GA-Interview Jürgen Kohler: "Götze-Ausfall nicht entscheidend"

Bonn · Jürgen Kohler hat bei Bayern München gespielt und bei Borussia Dortmund. Wenn's am Samstag (20.45 Uhr/ZDF und Sky) im Londoner Wembleystadion um den Champions-League-Titel geht, sind die Bayern sein Favorit, aber der Borussia drückt er die Daumen. Mit Kohler sprach Gert auf der Heide.

Herr Kohler, Sie haben es 1997 mit Borussia Dortmund selbst erlebt - wie gewinnt man ein Champions-League-Finale?
Jürgen Kohler: Man muss an sich glauben - und an die Mannschaft. Und man muss die entscheidenden Situationen für sich nutzen können.

Andererseits haben Sie 2002 mit dem BVB das UEFA-Cup-Endspiel gegen Feyenoord Rotterdam verloren - wie vergeigt man so ein Finale?
Kohler: Indem man wie ich zu spät kommt und schon nach 31 Minuten mit Rot vom Platz fliegt.

Waren Sie nervös vor solchen Spielen?
Kohler: Am Anfang meiner Karriere schon. Aber 1997 und 2002 hatte ich bestimmt einen Ruhepuls von 60. Wenn man die Situation einschätzen kann, ist man beinahe tiefenentspannt.

Wie muss man gestrickt sein, um einen großen internationalen Titel zu holen?
Kohler: Du brauchst so etwas wie Willensausdauer. Du darfst den Glauben an dich selbst nicht verlieren. Es gibt immer Phasen, in denen ein Spiel kippen kann, und diese Phasen musst du überstehen. Wir waren ja 1997 gegen Juventus Turin auch nicht unbedingt der Favorit. Aber wir gehen 2:0 in Führung, und dann fängt sogar eine Mannschaft wie Juve an zu wackeln. Selbst nach dem Anschlusstreffer hatte ich nie das Gefühl, dass es nochmal gefährlich werden könnte. Ich war da völlig ruhig.

Ruhepuls 60?
Kohler: Na ja, beim Laufen vielleicht 67.

Stehen sich am Samstag die beiden besten europäischen Mannschaften im Finale gegenüber?
Kohler: Aktuell, ja. Beide Mannschaften haben sich das verdient, wobei die Bayern ja souveräner durchgekommen sind. Dortmund hatte viel Glück im Viertelfinale gegen Malaga, mit dem Abseitstor und so.

Was sagt es über den deutschen Fußball aus, wenn erstmals zwei deutsche Teams im Champions-League-Finale stehen?
Kohler: Auch wenn viele Ausländer in London dabei sind, der deutsche Fußball hat sich vor allem technisch stark verbessert. So gute Fußballer wie in dieser Generation gab es schon lange nicht mehr.

Wie hat sich der Fußball verändert, seit Sie vor gut zehn Jahren aufgehört haben?
Kohler: Zeit und Raum sind weniger geworden. Du musst heute Situationen noch schneller erkennen.

Deutschland wird ja jetzt definitiv wieder einen internationalen Titel gewinnen ...
Kohler: ... aber die Engländer müssen nicht traurig sein. Immerhin verliert ja auch eine deutsche Mannschaft.

Gewinnt denn auch die Nationalmannschaft demnächst wieder einen Titel?
Kohler: Ich denke, unsere Mannschaft ist 2014 bei der WM in Brasilien der Favorit. Man muss das aber unbedingt wollen. Man sollte das auch artikulieren. Sonst ist man fehl am Platz.

Wer ist ihr Favorit am Samstag?
Kohler: Die Bayern. Weil sie extrem von sich überzeugt sind.

Was bedeutet es für den BVB, dass Mario Götze nicht spielen kann?
Kohler: Das wird nicht entscheidend sein. Mario ist ein toller Fußballer, aber Dortmund braucht an diesem Tag elf Schlüsselspieler und nicht nur einen.

Bei den Bayern haben Sie unter Jupp Heynckes trainiert. Wären Sie auch mit Jürgen Klopp gut klargekommen?
Kohler: Ich hatte nie mit einem Trainer Probleme. Ich war immer so selbstbewusst zu sagen: Ich bin sowieso der Beste auf meiner Position. Auch Einzelgespräche habe ich nie gebraucht. Die kann ich in bald 20 Profijahren an meinen zehn Fingern abzählen.

