Nations League "Gutes Zeichen" - mehr nicht: Löw weiter unter Beobachtung

Paris · Selten hat eine Niederlage eine Krisensituation so beruhigt wie das 1:2 in Paris. Der Bundestrainer zeigt sich endlich als entschlossener Erneuerer. Seine Spieler aber hadern weiter mit den ausbleibenden Ergebnissen. Und Löw selbst muss sein Umdenken erst beweisen.

 Geht gestärkt aus dem Frankreich-Spiel hervor: Bundestrainer Joachim Löw.

Geht gestärkt aus dem Frankreich-Spiel hervor: Bundestrainer Joachim Löw.

Foto: Ina Fassbender

Mit einem beruhigenden Gefühl ging es für Joachim Löw zurück in die Heimat, doch der Bundestrainer bleibt unter kritischer Beobachtung.

Der mutige Auftritt seiner personell und taktisch umgekrempelten Mannschaft bei Weltmeister Frankreich stoppte erst einmal die heftigen Diskussionen, ob Löw nach der völlig misslungenen WM im Sommer tatsächlich noch zum Erneuerer werden kann. Man könne das 1:2 (1:0) in der Nations League zwar nicht als Sieg für den Bundestrainer empfinden, sagte Oliver Bierhoff. "Aber es ist ein wichtiges, gutes Zeichen", betonte der Teammanager angesichts der bemerkenswerten Leistung der jungen und umbesetzten DFB-Elf in Paris.

Ex-Weltmeister Mats Hummels berichtete von intensiven Gesprächen in der Kabine, wie der Auftritt im Stade de France denn nun einzuordnen sei. Beim Münchner Abwehrspieler selbst überwog der Ärger. "Am Ende ist Fußball Ergebnissport. Wir wollen nicht sagen, wir machen das und das gut, wenn wir jedes Mal mit einer Niederlage nach Hause gehen", sagte Hummels. Das Ergebnis sei "sehr bitter".

Auch Kollege Toni Kroos war unzufrieden: "Es wäre schlimm, wenn ich nicht enttäuscht wäre, wenn wir nach einem solchen Spiel wie heute mit nichts dastehen. Gerade, wenn man hier so ein Spiel macht, wo viele Sachen so funktionieren, wie man sich das erhofft hatte, man sich aber wieder nicht belohnt." Die deutsche Nationalmannschaft steht im Jahr 2018 jetzt schon bei sechs Niederlagen in elf Spielen - eine solche Negativbilanz gab es in der über zwölfjährigen Löw-Ära vorher nie. Noch im Vorjahr war das DFB-Team ungeschlagen geblieben.

Dankbar nahmen alle Protagonisten im deutschen Lager deshalb vor allem die hoffnungsvollen Zeichen mit, die Löw nach langem Zaudern und Zögern gesetzt hatte. Er stellte sechs Spieler, die 23 Jahre und jünger sind, in die Startelf. Er überraschte die Franzosen.

"Das System mit drei Innenverteidigern hat uns Schwierigkeiten bereitet. Die drei Stürmer haben uns in Schwierigkeiten gebracht, sie hatten viel Geschwindigkeit auf den Flügeln und ein gutes Passspiel von Kroos und Kimmich. Sie hätten uns wesentlich mehr Schmerzen zufügen können", gestand Weltmeister-Coach Didier Deschamps.

Auch sein Vorgänger Löw war vom Spiel seiner Mannschaft sehr angetan. "Die Leistung der Mannschaft war großartig. Innerhalb von zwei Tagen war es eine unglaubliche Leistungssteigerung." Hätten seine schnellen Angreifer Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sané nach dem Handelfmetertor von Toni Kroos die weiteren Konter genutzt, wäre Weltmeister Frankreich wohl kaum auch im 15. Spiel nacheinander ungeschlagen geblieben. Sein Team habe "sehr konsequent und diszipliniert" gespielt. Es habe "das Herz in die Hand genommen und mutig nach vorn gespielt", lobte Löw. Aber es war nicht effektiv.

Das blamable 0:3 zuvor in Holland hatte den 58-Jährigen quasi zu den weitreichenden Veränderungen gezwungen, denen er sich zuvor noch verwehrt hatte. "Bei der Bewertung eines Trainers geht man nicht nur von den Ergebnissen aus, die natürlich in der Distanz kommen und da sein müssen. Aber vor allem muss man eine Entwicklung sehen", betonte Oliver Bierhoff. Der Teammanager kann dem DFB-Präsidium am Freitag nun zumindest berichten, dass Löw den Neuaufbau mit frischen Impulsen angeht und auch den jüngeren Spielern dabei Hauptrollen einräumt.

"Man merkt, dass Jogi den Job mit Leidenschaft macht. Er hat sich im Sommer bewusst dafür entschieden. Er will es angehen und weiß, dass es ein Weg und Arbeit ist. Insofern habe ich bei ihm auch jetzt die Entschlossenheit gesehen", betonte Bierhoff. Selten hat eine Niederlage im Fußball eine Krisensituation so entschärft wie diese in Frankreich. "Wir haben es innerhalb von zwei Tagen, an denen es viel auf die Mütze gab, geschafft, wieder aufzustehen", bemerkte Führungsspieler Kroos. Paris sei ein Schritt "theoretisch in die richtige Richtung" gewesen, "praktisch, vom Ergebnis her, nicht".

Die individuelle Klasse der Gastgeber wendete die Partie. Antoine Griezmann traf wie beim EM-Halbfinalsieg 2016 gegen die Deutschen doppelt. Trotzdem hofft Bierhoff, die Geburtsstunde eines neuen Teams erlebt zu haben: "Das glaube ich schon. Ich glaube, man hat eine gute Energie gesehen. Man hat einen Willen gesehen." Für Löw war es zunächst einmal "eine gute Leistung, auf der man aufbauen kann".

Dass nun der Abstieg aus der Nations League schon vor dem letzten Spiel am 19. November in Gelsenkirchen gegen Holland feststehen kann, wenn Oranje zuvor gegen Frankreich gewinnt, sieht der Bundestrainer nicht als tragisch an. Die Qualifikation für die Multi-Länder-EM 2020 mit zwei oder drei Heimspielen hat für ihn ohnehin Priorität. Auch wenn man dafür als Absteiger möglicherweise nicht mehr als Gruppenkopf gesetzt wäre, sagte Löw: "Das schaffen wir."

Eine Garantie, dass er auch in den nächsten Spielen am 15. November in Leipzig gegen Russland und vier Tage später gegen die Niederlande seine Veränderungen weiter so konsequent fortsetzen wird, wollte Löw in Paris nicht geben. "Die Frage ist immer bei diesen jungen Spielern, konstant auf diesem Niveau zu spielen. Das braucht manchmal Zeit", sagte der Bundestrainer. Und erfahrene Akteure wie der kriselnde Torjäger Thomas Müller seien keineswegs abgeschrieben.

Kapitän Manuel Neuer glaubt, dass Löw dauerhaft die richtigen Schlüsse zieht. "Der Trainer ist immer den Weg mitgegangen, den modernen Fußball spielen zu wollen. Das hat er schon in den letzten Jahren gemacht. Der Jogi entwickelt sich mit uns auch weiter", sagte der Münchner. Und grundsätzlich sei ohnehin "keiner auf den Gedanken gekommen, dass es keine Zukunft für unseren Bundestrainer gibt".

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