Boxerin aus Rheinbach Coronavirus wirbelt Pläne von Sarah Liegmann durcheinander
Rheinbach · Nach den Abiturprüfungen wollte Sarah Liegmann im Mai in die USA reisen, um ihre Profi-Boxkarriere anzuschieben. Nun aber muss sich die GA-Sportlerin des Jahres in Geduld üben - und in der Garage trainieren.
Spätestens nach ihrer Wahl zur GA-Sportlerin des Jahres 2019 im vergangenen Oktober war davon auszugehen, dass sich Sarah Liegmann auf ihrem Weg nach ganz oben von nichts und niemandem aufhalten lässt. Doch sechs Monate später: Corona. „So ein Kack-Virus!“, entfährt es Liegmann wütend, ehe sie sich für den verbalen Ausbruch entschuldigt: „Aber das musste jetzt einfach mal raus.“
Ein großer Vorteil des Boxens liegt darin, so richtig Dampf ablassen zu können – auf nonverbale Art. In kaum einer anderen Aktivität lässt sich Energie so kanalisieren wie in der Sportart mit den harten Schlägen und den flinken Beinen. Und Liegmann strotzt vor eben dieser zur Genüge und wartet nur darauf, das der (Box-)Welt auch zu zeigen.
Coronavirus macht ihr einen Strich durch die Rechnung
Doch momentan ist ihr vom Coronavirus ihre große Leidenschaft genommen worden, zumindest im Trainings- und Wettkampfring. Lediglich die zum Fitness- und Boxraum umfunktionierte Garage steht der Rheinbacherin als Trainingsort zur Verfügung. Dabei sollte es anstatt der kleinen und dunklen Garage bald die große Bühne unter hellem Scheinwerferlicht sein.
Liegmann verfolgte einen klaren Plan: Während der Schulzeit legte sie sich durch das Kickboxen die technischen und körperlichen Grundlagen zu und erkämpfte sich 17 Weltmeistertitel im Amateur-Kickboxen. Nach dem Abitur in diesem Jahr wollte sie sich dann vollkommen auf das reine Boxen konzentrieren und im besten Fall den Weg ins Profigeschäft einschlagen. Ein Jahr lang wolle sie sich nach der Schule Zeit nehmen, um zu schauen, ob sie das Potenzial zur Profiboxerin habe, kündigte Liegmann bereits vor einiger Zeit an. Bereits bei der GA-Sportlergala im Saal Friedensplatz der Sparkasse Köln-Bonn hatte sie die Frage von Moderator Wolf-Dieter Poschmann, ob sie berühmt werden wolle, mit einem klaren „Ja“ beantwortet.
Im Moment ist alles ungewiss
Doch nun, im Frühjahr 2020, „läuft alles anders als geplant. Eigentlich hätte ich am 21. April meine erste Abiturprüfung schreiben sollen und wäre schon im Mai in die USA geflogen“, sagt Liegmann. Dort wollte sie sich einen Kampf der US-Amerikanerin Claressa Shields, einer der besten Boxerinnen der Welt, anschauen und schon einmal die Fühler zum amerikanischen Boxsport ausstrecken. Ein Training mit Shields’ Coach war angedacht, um sich einen ersten Eindruck über eine mögliche Zusammenarbeit zu verschaffen. Das hatte Shields’ Manager arrangiert, der in Zukunft womöglich auch die 18-jährige Nachwuchsboxerin betreuen wird. Denn Karriere machen will Liegmann in Nordamerika, wo der Sport deutlich populärer und lukrativer ist als in Deutschland.
„Wenn das so weit gepasst hätte, wäre ich im Sommer für vier bis acht Wochen in die USA gegangen und hätte geschaut, ob ich mit dem Boxen Geld verdienen kann“, sagt sie. „Dann hätte sich gezeigt, ob ich dauerhaft in den USA leben und trainieren würde oder ob ich immer nur für die Wettkampfvorbereitung rübergeflogen wäre.“ Liegmann spricht im Konjunktiv. Gewiss ist im Moment nur die Ungewissheit: „Wann schreibe ich mein Abitur? Wann kann ich in die USA fliegen? Lassen die mich überhaupt rein?“
Fragen, auf die Liegmann aktuell keine Antworten bekommt, die aber herausklingen lassen, dass sie ihren Traum nicht aufgegeben, sondern nur verschoben hat. „Ich habe sieben Jahre darauf hingearbeitet, Profi zu werden. Auch meine Familie hat ihr Leben komplett danach ausgerichtet, um mir das zu ermöglichen. Ich lasse mir das jetzt von Corona nicht alles kaputtmachen.“
Liegmann hat Disziplin in der Schule und im Sport
Sie versuche, ihre Routine beizubehalten. „Ich lerne so, als würde ich das Abitur schreiben, was ich auch unbedingt möchte, da ich meinen Durchschnitt noch verbessern will“, sagt Liegmann, die neben oder „ansonsten eben nach dem Boxen“ Psychologie studieren möchte. „Zudem gehe ich sehr viel laufen und bin dadurch so fit wie noch nie. Mein Boxtrainer Ingo Cremer hat mir Trainingspläne geschrieben, die ich abarbeite.“
Ein bis zwei Einheiten stehen pro Tag auf dem Programm: Immer wieder geht es um die Kombination aus Ausdauer und Kraft. Als Hilfe dienen auch Fitnessvideos auf Youtube, die Liegmann zur Motivation und Inspiration zu Rate zieht. „An manchen Tagen habe ich auch keine Trainingsideen, und da ist es praktisch, wenn ich die Übungen einfach nachmachen kann.“
Etwas Positives haben der Aufschub des US-Abenteuers und die Entschleunigung dann aber doch. „Dadurch habe ich mehr Zeit mit meinem Freund, das ist schön“, sagt Liegmann. Und wenn auch Ende des Jahres eine Einreise in die USA bis auf Weiteres nicht möglich sein sollte, „konzentriere ich mich vielleicht doch erst einmal auf das olympische Boxen, wer weiß. Das war so eigentlich nicht vorgesehen, aber man muss eben immer einen Plan B in der Hinterhand haben“. Einen Plan B, der durchaus eine Überlegung wert ist. Denn auch Claressa Shields nahm 2012 und 2016 an den Spielen teil. Zweimal wurde es für die 25-Jährige die Goldmedaille.