Wie haben Sie Heynckes in München erlebt?
Kohler: Er war damals schon ein Guter, sehr akribisch. Aber den Feinschliff hat er erst im Ausland bekommen. Er ist gelassener geworden, souveräner, lebenserfahrener. Die Zeit in Spanien hat ihm am meisten Profil gegeben. Nicht weil er unter anderem bei Real Madrid war, sondern ganz einfach, weil er im Ausland war. Im Ausland kannst du dich zuerst nicht auf die Sprache verlassen und musst dich ganz neu beweisen. Das geht nur über Leistung. In der Bundesliga, wo du zu Hause bist, ist das anders. Da wird schonmal ein Auge zugedrückt.

Wie steht's denn mittlerweile um Ihr Italienisch?
Kohler: Das ist noch gut. Der Jürgen Klinsmann kann's ja perfekt, aber der hat auch dafür richtig gebüffelt. Ich hab das Umgangsitalienisch gelernt. Piemontesisch, das manchmal ein bisschen ins Französische geht. Ich brauche jedenfalls keinen Dolmetscher. Wir fliegen seit 15 Jahren nach Sardinien in den Urlaub, und nach zwei, drei Tagen funktioniert das dann wieder.

Das hört sich so an, als wollten Sie die Zeit bei Juventus Turin nicht missen.
Kohler: Definitiv. Auch weil ich dort viele Leute kennengelernt habe, die sich keine wirtschaftliche Unabhängigkeit erarbeiten konnten. Die Italiener haben eine unheimliche Lebensfreude, selbst wenn sie rund um die Uhr schuften müssen.

Werden wir Klopp auch bald im Ausland sehen?
Kohler: Ich denke, er hat viele Optionen. Aber gerade die großen Vereine schauen auf internationale Titel.

Mandzukic oder Lewandowski - gegen wen hätte der Innenverteidiger Jürgen Kohler lieber gespielt?
Kohler: Als ich jung war, wäre mir das egal gewesen. Der komplettere Spieler ist sicherlich Lewandowski, wobei Mandzukic der bessere Teamspieler ist, weil er noch mehr arbeitet.

Sollten die Bayern tatsächlich drei Titel gewinnen, was hat Pep Guardiola dann nächstes Jahr in München noch zu erledigen?
Kohler: Ach, der ist das doch gewohnt. In Barcelona hat er ja auch oft drei Titel gewonnen und musste die wieder verteidigen. Sollte es tatsächlich so kommen, wird Pep einer der ersten sein, der dem Jupp gratuliert. Er ist trotz seiner Erfolge freundlich, bescheiden und demütig geblieben. Das gefällt mir unheimlich gut. Ich finde ihn als Mensch beeindruckend. Seine Bodenständigkeit ist auch nicht aufgesetzt.

Werden die Bayern jetzt über Jahre den europäischen Fußball dominieren?
Kohler: Nein. Das sind ja immer Perioden, ein Kommen und Gehen. Eine Mannschaft dominiert eine Zeit lang, dann kommt wieder eine andere.

Wem drücken Sie am Samstag die Daumen?
Kohler: Dem BVB. Daraus mache ich auch keinen Hehl.

Welcher Ihrer Ex-Vereine hat Sie nach London eingeladen?
Kohler: Borussia Dortmund.

Werden Sie die Einladung annehmen?
Kohler: Wahrscheinlich nicht, weil ich private Termine mit meinen Kindern habe. Familie geht vor. Das war bei mir als Profi ja viele Jahre nicht so.

Zur Person
Jürgen Kohler (47) schaffte den Durchbruch bei Waldhof Mannheim und spielte später beim 1. FC Köln, Bayern München, Juventus Turin und Borussia Dortmund. Der Champions-League-Sieger von 1997 und Weltmeister von 1990 absolvierte 105 Länderspiele. Nach dem Karriereende 2002 arbeitete er als Trainer, unter anderem 2012 kurzzeitig bei den A-Junioren des Bonner SC. Heute hilft Kohler dem Regionalligisten Waldhof Mannheim als sportlicher Leiter - ehrenamtlich. Seit einigen Jahren wohnt er mit seiner Familie in Grafschaft-Vettelhoven.

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