Lärm um Gaucks Olympia-Absage - Missliche Lage für IOC

Berlin · IOC-Präsident Thomas Bach wollte die unangenehme Nachricht nicht kommentieren. Die Ankündigung von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht nach Sotschi zu reisen, hat die Diskussionen um die politisch belasteten Spiele an der russischen Schwarzmeerküste neu befeuert.

Knapp zwei Monate vor der Eröffnungsfeier gewinnt auch die Frage nach der Menschenrechtslage als Kriterium für die Vergabe Olympischer Spiele weiter an Brisanz. Spätestens bei der Sitzung der Exekutive Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Dienstag in Lausanne wird sich Bach zur gesamten Thematik äußern müssen.

Mit einem Boykott habe Gaucks Schritt nichts zu tun, versuchte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper zu beschwichtigen. "Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet", sagte der Spitzenfunktionär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Eine Reise von Gauck sei auch nicht geplant gewesen.

Politiker werteten Gaucks brisante Absage unterdessen als Reaktion auf Moskaus rigiden Umgang mit Menschenrechten. Gauck hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt. Der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning nannte die Entscheidung eine "wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen". "Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele." Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf, sagte der Beauftragte der Bundesregierung der dpa. "Die Weltöffentlichkeit lässt sich von solchen Inszenierungen nicht darüber hinweg täuschen, dass Russland an anderer Stelle die Menschenrechte massiv verletzt."

Als starkes politisches Zeichen begrüßte Manfred von Richthofen den Schritt Gaucks. "Ich ziehe meinen Hut vor der Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten", sagte der DOSB-Ehrenpräsident im Deutschlandfunk. Es sei hervorragend, dass man sage: "Sport lebt nicht auf einer Insel der Seligen, sondern mitten in unserer Gesellschaft." Deshalb habe man sich an bestimmte Formen und Richtlinien zu halten.

Dagegen muss Bach, der die Spiele von seinem Vorgänger Jacques Rogge "geerbt" hat, den 2007 geschlossenen Pakt zwischen dem IOC und Kremlchef Wladimir Putin regelmäßig verteidigen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf des Ringe-Spektakels sicherzustellen. Er sei überzeugt, dass Sotschi im Februar ausgezeichnete Spiele präsentieren würde, so der neue Ober-Olympier bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit. Neben Menschenrechtsverletzungen belasten Terrorgefahr, internationale Empörung über das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Kostenexplosion das Großereignis.

Ein Sotschi-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) blieb zunächst offen. Es gebe derzeit noch keine Planungen zu einer möglichen Reise der Kanzlerin, sagte eine Regierungssprecherin. Das Bundespräsidialamt hatte der russischen Regierung mitgeteilt, dass Gauck nicht zu den Spielen vom 7. bis 23. Februar kommt. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten bestätigte am Sonntag einen entsprechenden Bericht des "Spiegel". Das Magazin interpretierte den Schritt als Kritik an den Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition in Russland.

"Ein Besuch des Bundespräsidenten in Sotschi selbst war unseres Wissens bislang nicht geplant", hieß es in einer DOSB-Erklärung vom Sonntag. Vielmehr plane das Staatsoberhaupt zur Willkommensfeier der deutschen Olympia-Mannschaft am 24. Februar nach München zu kommen. "Wir haben Herrn Bundespräsident Joachim Gauck eingeladen, die deutsche Olympia-Mannschaft bei dieser Gelegenheit zu empfangen und zu begrüßen", teilte der DOSB weiter mit. "Wir freuen uns, dass der Bundespräsident diese Einladung annehmen möchte." Die Mannschaft empfinde dies "als Zeichen der Anerkennung und des Ansporns".

Gaucks Sprecherin wies darauf hin, es gebe keine feste Regel, dass Bundespräsidenten zu Winterspielen reisten. Auch Horst Köhler sei 2010 nicht ins kanadische Vancouver gekommen. Gauck hat Russland allerdings seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet. Sein Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, sein Vater war mehrere Jahre in einem sibirischen Arbeitslager interniert. Die Olympischen Sommerspiele und Paralympics in London 2012 hatte Gauck besucht.

In Russland stieß seine Absage auf Missbilligung: "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will", twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow.

Kritik an den Sotschi-Spielen ist in Russland ohnehin unerwünscht. Unter Polizeischutz ging am Wochenende in Moskau die Premiere der Dokumentarfilmproduktion "Putins Spiele" über die erste Winterolympiade in Russland ruhig zu Ende. In dem vom deutschen Fernsehen finanzierten Enthüllungsfilm sprechen Augenzeugen über das schwere Leben zwangsumgesiedelter Russen, undurchsichtige Geschäfte und Korruption sowie Umweltzerstörung bei der von Putin persönlich kontrollierten Vorbereitung. Zudem kommen immer wieder russische Geschäftsleute zu Wort, die von der verbreiteten Schmiergeldkultur erzählen.

Gaucks Abwesenheit könnte die weltweite Debatte über die Sotschi-Spiele intensivieren. Aktivisten hatten im Sommer zu einem Boykott der Spiele aufgerufen. Diese Forderungen waren von US-Präsident Barack Obama und dem britischen Premierminister David Cameron zurückgewiesen worden.

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