GA-Serie „Best of Olympia“ Usain Bolt ist ein Entertainer mit Killerinstinkt

Serie | Bonn · Sprintstar Usain Bolt macht seine Gegner zu Komparsen. Bei drei Olympischen Spielen ist der Jamaikaner unaufhaltsam.

 Der schnellste Showmaster der Welt: Usain Bolt zeigt nach dem Sieg im olympischen 100-Meter-Finale von Rio seine weltberühmte Pose, den „Bolt-Blitz“.

Der schnellste Showmaster der Welt: Usain Bolt zeigt nach dem Sieg im olympischen 100-Meter-Finale von Rio seine weltberühmte Pose, den „Bolt-Blitz“.

Foto: picture alliance / Srdjan Suki/E/Srdjan Suki

Man muss das vor Ort im Stadion erlebt haben, um die ganze Magie eines Mannes zu begreifen, der einer darbenden Sportart neues Leben eingehaucht hat. Sein sportlicher Auftritt: knappe zehn Sekunden, seine Show: eine knappe halbe Stunde – das hat noch keiner geschafft.

Eine erste Erregungswelle bricht aus, auf der Videowand ist er im Anmarsch zu sehen, gefolgt von sieben Konkurrenten, allesamt Weltklasse und doch nur Komparsen. Er ist der Leuchtturm, der Heilsbringer der Leichtathletik, Animateur und Entertainer. Fiebrige Erwartung in der Luft, da schlendert er hinein ins Stadion, locker, lächelnd, während die Gegner schon im Tunnel sind. Wer ist der schnellste Mann der Welt? Showtime!

Wo sonst acht Gestalten mit finsteren Mienen um die Wette posen, punktet er mit spielerischer Leichtigkeit und Fröhlichkeit. Wenn sein Name bei der Vorstellung fällt, feiert ihn das Publikum, als hätte er schon gewonnen: Usain Bolt. Und dann endlich die Geste, auf die alle gewartet haben: der „Lightning Bolt“, die Pose, die einen Bogenschützen imitiert, der einen Blitz in Richtung Ziel feuert. Dann aber, als der Starter die Kraftprotze in die Blöcke ruft, wird es still im Stadion, fast schon surreal. 80.000 halten den Atem an, nur das Zischen der gasbetriebenen Olympiaflamme ist zu hören. Der Schuss eine Erlösung, Blitzlichtgewitter, wildes Schreien, pure Extase. Der Start wie immer mäßig, aber dann: diese Mischung aus Kraft, Urgewalt, scheinbarer Schwerelosigkeit, als gelte die Erdanziehung nicht für ihn, die langen Schritte, die ihn bei 65 Metern auf eine Höchstgeschwindigkeit von 44 Stundenkilometern bringen, diese Geschmeidigkeit, das ist mitreißend.

An diesem Freitag vor vier Jahren war wieder eine solch magische Nacht, zum dritten Mal Olympiasieger über 100 Meter nach Peking und London, er feiert sein Triple. Aber diesmal ist es eher harte Arbeit, sein Erzrivale Justin Gatlin setzt ihn mit einem Bombenstart schwer unter Druck, mehr aber auch nicht. Bei 80 Metern ist Bolt vorbei. Am Ende der Spiele von Rio hat er sein Triple-Triple, also den dreimaligen Dreifacherfolg über 100 Meter, 200 Meter und mit der Staffel in der Tasche. Keiner hat das je geschafft, auch wenn im Nachhinein eine Medaille gestrichen wird, weil ein Staffelkollege positiv getestet wird.

Aber seine stärksten Jahre liegen zwei Olympiaden zurück, Peking 2008 und die WM in Berlin 2009. Wobei: Seinen „besten Moment“ hat er eigenen Worten zufolge schon 2002, als er in seiner jamaikanischen Heimat Kingston mit 15 Jahren Junioren-Weltmeister über 200 Meter wird. Ein Schlaks damals noch, setzt er sich gegen 20-Jährige durch, wird gefeiert wie ein Held und fortan öfter auf Tanzflächen gesehen als auf Laufbahnen. Dennoch läuft er Jugend-Weltrekorde über 200 und 400 Meter, Talent kompensiert Trainingsfaulheit.

So folgen Jahre geprägt von Verletzungen, immer wieder aber auch Weltklassezeiten, bei großen Meisterschaften versagt er aber regelmäßig. 2007 die Wende: Seine Eltern geben ihren Sohn in die Hände eines Sprint-Gurus – Glenn Mills, eine Respektsperson und ein guter Pädagoge. Bolt vertraut ihm, holt im gleichen Jahr Silber bei der WM.

2008 dann eine folgenschwere Entscheidung. Der Trainer hält eine zweite Strecke neben den 200 Metern für wichtig, er denkt an die 400. Bolt ziert sich, er fürchtet die höheren Trainingsbelastungen und schlägt die 100 Meter vor, obwohl keine Erfahrung und immer schon schlechte Starts. Er bittet um zwei Rennen als Tests, bei Misserfolgen wolle er dem Trainer auf die 400 Meter folgen. Der Kracher findet in New York statt, schlechte Bedingungen, Gewitter, es ist erst sein fünftes Rennen über 100 Meter. Mit lausigem Start läuft er 9,72 Sekunden – Weltrekord.

Der 100-Meter-Sprinter Bolt ist geboren – wenn man so will, aus lauter Faulheit entstanden. Was folgt ist eine einzigartige Erfolgsserie: sein Fabellauf bei den Spielen in Peking, mit offenen Schnürsenkeln 9,69 Sekunden, dreimal Weltrekord, auch über 200 Meter und in der Staffel. 2009: Berlin, WM, vielleicht sein bestes Jahr. Trotz häufiger Verletzungen präsentiert sich Bolt bei den großen Meisterschaften topfit und unschlagbar. „Big Event-Mentality“ nennen das die Amerikaner, „Killerinstinkt“ die Deutschen.

Neun Jahre lang beherrscht er seine Gegner, acht Olympiasiege, elf WM-Titel, neun Weltrekorde lautet die Bilanz. Am Ende seiner Laufbahn darf er sich als Legende bezeichnen, auf einer Stufe mit Pele, Michael Jordan, Muhammad Ali – auch, aber nicht nur wegen seiner Triumphe. Wie gesagt: Man muss das mal im Stadion erlebt haben. Ich bin dankbar, dass ich als Reporter dabei sein durfte – sehr dankbar.

Wolf-Dieter Poschmann war langjähriger ZDF-Sportchef, als Langstreckenläufer startete er unter anderem für den LC Bonn. Für die Serie „Best of Olympia“ schreibt er über Ereignisse, die er selbst kommentiert hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort