Serie "Best of Olympia" Dieter Baumann rennt den Afrikanern in Barcelona davon

Berlin · Dieter Baumann holt am 8. August 1992 in einem furiosen Rennen Gold über 5000 Meter. Jahre später stolpert der Leichtathlet über die Zahnpasta-Affäre.

Barcelona 1992: Dieter Baumann jubelt im Ziel des 5000-m-Finales über den Olympiasieg.

Barcelona 1992: Dieter Baumann jubelt im Ziel des 5000-m-Finales über den Olympiasieg.

Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb/Frank Kleefeldt

Noch 300 Meter. Gleich geht es richtig los. Dieter Baumann ist eingekesselt. Afrika gegen Europa. Zwei Kenianer, ein Äthiopier, ein Marokkaner – und der Mann von der Schwäbischen Alb. 5000-Meter-Finale bei den Olympischen Spielen in Barcelona. 8. August 1992, ein Samstagabend. Baumann wird am Ende einen Schnitt von 2:38 Minuten pro Kilometer gelaufen sein, ein Tempo, bei dem die meisten Normalbürger mit dem Fahrrad gegen Baumann über 5000 Meter deutlich verlieren würden – es sei denn, sie hätten ein E-Bike.

Der normale Jogger ist bei 5:38 Minuten am Limit, 4:38 Minuten läuft ein ambitionierter Freizeitsportler, 3:38 Minuten ein top trainierter Läufer und 2:38 Minuten die Weltklasse – wie Dieter Baumann, der später im Leben noch ein gravierendes Problem wegen einer Tube Zahnpasta bekommen sollte.

Baumann kämpft sich nach vorne

Noch 200 Meter. Letzte Kurve. Baumann auf der Innenbahn, die vier Afrikaner um ihn versammelt. Keine Lücke. Tempohärte, Stehvermögen, alles da, aber jetzt, auf diesen letzten Metern kommt es bei den 5000, der zweitlängsten Strecke der Bahn-Leichtathletik, dann doch auf den Sprint an, auf die Fähigkeit, das ohnehin schon hohe Tempo im roten Drehzahlbereich noch einmal zu erhöhen – und zu halten. Es geht nicht mehr, doch es geht, Hals nach vorne, Vorfußlauf, Schrittlänge noch einmal vergrößern.

Außen geht der Marokkaner an dem Mann im weißen Trikot mit dem Bundesadler vorbei. Vor ihm die beiden Kenianer und der Äthiopier. Baumann auf Platz fünf. Keine gute Ausgangsposition. Noch 120 Meter. Vorn verschärfen sie das Tempo. Der Deutsche zieht nach. Noch 14 Sekunden bis zur Ziellinie. Baumann geht an einem der beiden Kenianer vorbei. Noch 80 Meter, noch 70. Jetzt ist er dran.

Noch 50 Meter. Plötzlich ist die Lücke da. Wie im echten Leben tut sich wie aus dem Nichts diese eine Gelegenheit auf, die nie wiederkommen wird. Es ist der Augenblick, in dem Baumann nach Gold greift, aber das Edelmetall noch nicht hat.

Sieg in der afrikanischen Domäne

Die Schritte werden noch einmal länger, Baumann geht am Äthiopier vorbei. Vor ihm nur noch der zweite Kenianer. Noch 30 Meter. Baumann überholt auch ihn. Rausch, Wahnsinn, Überzeugung, Wille. Noch 20 Meter. Der Deutsche liegt vorn. Ziellinie. Dieter Baumann gewinnt Olympiagold über die 5000 Meter, jene afrikanische Mittelstrecken-Domäne, in die bis heute kaum ein Europäer eindringt, wenn man den eingebürgerten Briten Sir Mohamed Farah ausnimmt, der aber ursprünglich selbst ein Afrikaner aus Somalia ist.

Europa schlägt Afrika über die 5000 Meter. Kaum zu glauben. Baumann hatte (s)eine Chance, weil die Afrikaner ihn nicht kannten, weil sie ihn „nicht auf dem Zettel“ hatten. Baumann ist der Goldjunge, neuer Stern am Himmel der deutschen Leichtathletik. Mit dem Erfolg kommen auch die Neider, auch, weil Baumann Doping im Spitzensport immer verurteilt und stets für sauberen Sport geworben hatte.

Und dann das: Plötzlich gerät er selbst in Verdacht. Im November 1999 wird bekannt, dass bei zwei Doping-Proben bei ihm der Wirkstoff Nandrolon gefunden wurde. Die Quelle für die Doping-Substanz: Baumanns Zahnpasta. Bis heute ist nicht geklärt, wie das Doping-Mittel in die Tube kam. Für Baumann bedeutete die Affäre das Ende seiner Karriere in der Leichtathletik.

In seiner Heimat auf der Schwäbischen Alb steigt er Jahre später an einem Abend bei Starkregen in ein Taxi ein. Der Taxifahrer dreht sich um: „Herr Baumann, Sie? Sie laufen doch eigentlich!“

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