Debüt in der Nationalmannschaft Wolf ist der Aufsteiger mit langem Anlauf im DFB-Team

Mainz · Der frühere Kölner Marius Wolf hat beim 2:0 gegen Peru gezeigt, dass er der Nationalmannschaft als Rechtsverteidiger weiterhelfen kann. Für die Heim-EM 2024 hat Bundestrainer Hansi Flick nun eine vielversprechende Option.

Dynamisch und zweikampfstark: Marius Wolf (links) hier bei seinem DFB-Debüt gegen Peru.

Dynamisch und zweikampfstark: Marius Wolf (links) hier bei seinem DFB-Debüt gegen Peru.

Foto: AP/Michael Probst

Marius Wolf steht nicht im Verdacht, ein Temposünder zu sein, nein, er ist tatsächlich einer. Das darf man auf verschiedene Arten interpretieren. Mit seinem bekannten Hang und Drang zu schnellen Autos hat sich der Oberfranke nicht wenige Male im Durchdrücken des Gaspedals versucht und war dabei über das Ziel hinausgeschossen. Die unliebsame Folge: Führerscheinentzug, was ihn nicht daran hinderte, weiterhin in den Beschleunigungsmodus zu schalten. Das Fahren ohne Führerschein brachte ihm vor Jahren eine saftige Geldstrafe ein. Wolf, ausgestattet mit einer Leidenschaft für Tattoos und Schmuck, begleitet seit jeher die Neigung, Aufgeregtheit zu entfachen. Wie seinerzeit als Leihspieler des 1. FC Köln, als er im grauen Ferrari GTC4Lusso, versehen mit zarten 690 PS, an seinem ersten Arbeitstag am Geißbockheim einen Platz fand neben all den Zweckkarossen auf dem Waldparkplatz im Grüngürtel

Als Temposünder lässt er sich, wenn man so will, auch bei seiner hauptamtlichen Arbeit als Fußballer einstufen. Denn seine rechte Außenbahn benutzt er gerne mal als Schnellstraße, die ihn in dieser Saison unter Umgehung des Kreisverkehrs in den Kreis der deutschen Nationalmannschaft führte. Bei seinem Debüt am Samstag gegen Peru offenbarte er gleich mal all seine Vorzüge, die er auf seiner Position für sich zu nutzen weiß. Beim 2:0 gegen die Südamerikaner in Mainz zum als Neustart proklamierten Jahresauftakt nach dem WM-Desaster in Katar deutete er deutlich an, dass die Position des Rechtsverteidigers im DFB-Team nicht nur von Notlösungen notdürftig zusammengehalten werden muss. In Katar etwa hatte es Hansi Flick dort ja versucht in kläglichen drei Spielen mit gleich vier verschiedenen Rechtsverteidigern, inklusive des Mittelfeldspielers Joshua Kimmich.

Bundestrainer Flick lobt Debütanten

Wolf, zuvor schon in seinem neuen Teilzeit-Umfeld beim DFB-Training in Frankfurt aufgefallen mit einem erhöhten Vorkommen an Selbstbewusstsein, vertiefte sich mit seinem Auftritt offenbar im Bewusstsein des Bundestrainers. Jeder habe gesehen, dass er „sehr viel Dynamik auf seiner Seite entfacht hat“, sagte Flick, „er hat seine Sache sehr gut gemacht“. Der Mann mit den streng nach hinten zum Zopf gezogenen blonden Haaren und dem Schnäuzer hat sich gleich in die Statistikbücher der deutschen Auswahl eingetragen. Er leistete die Vorarbeit zu einem der beiden Treffer, die Niclas Füllkrug für sich reklamieren darf. Das 2:0 war eine Maßarbeit in Entstehung und im Abschluss. Alles habe dabei „perfekt“ funktioniert, referierte der Bremer Füllkrug am späten Samstagabend im Bauch der Mainzer Arena, „Marius’ Ball vorn rein“: perfekt, „das Timing“: perfekt, „die Vorabseitslinie“: perfekt erwischt. Seine Flanke, erkannte auch Flick die Präzisionsarbeit des Assistenten Wolf an, sei genau gekommen zwischen Abwehr und Torwart, „so muss es sein“.

