Der Kaiser und ich GA-Redakteure über ihre Erlebnisse mit Franz Beckenbauer
Der 7. Januar 1977 war ein eiskalter Wintertag. Es war der Tag, an dem mir Franz Beckenbauer, zum ersten und einzigen Mal (im wahrsten Sinne des Wortes), über den Weg lief und sogar ein paar Worte mit mir wechselte. Ich war damals gerade 15 geworden und mit meinen Eltern im Winterurlaub im Allgäu. Weil der Pokalkracher des FC Bayern gegen die eigene Amateurmannschaft anstand (ja, das war damals noch möglich), ging ich meinen Eltern so lange auf die Nerven, bis sie einem gemeinsamen Besuch des Spiels im Münchner Olympia-Stadion zustimmten. Beim 5:3-Sieg der Profis (vier mal Gerd Müller) froren wir erbärmlich. Nach dem Spiel lauerte ich am Marathontor des Stadions auf Bayern-Spieler, um Autogramme zu ergattern. Durch das Tor, so hatte ich erfahren, verließen die Spieler das Stadion, um zu ihren Autos auf dem Parkplatz zu gehen. Doch es kam niemand. Gab es noch andere Fluchtwege? Ich wollte schon aufgeben, da näherte sich in der hereinbrechenden Dunkelheit eine Gestalt, in der Hand eine Sporttasche. Könnte ein Spieler sein, dachte ich. Und es war ein Spieler, nämlich Franz Beckenbauer, der ganz unkaiserlich im grünen Parka geradewegs auf mich zusteuerte. Vor lauter Aufregung traute ich mich nicht, ihn um ein Autogramm zu bitten. „Geh, sprich ihn an“, ermunterte mich meine Mutter, „der ist auch nur ein Mensch“. Nachdem der Kaiser mir ein Autogramm gegeben hatte, ergab sich ein kurzes, freundliches Gespräch zwischen dem Weltmeister aus München und dem B-Jugend-Kicker aus Heimerzheim. Beckenbauer fragte mich sogar, in welcher Mannschaft ich auf welcher Position spiele und welche Klasse ich besuche. Ich wünschte ihm noch viel Erfolg. Doch der fromme Wunsch half nichts. Der FC Bayern spielte eine schlechte Saison, wurde am Ende nur Siebter – und der Kaiser verließ München in Richtung New York. Aber unsere B-Jugend wurde Meister. Hans-Peter Fuß
Der Kaiser ist mir als Libero – das gibt es heute, glaube ich, gar nicht mehr – in bester Erinnerung. Wer genau hinschaut, kann erkennen, dass Beckenbauer das Prinzip minimaler Aufwand höchster Wirkungsgrad perfektionierte, indem er maximal fünf Schritte lief. Dafür verteilte er die Bälle auf den Punkt: genial und absolut vorbildlich. Beckenbauer hat sich danach nicht mehr wirklich weiter entwickelt, egal ob als Manager, Trainer oder „Bild“-Kolumnist. Ein Mann mit Talent und einer unermesslichen Übersicht. Glückwunsch! Helge Matthiesen
Die Handlung auf dem Bildschirm ist eigentlich ziemlich unspektakulär – zumindest für einen Elf-Jährigen, der noch gar nicht so richtig greifen kann, welcher sporthistorische Moment dort gerade geschrieben wurde. Ein Mann in beiger Hose, blauem Hemd, dunklem Sakko mit seltsamer großer Pilotenbrille marschiert über das Grün des römischen Olympiastadions. So einsam, gedankenversunken. Natürlich kenne ich Franz Beckenbauer. Mein Vater hat ihn doch immer als besten deutschen Fußballer aller Zeiten bezeichnet. Mit ist auch klar, dass er gerade den langersehnten WM-Titel nach Deutschland geholt hat. Das erste große Turnier, das ich komplett am TV verfolgen durfte. (Vier Jahre zuvor hat mich mein Vater zur Halbzeit des Endspiels noch wütend ins Bett geschickt, nicht ahnend, dass die DFB-Elf sich gegen Argentinien noch einmal rankämpfen würde.) Doch warum feiert Beckenbauer nicht mit seiner Mannschaft? Mit meinem Bruder und einer Freundin geht es auf den Fackelkorso durch die dunklen Straßen Urfelds. Als ich von dem einsamen Ausflug zurückkehre, laufen Nachrichten im klobigen Röhrenfernseher. Wieder das Bild des einsamen Beckenbauers untermalt von Gianna Nanninis un‘estate Italiana – ein unvergessener Sommer. Da ist sie – die Gänsehaut. Die Bilder gehen um die Welt. Jahre später: Ein Raunen zieht durch das VIP-Zelt, dass der DFB im Rahmen eines Länderspiels vor das Stadion gestellt hat. Franz Beckernbauer trittt ein. Er ist von einer unfassbare Aura umgeben und ich kann meine Augen kaum von ihm lassen. Die Begegnung ist so überwältigend, dass ich schüchterner Nachwuchsjournalist mich nicht traue, die größte Lichtgestalt des deutschen Fußballs anzusprechen. Und das, obwohl Beckenbauer von meinem Kollegen als so nahbar, freundlich beschrieben wird. Doch die Ehrfurcht vor dieser Persönlichkeit ist zu groß. Dazu haben definitiv auch die emotionalen Bilder dieser magischen Nacht in Rom beigetragen. Simon Bartsch
