Jüngere Spieler im deutschen Team Löw leitet Wandel der Fußball-Nationalmannschaft ein

Gelsenkirchen · Der Umbruch der Fußball-Nationalmannschaft schreitet voran – und weist erste Erfolge auf. Auch für Thomas Müller ist ein Stammplatz in weite Ferne gerückt.

 Brachten die holländische Abwehr häufig in Bedrängnis: Leroy Sané (links) und Serge Gnabry.

Brachten die holländische Abwehr häufig in Bedrängnis: Leroy Sané (links) und Serge Gnabry.

Foto: dpa

Dass er Joachim Löw nicht einen flüchtigen Klaps auf die Schulter oder besser: den Po mitgegeben hatte, dass er ihm nicht anerkennend über sein immer noch sehr schwarzes Haupthaar streichelte, fußte auf einem schlichten Grund: Joachim Löw war zu diesem Zeitpunkt nicht in Reichweite. Vermutlich hätte es Leroy Sané aber auch gar nicht gewagt, den Bundestrainer so nonchalant in die lange Winterpause zu verabschieden.

Dennoch schien es an diesem bitterkalten Montagabend in Gelsenkirchen, als wollte dieser hochbegabte Fußballer von Manchester City seinem Trainer etwas Beistand mit auf dem Weg der Neuorientierung geben. Ihn in Schutz nehmen vor all dem Ungemach, das auf Löw in diesem schaurigen Jahr mit der völlig vermurksten WM und dem Abstieg aus der Nations League hinabgehagelt war.

In seiner Bilanz des letztlich dann doch frustrierenden Auftritts der deutschen Nationalmannschaft, die aus einer 2:0-Führung am Ende ein vermeidbares 2:2 gegen die Niederländer werden ließ, fand Sané auch für den Bundestrainer versöhnliche Worte. Er wählte dabei einen Duktus, wie er jahrelang nur Lukas Podolski in all seiner Unbekümmertheit vorbehalten war. Jeder könne doch sehen, sagte der frühere Schalker also an alter Wirkungsstätte, dass „Jogi 'nen Plan hat“. Einen Plan, den auch die Holländer, die sich durch das glückliche Remis als Gruppensieger für die Finalrunde des neuen europäischen Wettbewerbs qualifizierten, mit einigem Respekt betrachten konnten.

Sie sahen dabei ein deutsches Team, das in ihrem Eroberungsgeist stark an die Klasse von 2010 erinnerte, die bei der WM in Südafrika forsch in die Weltspitze gestürmt war. Was die Holländer jedoch nicht sahen, war jene müde, irgendwie schwer wirkende Mannschaft, die mit ihrem zementierten Ballbesitzanspruch orientierungslos durch Russland gestolpert war. In Gelsenkirchen war davon nichts zu sehen, auch weil sich Löw dem beinahe nationalen Auftrag zur Auffrischung stellte.

Jüngere Spieler rücken nach

Die Verjüngungskur schritt allerdings sehr zögerlich voran. Löw wendete die Salamitaktik an in diesem total verwurschtelten Jahr. Erst traf es Sami Khedira, den er nicht mehr nominierte. Mesut Özil wollte einfach nicht mehr mitspielen, und praktischerweise trat Mario Gomez zurück. Neulich erst war es Löw selbst, der Jerome Boateng – zumindest kurzfristig – nicht mehr mitspielen lassen wollte. An die Stelle des 30-jährigen Münchner Abwehrspielers rückte sein sieben Jahre jüngerer Clubkollege Niklas Süle – und erledigte seine Aufgabe beachtlich routiniert.

Für die Achse des Guten, die jahrelang für Fußball auf allerhöchstem Niveau bürgte, stehen nun nur noch Torwart Manuel Neuer, Mats Hummels und Toni Kroos. Bei der offensiven Konkurrenz dürfte wohl auch Thomas Müller, der gegen die Niederlande seinen 100. Einsatz im DFB-Trikot feierte, eingesehen haben, dass ein Stammplatz für ihn in Windeseile entrückt ist.

Dass daran die „kleinen Mopeds“, mit denen Süle das Sturm-Trio Sané, Timo Werner und Serge Gnabry liebevoll, aber in einem leicht schiefen Bild, verglich, nicht ganz schuldlos sind, wurde auch im Duell gegen die Elftal sehr offensichtlich. Die kleinen Mopeds, die offenbar dank eines vergrößerten Luftfilters und einem verkürzten Auspuffkrümmer ordentlich frisiert wurden, ließen die Gäste nur selten zur Ruhe kommen – vor allem vor dem Wechsel. Forsch traten sie auf, schwer auszurechnen. Und mit dem formstarken, zuletzt leicht angeschlagenen Marco Reus hat Löw einen weiteren Hochkaräter in der Hinterhand.

Wandel ist nicht mehr aufzuhalten

Die frühen Treffer durch die imposanten Umschaltspieler Werner (9.) und Sané (20.) waren Ausdruck einer Sturm-und-Drang-Vorstellung, die nur einen Nachteil hatte: Erneut verpassten es die Deutschen, auch beste Chancen zu verwerten. Die Holländer ihrerseits nutzten dieses Versäumnis mit ihren späten Toren durch Quincy Promes (85.) und Virgil van Dijk (90.+1) zum Remis. Was auch den erfahrenen Lotsen Kroos erzürnen ließ über die Leichtmatrosen an seiner Seite. „Das ist sehr ärgerlich“, sagte der Real-Star. „Es muss ein 2:0 auch mal reichen.“ Und: „Hinten raus ist er für uns natürlich sehr, sehr bitter.“

Löw wirkte in Gelsenkirchen dennoch wie jemand, der sein Feld ordentlich bestellt hat. Mit Versäumtem wollte er sich nicht mehr intensiv beschäftigen. Ob es nicht ein Fehler gewesen sei, bei der WM auf Sané zu verzichten, wurde er gefragt. „Schneee von gestern“, antwortete der 58-Jährige lapidar.

Eingeleitet hat Löw den notwendigen Umbruch, zum Abschluss gekommen ist er noch nicht. Eine gewisse Reife muss sich ebenso erst entwickeln wie neue Hierarchien um die Etablierten herum. Das der Wandel im deutschen Fußball aber nicht mehr aufzuhalten ist, wurde auch am Beispiel Oliver Pochers deutlich. Zwölf lange Jahre wurden die Fans unbarmherzig beschallt mit seinem Lied „Schwarz und Weiß“, wenn die DFB-Elf ein Tor schoss. Damit ist jetzt Schluss. Der Comedian und langjährige Stammspieler ist raus. Und in diesem Fall kann man getrost behaupten: endlich.

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