Führungsspieler der Nationalmannschaft Matthias Ginter ein Anführer im DFB-Team

Bonn · Matthias Ginter hat sich in der Nationalmannschaft unentbehrlich gemacht. Gegen Portugal soll der DFB-Verteidiger Superstar Cristiano Ronaldo stoppen

 Obenauf: Gegen Frankreich zeigte Matthias Ginter (links), dass er gegen Weltstars wie Kylian Mbappé (Mitte) bestehen kann.

Obenauf: Gegen Frankreich zeigte Matthias Ginter (links), dass er gegen Weltstars wie Kylian Mbappé (Mitte) bestehen kann.

Foto: AP/Matthias Hangst

Hätte man den Weltstar Cristiano Ronaldo vor sieben Jahren gefragt, wer denn bei der deutschen Mannschaft alles so im Kader stehe, er hätte vermutlich mit einem Achselzucken geantwortet. Und hätte man ihn konkret gefragt, ob er denn Matthias Ginter kenne, er hätte sich vermutlich irritiert weggedreht. Matthäus? Ja, vielleicht. Aber Matthias? Nie gehört. So dürfte dem Portugiesen auch heute noch nicht bewusst sein, dass ein gewisser Matthias Ginter 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Zu Ronaldos Ehrenrettung sei gesagt, so wirklich in Erscheinung getreten ist der damalige Freiburger in Brasilien ja auch nicht. Seine Einsatzzeit auf dem Feld: null Sekunden in sieben Spielen.

Nun ist davon auszugehen, dass Ronaldo auch heute noch darauf verzichtet, in einem dunklen Räumchen eingehenden Videostudien über seine kommenden Gegenspieler zu betreiben. Bei ihm dreht sich ja eher alles um sich selbst. Bei Ginter dagegen dreht sich alles grundsätzlich um die Mannschaft, deshalb war auch kein Murren von ihm zu vernehmen, als er auch bei der WM vier Jahre später als Bankangestellter ein sehr sicheres Arbeitsverhältnis hatte. Einsatzzeit auf dem Feld in Russland: null Sekunden in lächerlichen drei Spielen. Dass „Matze“ Ginter, 27, dabei war bei dem Turnier zum Vergessen, hat man schnell vergessen. Die Spieler selbst, die den Kurztrip in den Osten mitgemacht haben, versuchten ja auch schnell, das Ganze zu vergessen.

Turniere und Ginter, das passte lange nicht zusammen. Denn für die EM 2016 nominierte ihn Joachim Löw erst gar nicht. Und die EM 2020 verpasste er auch, aus einem Grund allerdings, den man akzeptieren sollte: Pandemie, Turnier verschoben. Die Meisterschaft heißt zwar immer noch EM 2020, läuft aber gerade im Sommer 2021. Dass sich der Gladbacher nun gänzlich ohne Turniererfahrung bei dieser EM mit Größen wie Ronaldo oder zuletzt Kylian Mbappé auseinanderzusetzen hat, stimmt dann aber auch nicht ganz. Gnadenhalber sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Ginter Confed-Cup-Sieger 2017 und Olympia-Zweiter 2016 geworden ist – als Spieler. Als Zuschauer erlebte der damals jüngste Spieler im DFB-Kader das bislang letzte Aufeinandertreffen der Nationalmannschaft und Portugal in der WM-Arena Fonte Nova in Salvador 2014. Das hindert ihn nicht daran, das 4:0 zum Auftakt noch heute als „ein Riesenerlebnis“ zu empfinden.

