Rio 2016 Im Marathon werden Legenden geboren

RIO DE JANEIRO · Traditionell laufen die Männer am Schlusstag die 42,195-km-Distanz. 1960 gewann der Äthiopier Bikila barfuß und holte die erste olympische Goldmedaille für Schwarzafrika in der Geschichte der Olympischen Spiele.

Olympia 2004, auf der klassischen Strecke von Marathon nach Athen: Nach 36 Kilometern wird der in Führung liegende Brasilianer Vanderlei Lima von einem betrunkenen Mann in die Zuschauerreihen gedrängt. Obwohl er Tritte abbekommt, läuft Lima leicht verletzt weiter, holt immerhin die Bronzemedaille. Das ist nur eine von zahllosen Tragödien und Legenden, die sich um die Königsdisziplin der Langstreckenläufer ranken. Als wären 42,195 Kilometer nicht schon genug.

Die Legende um Lima hat dem Brasilianer eine große Ehre beschert: Er durfte das olympische Feuer bei der Eröffnungsfeier im Maracana-Stadion entzünden. Am Wochenende ist er unter den Zuschauern, wenn in Rio traditionell am letzten Tag der Spiele die Marathon-Entscheidung der Männer ansteht. 1896 waren 40 Kilometer gelaufen worden, die der siegreiche Grieche Spiridon Louis in 2:58:50 Stunden bewältigte.

Die Idee stammte von Pierre de Coubertin, dem Begründer der Spiele der Neuzeit. Entlehnt aus der Überlieferung, nach der 492 v. Chr. ein griechischer Soldat die Siegbotschaft aus dem Krieg mit den Persern nach Athen überbracht hatte – und danach tot zusammenbrach. 1904 gab es den ersten Marathontoten bei Olympia.

Der Amerikaner William Garcia stürzte nach 13 Kilometern entkräftet in einen Straßengraben und starb. 1912 beging der Japaner Kikichi Tsuburaya Selbstmord aus Enttäuschung über seine Leistung – etwas vom Samurai-Geist muss in ihm gewohnt haben. 1908 wurde die heute reguläre Marathondistanz geboren. Das kam so: bei den Spielen in London war die Streckenlänge bereits vermessen, als die Wünsche der königlichen Familie kurzfristige Änderungen erforderlich machten.

Vom Start im Windsor Park vor dem königlichen Schloss bis ins Ziel im White City Stadion vor der Loge der Königin waren es exakt 26 englische Meilen und 385 Yards - umgerechnet 42.195 Meter. Seit 1924 ist die Streckenlänge verbindlich. London erlebte vor 108 Jahren den wohl dramatischsten Zieleinlauf: Der Italiener Dorando Pietri erreichte mit großem Vorsprung das Stadion, es fehlten gerade noch 400 Meter bis zum Ziel. Pietri wankte, fiel hin, rappelte sich auf. Das ganze fünf Mal. Dann erbarmten sich Kampfrichter, geleiteten ihn auf seinen letzten Metern.

Im Ziel wurde der 23-Jährige bewusstlos. Er rang zwei Tage mit dem Tod. Den Kampf um sein Leben gewann der junge Bäcker, die mit aller Willenskraft angestrebte Marathon-Goldmedaille aber nicht. Wegen Inanspruchnahme fremder Hilfe wurde er disqualifiziert. Barfuß feierte der Äthiopier Abebe Bikila 1960 seinen ersten von zwei Olympiasiegen. Nach einem Verkehrsunfall im Jahr 1969 querschnittsgelähmt, starb der äthiopische Nationalheld am 25. Oktober 1973. In Los Angeles 1932 wollte der schweigsame Finne Paavo Nurmi nach neun olympischen Goldmedaillen auf kürzeren Strecken seine Laufbahn mit einem Sieg im Marathon krönen.

Doch kurz zuvor wurde er wegen Verstößen gegen den Amateurparagraphen gesperrt, was ihn bis zum Tod verbitterte. Schicksal hat der Marathon möglicherweise auch für einige Deutsche gespielt, die heute 36 Jahre alt sind und auf den Namen Waldemar hören. Aus Begeisterung über den zweiten Olympiasieg von Waldemar Cierpinski 1980 in Moskau legte DDR-Fernsehreporter Heinz Florian Oertel damals allen werdenden Vätern ans Herz: "Habt Mut, nennt eure Söhne Waldemar..."

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