Olympia 2012 in London Als sich Robert Harting das Trikot vom Leib riss

Bonn · Diskuswerfer Robert Harting hat seine Erfolge stets auf spezielle Weise gefeiert. So auch bei den Olympischen Spielen 2012 in London, wo er die Goldmedaille gewinnt.

 Da muss die Freude einfach raus: Nach seinem Olympiasieg 2012 in London zerreißt Diskuswerfer Robert Harting in bewährter Manier sein Nationaltrikot.

Da muss die Freude einfach raus: Nach seinem Olympiasieg 2012 in London zerreißt Diskuswerfer Robert Harting in bewährter Manier sein Nationaltrikot.

Foto: Marius Becker

Eine imposante Erscheinung ist Robert Harting allein schon von Natur aus. Stolze 2,01 Meter groß, gute 120 Kilo schwer – ein Hüne halt; einer, vor dem du automatisch Respekt zeigst und zu dem du aufschaust. Ein Mann aber auch mit Ecken und Kanten. Ein Mann, der seine Meinung deutlich äußert und aus voller Überzeugung kundtut. Keiner, der mit dem Strom schwimmt und einem nach dem Mund redet. Keiner, der um jeden Preis auf Harmonie macht.

Und Robert Harting ist ein absoluter Ausnahme-Athlet. Ein Weltklasse-Diskuswerfer. Mehrfacher Welt- und Europameister. Einer, der dementsprechend bei den Olympischen Spielen 2012 in London zum Kreis der Topfavoriten zählt. Einer, der mit diesem Druck fertigzuwerden versteht. Ein Athlet, der immer wieder von sich reden macht. Zum Beispiel dadurch, dass er nach großen Erfolgen in schöner Regelmäßigkeit sein Nationaltrikot zerreißt. Sieht aus wie: Seht her, welch eine Kraft ich habe! Und ein Athlet, der schließlich seiner Rolle auch gerecht wird. Zusammen mit dem Titelverteidiger Gerd Kanter aus Estland sowie dem Asienmeister Ehsan Hadadi aus dem Iran bildet er das Trio, das den Olympiasieg letztlich unter sich ausmacht.

Spannung bis zum letzten Versuch

Es ist der 7. August 2012, ein Dienstagabend, als sich die Diskuswerfer im Olympiastadion der englischen Hauptstadt für das große Finale rüsten. Der Deutsche, dem die olympische Medaille noch in seiner Sammlung fehlt, macht es spannend. Im ersten Versuch bleibt er mit 67,79 Metern hinter Hadadi zurück, der das Wurfgerät auf 68,18 Meter schleudert – das ist mal ein Brett. Hartings zweiter Versuch ist ungültig; Hadadi bleibt vorn. Im fünften Durchgang wird Harting sogar noch von Kanter überholt, der es auf 68,03 Meter bringt – das avisierte Gold scheint in Gefahr.

Doch der amtierende Welt- und Europameister lässt sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Er schlägt zurück. Und wie: 68,27 Meter stehen auf der Anzeigetafel. Doch der Wettkampf ist noch nicht gewonnen. Bei Hadadis folgendem Wurf segelt die Scheibe weiter, aber er ist übergetreten – ungültig! Am Ende hat Harting, vier Jahre zuvor in Peking noch auf dem undankbaren vierten Rang, die Goldmedaille sicher.

Sprint über die Hürden

Es folgt, was folgen muss; es folgt, worauf die deutsche Nation wartet: Mit Siegesgebrüll zerreißt der gebürtige Cottbuser sein Trikot. Aber er hat noch eine Überraschung parat: Der Adrenalinschub und die Siegesfreude sind so groß, dass er kurzerhand mit der Deutschland-Flagge um die Schultern noch einen Sprint über die nebenan bereits aufgebaute Hürdenstrecke hinlegt. 80 000 begeisterte Zuschauer im Londoner Stadion feiern ihn frenetisch, und der Jubel steigt sogar noch an, als Harting langsam die fünf Stufen zum olympischen Feuer hinaufsteigt, einen der emporragenden Stäbe berührt und auf die Flamme blickt.

Für den Sportsoldaten Harting, der sich im Vorfeld der Spiele selbst gehörig unter Druck gesetzt hat, ist der Erfolg in London sage und schreibe der 29. in Serie und nach dem WM- und EM-Titel der dritte große Triumph hintereinander. Allein der Olympiasieg zähle für ihn, hatte Harting vor den Spielen ganz offen gesagt. Hinterher gesteht er, er habe zwischenzeitlich doch ziemlich schwere Beine gehabt, selbst der Siegeswurf sei alles andere als optimal gewesen.

Tadel von der Oma

Nur einen Tadel handelt sich der Olympiasieger nach seiner Rückkehr in die Heimat ein: einen Rüffel von seiner Großmutter. Denn Oma Harting gefällt es ganz und gar nicht, wie ihr Enkel da ständig mit dem Nationaltrikot umgeht. „Sie ist eben eine andere Generation. Da kommt es nicht gut an, wenn man ein Lump ist und das Trikot zerreißt“, gesteht Harting später einmal in einem Interview.

So verzichtet er zwei Jahre nach dem Olympiasieg bei den Europameisterschaften in Zürich auf die übliche Prozedur, zieht nach seinem Titelgewinn das Hemd „nur“ aus, legt es auf den Boden und kuschelt ein wenig damit. Ein folgsamer Enkel.

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