließlich beide Treffer zum Finaleinzug der Franzosen. Jener Griezmann, der immer noch als Equipment der Équipe Tricolore eine bedeutende Rolle in der Offensive einnimmt.

Deutschland fehlt geschmeidiger Stürmer wie Miroslav Klose

In einem Team, das Deschamps in jahrelanger Detailarbeit zu einer präzisen Maschinerie entwickelt hat. Die blaue Wand, in der sich selbst zur Exzentrik neigende Könner wie Paul Pogba reibungslos einreihen, wartet nur darauf, ihren genialen Sprinter Kylian Mbappé ins Rennen zu schicken. Trotz all dem Scharfsinn und der Finesse in ihrem Spiel, Frankreich dient auch immer dem Zweck: dem Toreschießen.

Und das DFB-Team? Alles beim Alten, könnte man behaupten, denn ein Nachfolger für den wuchtigen Gomez, besser: für den geschmeidigen Miroslav Klose, ist immer noch nicht gefunden – und nicht einmal in Sicht. Thomas Müller, Kai Havertz, Serge Gnabry, Timo Werner und Leroy Sané – alles vortreffliche Spieler, aber eben keine, die als Abnehmer mit körperlicher Präsenz im Strafraum, gar mit Kopfballstärke zu überzeugen wissen. Mangelnde Durchschlagskraft, ein Euphemismus für Sturmschwäche, ließ sich auch bei der deutschen Elf am Dienstagabend in München feststellen. Die nächsten zwei, drei Tage wolle Löw „scho au den Hebel da noch mal ansetzen.“ Aber gleichzeitig betonte er gelassen: „Frankreich ist Weltmeister im Verteidigen.“ Und dann: „Wir brauchen gegen Portugal das eine oder andere Tor.“

Die Einzelkritik der DFB-Elf
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Nur, wie? Mats Hummels etwa, der einzige Torschütze beim 0:1 gegen die Franzosen, traf zwar sehenswert unter die Latte des Tores, doch dass Manuel Neuer darinstand, machte die Angelegenheit dann doch zum Problem (Löw: „Das ist Pech“). Der Bundestrainer sah zumindest gute Ansätze seiner Elf im Auftaktspiel. Er sagte: „Wir haben schon ein paar gute Flanken über den Sechzehner gebracht, manchmal vielleicht zu hoch. Wir hatten uns vorgenommen, flach und scharf reinzuspielen.“ Den treffsicheren Hummels, ein in der Jugend erprobter Stürmer, als Abnehmer höherer Bälle nach vorn zu ziehen, ist da eher ein ironischer Entwurf.

Insgesamt hatte Löw „ein extrem intensives, spannendes und sehr, sehr gutes Spiel“ gesehen – von beiden Mannschaften. Ein Lob nach einer Niederlage? Geht doch. Die gestiegene Gefahrenlage dürfte keinem im deutschen Team nun verborgen bleiben vor dem zweiten Gruppenspiel am Samstag gegen die Portugiesen. „Wenn du das erste Spiel verlierst und nur drei Gruppenspiele hast, ist der Druck groß“, betonte der diesmal auch sehr einsatzfreudige Toni Kroos. „Da brauchen wir uns nicht drüber unterhalten.“ Ein anderes Auftreten als gegen die Franzosen wird Löw nicht dulden. „Es war ein brutal intensives Spiel, wir haben alles in die Waagschale geworfen und gefightet bis zum Schluss“, sagte er.

Didier Deschamps spricht von "Zweikampf der Titanen"

Das erkannten selbst die Sieger an – neidlos und ohne schmale Lippen. Deutschland, ja, „ein sehr starkes Team, das uns viel Ärger gemacht hat“, sagte Pogba. Sein Trainer Deschamps hatte gar einen „Zweikampf der Titanen“ gesehen, ein „tolles Spiel gegen eine starke deutsche Mannschaft. Es war ein großes Spiel, es hätte ein Finale oder ein Halbfinale sein können“. Da will auch Löw immer noch hin, der mit der Berufserfahrung seiner 15 Jahre als Bundestrainer befand: „Es ist ja noch nichts passiert.“

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