Ginter ist Weltmeister ohne Einsatz

Das soll auch dieses Turnier werden, in dem Ginter kein Auszubildender mehr ist, sondern den Aufstieg zur Führungskraft längst vollzogen hat. Selbst wenn das vielen Menschen in etwa so bewusst ist wie der weltmeisterliche Status des Verteidigers. Sein Ziel definierte er mit einer Klarheit, die ihn auch auf dem Rasen auszeichnet. Im DFB-Team wolle er „eine ähnliche Rolle haben wie im Verein“, sagte er neulich dem „Kicker“, „ganz klar“. Eine Führungsposition also. Anleihen nimmt er bei anderen Athleten, wie sie ihre Führungsrolle interpretieren. „Ich schaue auch heute noch immer wieder auf andere Sportler und die Art und Weise, wie sie eine Mannschaft führen“, sagt er, „um daraus zu lernen.“ Die Vita der Basketballlegende Dirk Nowitzki und von NBA-Star LeBron James dienen ihm da als idealer Lernstoff. Auch Philipp Lahm, sein Weltmeisterkollege, inspiriert ihn – auch weil der ebenfalls auf eher leisen Pfoten unterwegs ist. Lahm habe in seiner Zeit als DFB-Kapitän seine Stärken in den ruhigen Momenten bewiesen, in Einzelgesprächen mit den Mitspielern. „Er war kein unermüdlicher Lautsprecher.“ Sondern eher wie er selbst: ein bisschen stiller.

Seine Karriere hat sich ein wenig unter Ausschluss der Öffentlichkeit entwickelt. Still, aber steil ging es bei ihm voran. Beim EM-Start gegen Frankreich zeigte er, dass er seine Position in der Abwehr, diesmal auf der rechten Seite der Dreierkette, tadellos ausführen kann. Der stille Boss glänzt nicht mit Anweisungen an seine Mitspieler in Marktschreierqualität. Seine Vorzüge: Antizipation, Stellungsspiel und Robustheit. Er ist ein geschickter Zweikämpfer, und auch seine Spieleröffnung hat inzwischen ein bemerkenswertes Niveau erreicht. Gegen den Weltmeister war er, wenn man so etwas bei einem Verlierer überhaupt behaupten darf, einer der Gewinner.

Am Samstag im zweiten Vorrundenspiel gegen die Portugiesen wird er sich nun mit ebensolcher Widerstandsfähigkeit gegen Ronaldo beweisen müssen. Bislang ist dem EM-Rekordtorschützen (elf Tore) noch kein Treffer gegen ein DFB-Team geglückt. Ginter will dafür sorgen, dass sich der Europameister auch diesmal wie bei der WM 2014 fühlen wird: gekrängt wegen einer Niederlage. Zwar kennt er Ronaldo schon aus den Aufeinandertreffen des BVB mit Real Madrid, eine gewissenhafte Spielvorbereitung ist für ihn dennoch unerlässlich. Er schaue sich zwar „nicht seine Best-of-Szenen an“, sagte Ginter. Und lächelte still. „Das könnte nicht so gut enden.“ Ein Videostudium gehört für ihn gleichwohl zum festen Bestandteil vor dem Spiel.

DFB-Spieler des Jahres 2019

Auf 41 Länderspiele (2 Tore) bringt er es mittlerweile, war Nationalspieler des Jahres 2019 und schoss das DFB-Tor des Jahres – per Hacke, ja, auch das kann er, der wegen seiner Flexibilität in allen Ketten-Anordnungen dieser Welt zurechtkäme. Zwar bevorzugt er die Zentrale, doch auch als Rechtsverteidiger wäre er jederzeit eine starke Option. Auch das gibt Selbstvertrauen. Zwar begegnet Ginter Ronaldo, einem „der besten Stürmer der Welt“, sehr respektvoll. Aber: „Wir freuen uns auf ihn und alle anderen, die uns da vorne begegnen werden.“

Sich nur auf den Superstar zu konzentrieren erachtet der Borussen-Profi dabei als „einen Fehler.“ Ablenken lassen will er sich auch nicht durch Spekulationen über ein angebliches Interesse von Bayer Leverkusen. „Ich sehe mich mehr als Mannschaftsspieler und mache nicht mein eigenes Ding, damit ich meine eigene Bühne habe“, sagte er, der längst auf der großen Bühne seinen Platz gefunden hat.

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