Unter die Räder gekommen Das G-A-Team testet Kunstradfahren

Duisdorf · Vom Schreibtischstuhl auf den Fahrradsattel: Redakteur Joshua Bung hat bei den Radsportfreunden Bonn-Duisdorf für das G-A-Team Kunstradfahren ausprobiert.

Mitleid spricht aus den Augen der Kinder. Da radelt dieser unbewegliche Mann im blauen Trikot durch ihre Trainingshalle. Hier, in Bonn-Duisdorf, wo die acht- bis 14-Jährigen sonst an ihren Figuren auf dem Kunstrad feilen, spielen sich an diesem Abend dramatische Szenen ab. Beine verknoten sich, Räder stellen sich quer – und der ungeschickte Mann auf dem Fahrrad droht jeden Moment, aus dem Sattel zu kippen.

So etwas ist eigentlich nichts für Kinderaugen. Heute muss es leider sein. Die Leser haben mir sinnbildlich den Redakteursstuhl unterm Hintern weggezogen, mich auf einen Sattel gesetzt und für das G-A-Team zu den Radsportfreunden Duisdorf geschickt – hier soll ich Kunstradfahren ausprobieren. Hat das was mit Kunst zu tun? Ja, hat es. Und genau darin liegt das Problem. Ich bin im Turnen schon keine Koryphäe. Jetzt soll ich das Ganze bei voller Fahrt auf einem Zweirad meistern.

Ich versuche, mir irgendwo seelischen Beistand zu holen und setze dabei auf meine heutige Trainerin Christina Vianden – aber die macht alles nur noch schlimmer. „Ein Kunstrad hat keine Handbremse“, erklärt sie mir mit einem Lächeln. Stattdessen soll ich doch bitte mit den Pedalen abbremsen. Probiere ich direkt mal aus, denke ich mir, fahre los und stoppe so abrupt ab, dass ich beinahe über den Lenker fliege. Durch den Rückstoß werde ich schließlich derartig heftig in den Sattel gedrückt, dass ich empfindlich zwischen den Beinen getroffen werde. Ich atme tief ein und langsam wieder aus.

Füße stehen auf den Dornen

„Du musst den Schwung der Pedale mitnehmen“, ruft Vianden mir zu. Dieser Tipp wäre Sekunden zuvor goldwert gewesen – aber hey, filigran sein gehört eben auch nicht unbedingt zu meinen Stärken. Später schafft es die 24-Jährige dann jedoch irgendwie, mir ein paar Figuren beizubringen – die ein Kunstrad-Legastheniker wie ich bewältigen kann. Häufig stelle ich mich dabei auf die sogenannten Dornen – kleine Metallstäbchen, die jeweils rechts und links an Vorder- und Hinterrad abstehen. Hier kann ich meine Füße absetzen und dann beispielsweise mein Bein ästhetisch wertvoll nach hinten wegstrecken. Wobei das bei mir so aussieht, als hätte ich einen üblen Krampf im Oberschenkel.

Apropos übel: Während ich meine Figuren auf dem Kunstrad turne, fahre ich die ganze Zeit im Kreis. Auf dem Boden sind weiße, runde Linien abgeklebt, zwischen denen ich mich bewegen muss. Klappt bei mir nicht immer – das nennt man künstlerische Freiheit, versichere ich meiner Trainerin Vianden, die aktuell übrigens Weinkönigin von Duisdorf ist. Dass ich in der Halle permanent Schlangenlinien fahre, hat jedoch nichts mit gegorenem Traubensaft zu tun – auch, wenn die Kinder während des Trainings immer wieder irritiert und fast schon besorgt zu mir herüberschauen.

Bevor ich meine finale Aufgabe absolviere, will ich von Vianden aber noch wissen, wie hoch das Verletzungsrisiko beim Kunstradfahren ist. „Da passiert eher selten etwas“, beruhigt sie mich, um gleich danach ungeniert die Wahrheit ans Licht zu bringen: „Hin und wieder gerät mal ein Fuß zwischen die Speichen. Auch Prellungen und Brüche sind natürlich möglich“, erläutert die Biomedizin-Studentin.

Sie selbst habe sich schon zweimal etwas gebrochen. „Am besten fängt man früh mit dem Kunstradfahren kann. Je älter man ist, desto weniger traut man sich zu“, ergänzt Vianden. Ich erinnere mich an die sorgenvollen Blicke der Kinder. Und auf einmal wird mir alles klar. Sie wussten es von Anfang an – ich hatte nie eine Chance.

Selig sind die geistig Armen: Ich gehe trotz aller Warnsignale in die finale Prüfung. Normalerweise dauert ein Kunstradauftritt etwa fünf Minuten. Profis schaffen in dieser Zeit 25 bis 30 Übungen. Ich soll heute lediglich fünf Figuren turnen – von denen ich insgesamt drei meistern muss, um erfolgreich zu sein.

Das Kunstrad wackelt bedrohlich

Die erste Übung ist der Rahmenbeugestand. Ich fahre in den Kreis und trete dreimal kräftig in die Pedale. Dann bugsiere ich mein rechtes Bein auf den Rahmen und richte mich langsam auf. Das Kunstrad wackelt bedrohlich, als ich zum Finale der Kür noch mein linkes Bein nach hinten weg strecke. Durchdrücken klappt nicht, lenken auch nicht, aber ich schaue siegessicher herüber zu Vianden und den Kindern. „Das zählt“, fordere ich. Die Kinder sind sich noch unschlüssig. Vianden zeigt sich gnädig und hebt den Daumen nach oben. „Das hätte aber viel Punktabzug gegeben“, drosselt sie meine aufkeimende Hybris. Egal, die nächste Übung wartet schon.

Beim Sattelknien soll ich, wie der Name der Übung schon sagt, mein Knie auf den Sattel befördern. Doch ich versage total. Mein Bein macht einfach nicht mit. Schuld sind meine "muskulösen" Oberschenkel – die schränken selbstverständlich die Beweglichkeit ein. Übung drei – die Fußsteuerung – ist wieder leichter. Ich muss das Kunstrad mit den Füßen lenken. Das gelingt mir in Profimanier.

Dann kommt der Seitpedalstand. Ich soll mit beiden Beinen auf einem Pedal stehen und so das Kunstrad bewegen. Leider verliere ich dabei komplett das Gleichgewicht und berühre schneller den Boden, als ich "Seitpedalstand" sagen kann. Bei der letzten Übung – dem Dornbeugestand – werfe ich dann alles in die Waagschale, setze meinen Fuß auf den hinteren Dorn auf und strecke mein anderes Bein in die Luft – unbändiger Jubel.

Die finale Prüfung habe ich bestanden, die Kunst ist bei mir jedoch irgendwo zwischen Rahmenbeugestand und Sattelknien verloren gegangen.

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