Deutsche Nationalmannschaft Florian Neuhaus ist der Gewinner des Länderspiels

Köln · Borussia Mönchengladbachs Florian Neuhaus hat beim wilden 3:3 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Türkei einen starken Auftritt hingelegt.

  Dank an den Assistenten:   Florian Neuhaus (r.) nach seinem Treffer zum 2:1 mit Kai Havertz.

Dank an den Assistenten: Florian Neuhaus (r.) nach seinem Treffer zum 2:1 mit Kai Havertz.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Das große Problem an einem fast leeren Stadion ist doch, dass keine Fans darin sind. Immerhin 300 waren es ja dann doch am Mittwochabend in Köln. So aber Stimmung, ja, Begeisterung auf den Rängen zu entfachen, dürfte sich für jedes Fußball-Team der Welt als eine Mission erweisen, die so schwierig umzusetzen ist wie eine lustige Mannschaftstour auf den Mars.

Das Schöne an diesem hoffentlich bald endenden Ausnahmezustand in den Arenen ist aber gleichzeitig, dass keine Fans darin sind. Und also für die wenigen Beobachter Geräusche zu vernehmen sind, die ansonsten unerhört bleiben. Die verzweifelten Appelle des Bundestrainers an seine Spieler etwa, die herzzerreißenden Anfeuerungsrufe eines türkischen Fans, der nicht nur unentwegt sein Team unterstützte, sondern auch eine Kölner Ikone herzlich mit „Lukas Podolski, Lukas Podolski“-Gesängen bedachte. Der frühere Nationalspieler war ja, als TV-Experte am Mikrofon, einer der wenigen Gäste im Stadion.

Übertönt wurde der Lautstarke nur von den Schreien eines gewissen Emre Can, der als rechter Posten der deutschen Dreierkette seine zumeist unerfahrenen Mitspieler in dieser improvisierten Elf den richtigen Weg weisen wollte. Von Florian Neuhaus hörte man dagegen nicht sehr viel, dafür sah man umso mehr von dem Gladbacher, der beim 3:3 im Test gegen die Türkei sehr auf sich aufmerksam machte. Das ist durchaus beachtlich, denn Neuhaus stellte sich das erste Mal in diesem elitären Zirkel vor.

Nervosität bei seinem Debütantenball? Mitnichten. Im Gegenteil. Er betätigte sich als treibende Kraft, spielte dynamisch, mutig unbekümmert. Mit seinen langen Tempoläufen, auch in die Spitze, war er der Herrscher im deutschen Mittelfeld. Sogar ein Treffer war ihm vergönnt. Noch dazu ein sehr schöner. „Sensationell, super“, sprudelte es aus Experte „Poldi“ heraus, „das kann man nicht besser machen.“

Neuhaus’ listiger Schlenzer zum zwischenzeitlichen 2:1 bedeutete eine von drei Führungen, die erneut nicht zum Sieg reichten. Joachim Löw bedauerte das natürlich sehr nach zuvor schon zwei mageren Unentschieden in diesem Corona-Jahr gegen Spanien und die Schweiz. Während sich der Bundestrainer „enttäuscht“ zeigte und „angefressen“ war, konnte auch Neuhaus sein gelungenes Erstlingswerk nicht vollends genießen. Man spiele schließlich Fußball, sagte er, „um zu gewinnen“.

Zwar gewann nicht die Mannschaft, aber er selbst dürfte sich als Gewinner fühlen. Sein Bewerbungsschreiben hat auch beim obersten Fußballlehrer des Lande großen Anklang gefunden. Löw schrieb ihm „viele gute Aktionen“ zu, zudem sei er „sehr ballsicher“ gewesen, urteilte er über den Mann, der vor 23 Jahren im bayerischen Landsberg am Lech geboren wurde. Über einen Antreiber mit Ambitionen und wohl auch einer guten Zukunft im Nationalteam.

Unsicherheit im DFB-Team

Dass die Zukunft dieser jungen, nun auf die EM im kommenden Jahr ausgerichteten Mannschaft, noch nicht wirklich begonnen hat, ist offensichtlich. Seit einem Jahr wartet sie auf einen Sieg. Selbst wenn sie gleichzeitig seit 13 Monaten nicht mehr besiegt wurde, die drei Remis bislang in diesem Jahr ziehen Irritation und Unsicherheit nach sich. Die, wenn man so will, Führungsschwäche, zehrt an den Nerven, oder wie es der Dortmunder Can ausdrückt: „Wir müssen abgeklärter, erwachsener, manchmal vielleicht dreckiger sein.“

Das mit der Kaltschnäuzigkeit und Konsequenz, die Löw zuletzt deutlich von seiner Offensive eingefordert hatte, ist dabei nur die eine Seite. Auf der anderen fallen die Missstände in anderen Gebieten deutlich stärker auf. Der Badener sah „Licht“, aber auch „Schatten“. Er führte eine Mängelliste vor Augen, die wohl alle 300 Beobachter im Stadion, selbst der türkische Schlachtenbummler, sowie die nicht einmal sechs Millionen Zuschauer an den deutschen Bildschirmen mit ihren weniger geübten Augen auch gesehen haben müssen. Fehlende Spielkontrolle und Organisation unter Druck, mangelhafte Chancenverwertung, offene Räume, schlechte Zuordnung. Spieler wie Nico Schulz und Antonio Rüdiger wirkten zwar eifrig bis übereifrig, viele ihrer Aktionen als fahrig zu umschreiben, wäre wohl untertrieben.

Sorgen des Bundestrainers nehmen zu

 Deren Fehler auf eine nicht eingespielte Dreierkette in der Defensive zu schieben, nicht angemessen. Es fehlt ihnen schlicht an Einsatzzeiten in ihren Vereinen Dortmund und Chelsea. Die Sorgen des Bundestrainers nehmen zu, selbst wenn gegen die Türkei maximal ein Perspektivteam antrat.

Mit der Rückkehr des bewährten Stammpersonals soll nicht nur die Malaise mit den sieglosen Spielen weggewischt, sondern auch die Zuneigung für und das Zutrauen in die Mannschaft und Löw selbst im Land wiedergewonnen werden. Für die Nations-League-Partien am Samstag in der Ukraine und am folgenden Dienstag erneut in Köln gegen die Schweiz kündigte der Bundestrainer jedenfalls vorsorglich personelle Veränderungen an. Und er versicherte, dass „alle heiß und hochmotiviert“ sein werden, „das nächste Spiel zu gewinnen“. Endlich, ließe sich fortführen.

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