Dass Wolf einmal ein derartiges Lob aus höchsten Kreisen erfahren würde, schien Jahre lang ausgeschlossen. Mit seinen 27 Jahren ist der Dortmunder ein Spätberufener. Dabei schien die Nationalmannschafts-Karriere schon in seinem Jahr bei Eintracht Frankfurt nicht als realitätsferne Theorie, zumal Wolf Anteil hatte am DFB-Pokalsieg der Hessen 2018 (3:1 im Finale gegen Bayern). Seitdem ziert ein Körperbild der DFB-Trophäe seinen Unterschenkel. Doch höhere Weihen blieben nicht mehr als eine Fiktion. Bis heute. Nun hat er zu gelten als Aufsteiger mit langem Anlauf und vielen Ablehnungen in seiner bisherigen Laufbahn. Die Zweifel am eigenen Talent, die zwischendurch im Pfeifferschen Drüsenfieber Ausdruck fanden, scheinen längst verschüttet. In Mainz hatte er jedenfalls ein „sehr gutes Erlebnis“, zumal es „Riesenspaß“ mache, mit „den Jungs zu kicken“.

Wolf ist ein besessener Arbeiter

Nun sollte man nicht den Fehler machen, dem zur Extravaganz und Extrovertiertheit neigenden Fußballer auf seine Außenwirkung zu reduzieren. Ganz im Gegenteil lässt sich der Fußballer Wolf deutlich vom Privatmenschen Wolf trennen. Er gilt als knallharter Malocher, der wie ein Besessener schuftet, einer mit makellosem Arbeitsethos, er vertraut einem eigenen Ärzteteam, arbeitet intensiv mit einem Fitnesstrainer zusammen. Stieß der erfolgshungrige Wolf in seiner Jugend, oft geschmäht als zu langsam, häufig auf Barrieren, die zu überwinden waren, gehört seine Sprintkraft inzwischen zu den Vorzügen. Vorzüge, die die Fantasie entstehen lassen, dass da wieder einer herangewachsen ist, der die Unverbindlichkeit auf der rechte Schiene zu etwas Beständigem umbiegen kann. Seit Philipp Lahm diese Zone zu seinem Hoheitsgebiet erklärt hatte, wagte sich kein Kandidat mit Nachdruck dort hinein. Nun entspräche es nicht der im Fußball gebotenen Fairness, einen gleichwertigen Erben für den Weltmeister-Kapitän zu erwarten, der mit penetranter Präzision die Außenverteidigerrolle einnahm. Auf beiden Seiten. Spielte Lahm rechts, gab es dort Weltklasse, spielte er links, gab es dort Weltklasse.

Dass nach dem heutigen Chef-Organisator der Heim-EM 2024 dieses Feld brachliegt, hat sich der DFB selbst zuzuschreiben. Jahrelang hat es der deutsche Fußball versäumt, Spezialkräfte auf den Außen und im Sturmzentrum auszubilden. Er nahm in Kauf, dass sich die talentiertesten Nachwuchsspieler in der Rolle des Außenverteidigers als Randfiguren vorkommen mussten. Er fördert so quasi eine Randflucht der jungen Menschen in die Metropolen auf dem Platz und eine Ausbildung, die Meikel Schönweitz in der „Süddeutschen Zeitung“ als „multifunktional“ beschrieb. Es komme oft vor, sagte der Verantwortliche der Nachwuchsteams des DFB, dass „im Juniorenbereich die stärksten Spieler erst mal im Zentrum landen“. Auch wenn die Ausbildung der Talente nun anders angelegt werden soll, verhindert das nicht, dass „ein paar Jahre der Spezialisierung verloren gegangen“ sind.

DFB-Ausbildung orientiert sich um: mehr Spezialisten

Wolf nun hat angedeutet, dass da ein Spezialist in die Randrolle drängt, der einen weiten Bogen um alle deutschen U-Mannschaften machte. Sein BVB-Kollege Nico Schlotterbeck jedenfalls ist ein vehementer Fürsprecher dieses Ansatzes. „Der Marius“, sagte der Innenverteidiger in Mainz, „ist immer der Richtige – egal ob im Verein oder hier beim DFB. Wir wissen alle um seine Qualitäten.“ Die dürfte er auch am Dienstag im Test gegen Belgien in Köln einsetzen. Das käme auch Füllkrug sehr gelegen. Ein Kaltgetränk ob Wolfs Vorlage wollte er ihm am Samstagabend allerdings nicht unbedingt versprechen. „Wir spielen ja in drei Tagen schon wieder.“

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