Weltmeister-Macher Beckenbauer 1990 zu später Stunde allein auf dem Rasen des Olympiastadions in Rom – eine meiner ersten bewussten Erinnerungen an den Fußball. Sie wird bleiben, sicher. Doch aus der einstigen Kultfigur Kaiser Franz ist mutmaßlich leider ein Teil des korrupten Fußballadels der Moderne geworden, der einen unpolitischen Sport propagiert, in Katar keine Sklaven gesehen hat und sich vor möglicher Strafverfolgung in Bezug auf die WM 2006 entzieht. Der Gang von Rom verblasst zusehends. Traurig. Moritz Rosenkranz
Der Kaiser war im Hangelar. Am 11.11.1983. Warum ich das weiß? Der Kaiser selbst hat es niedergeschrieben – auf einem Aufsteller, auf dem er selbst bei der eleganten Ballweitergabe zu sehen ist. Der Ort seiner kaiserlichen Audienz mag profan vorkommen: Eine Groß-Videothek, in der – unter anderem mit dem Aufsteller – für einen Film über Beckenbauers bisheriges Leben geworben wurde. Auch wenn Kaiser Franz nie beim 1.FC Köln spielte, ließen sich viele Hangelarer diese Begegnung nicht entgehen. Welch eine Aura, selbst wenn er nur schwungvoll signierte, was man ihm hinhielt. In den 90er-Jahren besprach ich, wegen eines Talents zur Stimmenimitation im Freundeskreis manchen Anrufbeantworter mit des Kaisers Stimme. Immer dauerte es lange, bis der Pieps ertönte, denn meistens meldete sich der AB mit „Ja gut, äh, klar, äh, sicherlich, ich meine, gut...“ Ein Kaiser wählt seine Worte mit Sorgfalt. Mario Quadt
Die fußballerische Eleganz des Mannes, den wir „Kaiser“ nennen, wurde nur übertroffen von seiner rhetorischen Brillanz. Die artikulierte Franz Beckenbauer auch im fremden Idiom, natürlich auf seine ganz eigene Weise. Unvergesslich und unsterblich der auf Englisch fixierte Hinweis auf die Bedeutung von Länderspielen der Deutschen gegen die Engländer: „It‘s a classic, we call it a Klassiker.“ Der Kaiser prägte 2001 so ein Bonmot für die Ewigkeit: ein Könner auf dem Feld der Sprache. Lothar Matthäus attestierte er einmal: „Er kann links wie rechts, hinten wie vorne.“ Ähnlich könnte man die dribbelstarke verbale Virtuosität Beckenbauers beschreiben. Dietmar Kanthak
Ruhpolding, Juli 1967. Zur Eröffnung des neuen Waldstadions kommen Bayern München und Borussia Mönchengladbach. Mein Vater und ich machen Urlaub in der Nähe von Bad Reichenhall, und bei den „Fohlen“ spielt Heinz Wittmann aus Zwiesel, ein Jugendfreund meines Vaters. Die Bayern gewinnen 3:2. Was nach dem Spiel passiert, ist unvergessen. Um ein paar Worte mit Heinz zu wechseln, warten wir in einer Gastwirtschaft. Im Saal dahinter essen die Bundesliga-Kicker. Heinz kommt tatsächlich an unseren Tisch – und nimmt mich mit zum Autogramme sammeln in den Saal. Und da sitzen sie: Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier, „Katsche“ Schwarzenbeck, „Bulle“ Roth auf der einen Seite der Tafel, auf der andern Günter Netzer, Berti Vogts, Haki Wimmer, Jupp Heynckes und an der Stirnseite die Trainer Tschik Čajkovski und Hennes Weisweiler. Wittmann stellt mich vor, und der Kaiser fragt tatsächlich: „Wos wuist denn später wern?“ Fußballprofi, was sonst! Das Talent hat nicht gereicht. Die Unterschriften auf dem Programmheft hängen gerahmt an der Wand. Bei einem guten alten Freund. Bayern-Fan wie unsereins, der den in Ruhpolding gehobenen und Jahrzehnte gehüteten Schatz zu schätzen weiß. Andreas Stanetschek

Aufruf von Verdi und EVGBilder aus Bonn und der Region vom großen Streiktag

Haus der GeschichteBilder von der Ausstellung „DeutschlandDigital“ in Bonn
