Eishockey-WM "Alles ist jetzt drin": Deutsche Eishockeynationalmannschaft kämpft um die WM-Medaille
Tampere · Das Selbstbewusstsein im deutschen Eishockey-Team ist nach dem Halbfinaleinzug riesig. Nun soll endlich die erste WM-Medaille seit 1953 her. Auch gegen die USA sehen Spieler und Trainer Chancen.
Im dritten Anlauf soll der Traum wahr werden: Deutschlands Eishockey-Profis sind fest entschlossen, die erste WM-Medaille seit 70 Jahren mit nach Hause zu nehmen. Diese Auszeichnung wurde ihnen noch 2010 und 2021 verwehrt.
Viele Spieler trauen sich sogar zu, den ersten WM-Titel an Pfingsten zu ergattern, und zwar vor dem Halbfinale am Samstag (17.20 Uhr/Sport1 und MagentaSport) gegen den USA im finnischen Tampere. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt das Geschehen von zu Hause aus und sandte dem Team seine Glückwünsche.
Sehr gute Voraussetzungen
"Alles ist jetzt drin", verkündeten NHL-Angreifer Nico Sturm und Torhüter Mathias Niederberger unisono, zwei exellente Spieler bei dieser WM. Nach dem grandiosen 3:1 (1:0, 2:1, 0:0) am Donnerstag im Viertelfinale gegen die Schweiz in Riga befand Kapitän Moritz Müller: "Ich glaube, dass wir in der Lage sind, jetzt alle Gegner bei dieser WM zu schlagen." Das Team von Bundestrainer Harold Kreis landete am Freitag mit noch mal einer Portion mehr Selbstbewusstsein durch die kämpferisch und spielerisch überzeugende Leistung gegen die bei der WM bislang überragenden Schweizer in Tampere.
Dort erhielt die Mannschaft weitere positive Nachrichten: Die WM wird 2027 erneut in Deutschland stattfinden. Auch Moritz Seider, der beste deutsche Verteidiger, ist gegen die USA spielberechtigt. Gegen die Schweiz hatte der 22-Jährige von den Detroit Red Wings keine Sperre, aber eine Spieldauerdisziplinarstrafe bekommen. "Wir wissen alle genau, wo wir hinwollen und hier soll noch nicht Schluss sein", betonte Seider entschieden.
Finaleinzug seit 93 Jahren wieder möglich
Am Sonntag findet in Tampere nach dem Halbfinale am Samstag entweder das Spiel um den dritten Platz oder das vielleicht erste WM-Finale seit 93 Jahren mit deutscher Beteiligung statt. "Wir werden respektiert", teilte Ex-NHL-Stürmer Dominik Kahun zur Wahrnehmung seines Teams im Kreis der Top-Nationen mit.
"Man sieht es bei jedem: Man weiß nicht wirklich, ob sie gegen uns spielen wollen, weil sie einfach wissen, wie wir auftreten." Auch die USA sollte aufgrund des deutschen Auftritts gegen die Schweiz Vorsicht walten lassen. Die USA sind wie die Eidgenossen ebenfalls als Erster der deutschen Gruppe in Tampere durch die Vorrunde spaziert. Im achten Spiel stellte das 3:0 des US-Teams im Viertelfinale gegen Tschechien den achten Sieg im achten Spiel dar. Die wirklich großen Namen im US-Kader sind nicht da, aber dafür immerhin 15 Spieler aus der weltweit besten Liga NHL. Dennoch manövrierte in der Vorrunde Deutschland die USA beim 2:3 bereits fast in eine Niederlage. Jetzt ist sich Bundestrainer Kreis klar, dass sein Team zu einem großen Erfolg in der Lage sei.
"Es wird darum gehen, dass wir uns an den Spielplan halten, dass wir diszipliniert spielen", äußerte der 64-jährige Nachfolger von Toni Söderholm. Er kann schon gegenwärtig auf eine erfolgreiche WM-Premiere als Cheftrainer blicken. Der Einzug ins Halbfinale brachte ihn ebenfalls kurzzeitig aus dem Gleichgewicht. Kreis gab vor der TV-Kamera von MagentaSport zu verstehen, dass es ihn emotional errege und kämpfte dabei mit den Tränen.
Kaderschwierigkeiten sind Schnee von gestern
Vor der WM sagten ihm 15 Leistungsträger wegen Verletzungen ab. Nicht dabei sind Leon Draisaitl, Tim Stützle sowie Torhüter Philipp Grubauer, drei der besten deutschen Spieler der NHL. Zudem ließ der freiwillige Verzicht auf drei der vier leistungsfähigsten deutschen DEL-Torschützen der früheren Saison viele ins Staunen geraten. Spieler und Trainer begleitete die Frage, wer die Tore bei der Weltmeisterschaft schießen solle, nach Finnland. Fakt ist, dass die DEB-Auswahl das Team mit den bis jetzt zweitmeisten Treffern in diesem Wettkampf darstellt.
Man könne es nicht befehlen, eine Mannschaft zu bilden, führte Kreis bezüglich seines Geschickes bei der Zusammenstellung des Kaders aus. Man könne nur davon ausgehen, dass sich eine Mannschaft in der Kabine zusammenfindet, dass dieser Spirit entsteht. Dass die Mannschaft auf diese Weise zusammenkommt und so einen Spirit aufbaut, das freue ihn sehr.
Der Sieg ist in realistischer Nähe
Die Entwicklung seiner Vorgänger setzt Kreis in diesem Turnier ohne Unterbrechung fort. Ein Anspruchsdenken im Team, das mit früheren Jahren nicht mehr zu vergleichen ist, hat sich zuerst unter Marco Sturm nach dem Gewinn der Olympia-Silbermedaille 2018, dann unter Söderholm nach dem vierten Platz bei der WM 2021 verfestigt. Den vierten Platz bei der Heim-WM 2010 noch als Sensation zu feiern, war damals üblich. Ohne Medaille nach dem Einzug ins Halbfinale vor zwei Jahren heimzukehren, stellte hingegen für die neue Spielergeneration eine Enttäuschung dar.
Genug Jungs seien dabei, die wüssten, wie sich das angefühlt hat, wo man wirklich ein sehr, sehr gutes Turnier gespielt hat und der Sieg dann ausblieb, erzählte John-Jason Peterka, der Topscorer der deutschen WM. Einer von zwölf Spielern aus dem aktuellen Kader ist der 21 Jahre alte NHL-Stürmer von den Buffalo Sabres. Er war beim 1:2 im WM-Halbfinale 2021 gegen Finnland und dem 1:6 im Spiel um Bronze gegen die USA dabei - und zwar Live und in Farbe.
"Wir werden das noch motivierter angehen als noch vor zwei Jahren", versicherte Peterka. Die deutschen Chancen auf eine Medaille haben sich erneut erhöht. Grund dafür ist der Halbfinaleinzug von Co-Gastgeber Lettland, der Schweden im Viertelfinale überraschend besiegte (3:1). Im ersten Halbfinale trifft der Außenseiter am Samstag um 13.20 Uhr auf Rekord-Weltmeister Kanada.
(dpa/ella)
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