Ende einer beispiellosen Karriere Bolt erlebt bei Leichtathletik-WM bitteren Abschied

London · Usain Bolt und Mo Farah wollten bei der Leichtathletik-WM ihre Bahn-Karriere mit einer weiteren Goldmedaille abschließen. Doch daraus wurde nichts, beide müssen sich geschlagen geben.

Am späten Samstagabend begegnen sich die beiden erfolgreichsten Leichtathleten des vergangenen Jahrzehnts am in den Katakomben des Olympiastadions. Im übertragenen Sinn auf Augenhöhe, auch wenn sie von der Körperlänge her kaum unterschiedlicher sein könnten. Beide waren an diesem Morgen aufgestanden, um sich mit einer weiteren Goldmedaille von der Weltbühne der Leichtathletik zu verabschieden, für beide platzte der Traum vor 60 000 Zuschauern.

Bolt bereitet sich gerade auf das Finale der 4 x 100-Meter-Staffel vor, als er Farah auf dem Weg zur Medaillenzeremonie trifft. Anerkennend nimmt der ehemals schnellste Mann der Welt den Briten in den Arm, findet ein Strahlen, warme Worte. Farah lächelt eher gequält, obwohl er Silber gewonnen hat. Aber nicht Gold. Der Jamaikaner ahnt nicht, dass er im Gegensatz zu Farah sogar scheitern wird.

Eine gute Stunde zuvor war es laut geworden im Olympiastadion. Unfassbar laut. Sollte sich ein Fan des Premier-League-Vereins West Ham United in das heimische Rund verloren haben, er hat sich womöglich ob der außergewöhnlichen Kulisse im falschen Stadion gewähnt. Selbst auf der Insel ist diese Lautstärke bei einem Sportevent ungewöhnlich. Selbst beim Fußball.

Der Grund dafür: Mo Farah betritt die Bühne, das 5000-Meter-Finale steht an. Der 34-Jährige wird gefeiert wie ein Rockstar. Ein letztes Mal. Künftig will er sich dem Marathon widmen. Farah soll die triste Bilanz des Gastgebers schönen – bis dahin stand für Großbritannien nur eine Medaille bei der Heim-WM zu Buche: die goldene Farahs aus dem 10 000-Meter-Rennen. Acht Tage nach dem Triumph über die doppelt so lange Distanz will der gebürtige Somalier sein viertes Double bei Weltereignissen feiern – seit Olympia 2012 an eben dieser Stätte war ihm das bei allen Welt- und Europameisterschaften sowie den Olympischen Spielen gelungen.

"Der Bessere hat gewonnen"

Unter tosendem Applaus kontrolliert der Brite zunächst das Rennen. Cool, seinem fulminanten Schlussspurt vertrauend. Immer wieder gönnt er Kontrahenten ein paar Meter Vorsprung. Doch als der Äthiopier Muktar Edris die Führung übernimmt und Farah die Lücke wenige Hundert Meter vor dem Ziel nicht mehr schließen kann, bebt das Stadion. Farah gibt noch einmal alles, schiebt sich auf den letzten Metern an dem US-Amerikaner Paul Kipkemoi Chelimo vorbei und sichert sich immerhin noch die Silbermedaille.

Silber – für König Farah eine Majestätsbeleidigung? Jedenfalls stürzt er enttäuscht zu Boden. „Ich habe wirklich alles gegeben. Ich hatte am Ende keine Kraft mehr“, sagt der 34-Jährige später. Und: „Die Äthiopier hatten einen Matchplan. Es war klar, dass sie einen opfern würden. Der Bessere hat gewonnen.“ Das Markenzeichen des Briten, die zu einem „M“ geformten Arme, genannt Mobot, gibt es trotz aller Enttäuschung. Allerdings nicht von Farah. „Ich bin der neue Champion“, sagte Edris. „Darum habe ich den Mobot gemacht.“ Gefeiert wird allerdings Farah.

Nur wenige Meter entfernt wird um 22.03 Uhr Ortszeit Usain Bolt liegen. Ebenfalls geschlagen. Nicht etwa vom US-Amerikaner Justin Gatlin, der Bolt bereits im 100-Meter-Finale hinter sich gelassen hat. Der Jamaikaner wird von seinem Körper im Stich gelassen. Bolt ist sich seines fortgeschrittenen Sprinteralters bewusst, die unnachahmliche Endgeschwindigkeit ist ein wenig auf der Strecke geblieben. „Ich werde alt“, hat er noch vor der WM zu Protokoll gegeben, als habe er dieses Ende geahnt. Am 21. August vollendet Bolt sein 31. Lebensjahr.

Die Vorzeichen mit der Staffel stehen zunächst gut, Jamaika wechselt in Führung. Doch das Rennen läuft nicht wie geplant. Hinter den starken Briten und ausgerechnet den US-Amerikanern geht Bolt als Dritter auf die Zielgerade, die Goldmedaille ist trotz seines unnachahmlichen Zielspurts schon zu diesem Zeitpunkt unerreichbar. Gut 60 Meter vor dem Ziel gerät Bolt ins Straucheln, stürzt und bleibt auf dem Boden liegen. Ein einfacher Krampf hat die Karriere des Sprinters zu einem dramatischen Ende gebracht.

Ein bitterer Abschied

„Wir standen viel zu lange im Callroom“, sagt Jamaikas Yohan Blake. „Der Weg war dann zu lang. Usain schon wieder kalt.“ Der herbeigeholte Rollstuhl bleibt Statist. Diese Blöße will sich der Jamaikaner nicht geben. „Es tut mir leid für ihn“, findet Gatlin, sein alter Rivale. „Für mich ist er immer noch der Größte.“ Auch der US-Amerikaner muss sich geschlagen geben. Gold geht an Großbritannien. Noch nie zuvor hat eine britische Männerstaffel den Titel bei einer WM gewonnen. Der Sieg ist Balsam auf die Seele des Veranstalters.

Trotz der dramatischen Abschiedsvorstellungen, die nicht nach Wunsch verliefen: Die Bühne gehört Bolt und Farah. Der Brite genießt die Siegerehrung sichtlich und holt seine Familie auf das Siegerpodest holt. Er geht der Leichtathletik nicht verloren und wird künfftig sicherlich im Marathon für Furore sorgen.

Dagegen ist für Bolt Schluss. Und dieser Abschied will so gar nicht zu den vielen Glanzstunden seiner Karriere passen. Wortlos verschwindet der Superstar in den Katakomben. Ein bitterer Abschied. Nur in den sozialen Netzwerken äußert sich der 30-Jährige anschließend. „Danke an meine Leute“, schrieb er zu seinem Foto, das ihn gestützt und geschlagen zeigt. Und ergänzte: „Unendliche Liebe für meine Fans.“

„Niemand will sehen, dass Usain so abtritt – mit einer Verletzung“, ließ Gatlin wissen: „Er hat uns alle inspiriert, ich werde wirklich sentimental.“ Und der jamaikanische Sprintkollege Omar McLeod meinte: „Der Name Usain Bolt wird für immer weiterleben.“

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