Serie "Best of Olympia" Olympia 1980 und 1984 werden zu Boykottspielen

Bonn · Die Olympischen Spiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles gehen als Boykottspiele in die Geschichte ein. Von Leidtragenden und Profiteuren.

 Der Favorit kann nur zusehen: Der deutsche Zehnkampf-Weltrekordler Guido Kratschmer (vorn) verfolgt den Wettkampf in Moskau von der Tribüne des Lenin-Stadions aus.

Der Favorit kann nur zusehen: Der deutsche Zehnkampf-Weltrekordler Guido Kratschmer (vorn) verfolgt den Wettkampf in Moskau von der Tribüne des Lenin-Stadions aus.

Foto: dpa/Frank Leonhardt

Als die acht Finalisten des olympischen Diskuswettbewerbs am 10. August 1984 im Coliseum von Los Angeles feststehen, ist nur ein einziger Werfer dabei, der ein Jahr zuvor auch schon das Finale der Leichtathletik-WM in Helsinki erreicht hat. Die Besten fehlen: der Weltmeister, die beiden anderen Medaillengewinner, auch die starken Werfer aus Kuba, der Sowjetunion und der DDR. In vielen weiteren Disziplinen ist es ähnlich – all das Auswirkung des Boykotts von 19 sozialistischen Staaten.

„Sicherheitsbedenken“ lautet die offizielle Begründung der Sowjetunion. Bis auf Rumänien schließen sich alle Länder des Ostblocks dem Boykott an. Die Sportler müssen ausbaden, dass sich die UdSSR für das Fernbleiben der USA 1980 in Moskau revanchieren will.

Zum Beispiel Weitsprung-Weltmeisterin Heike Drechsler, Speerwurf-Weltrekordler Uwe Hohn oder der Doppel-Olympiasieger im Marathonlauf von 1976 und 1980, Waldemar Cierpinski. Den Sportlern aus der DDR geht es genauso wie vielen Sportler aus der Bundesrepublik vier Jahre zuvor.

NOK folgt Empfehlung der Bundesregierung

Die Offenbacher Fechterin Cornelia Hanisch etwa ist zu dieser Zeit in der Form ihres Lebens. „1980 wäre mein optimales Jahr gewesen“, sagt sie 16 Jahre später in einer WDR-Serie zum Jubiläum 100 Jahre Olympische Spiele. „Ich war 1979 Weltmeisterin, ich war 1981 Weltmeisterin, ich war jung genug, ich war noch erpicht auf den Erfolg, hatte aber auch schon genug Erfahrung. Ich habe mich damals sehr ohnmächtig gefühlt.“ Aus gutem Grund.

Das Nationale Olympische Komitee ist am 15. Mai 1980 der Empfehlung der Bundesregierung und des Bundestages gefolgt und stimmt mit 59:40 dafür, keine Mannschaft nach Moskau zu schicken. Einen Monat zuvor hat das NOK der USA auf Druck des Weißen Hauses eine erste Entscheidung dieser Art getroffen. Insgesamt 40 weitere NOKs schließen sich an. US-Präsident Jimmy Carter sieht in dem Boykott ein Mittel, die Sowjetunion dazu zu bringen, ihre im Dezember 1979 nach Afghanistan geschickten Truppen wieder abzuziehen. Und er übt Druck auf die Verbündeten aus.

Friedel Schirmer ist 1980 sportpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Im WDR erinnert er sich 16 Jahre später, was ihm Bundeskanzler Helmut Schmidt berichtet hat: „Der Jimmy Carter macht ernst. Er sagt, wenn Ihr Deutschen dies nicht mitmacht, dann müsst Ihr damit rechnen, dass die wirtschaftliche Situation nicht besser wird, sondern dass wir dazu beitragen, das noch schlechter zu machen.“ Die Weltwirtschaft befindet sich damals im Abschwung, der Dollar steht sehr tief und die deutschen Exporte in die USA laufen schlecht.

Zehnkämpfer Guido Kratschmer ist Leidtragender

Zwei Herzen schlagen in Schirmers Brust – das des verantwortungsvollen Politikers und das des früheren Sportlers. 1952 hat der Zehnkämpfer die deutsche Fahne ins Olympiastadion von Helsinki getragen und zwölf Jahre später in Tokio Willi Holdorf als Bundestrainer zum Olympiasieg geführt. Insofern kann er gut verstehen, wie zum Beispiel Guido Kratschmer über den Boykott denkt.

Der damals 27-jährige Mainzer ist 1980 hoher Favorit im Zehnkampf. „Ich habe mich total schlecht gefühlt. Es waren die Olympischen Spiele, die ich unbedingt gewinnen wollte – und konnte“, sagt Kratschmer jüngst in einem Kicker-Interview. Es sei sehr hart gewesen. „Auch weil ich dachte: Die Russen sind in Afghanistan einmarschiert, aber es wird sich ja nichts ändern. Die werden nicht rausgehen, wenn boykottiert wird. Wenn das etwas geändert hätte, okay, dann hätte ich ein Einsehen gehabt. Aber so sah ich keinen Sinn darin.“

Rolf Danneberg profitiert in Los Angeles

Kratschmer kann sich trotz der großen Enttäuschung noch einmal motivieren und bricht im Juni in Bernhausen mit 8649 Punkten den Weltrekord. Doch ein Makel bleibt: „Ich war zufrieden, aber doch nicht glücklich. Ich wollte keinen Weltrekord, ich wollte die Goldmedaille.“

In Montreal vier Jahre zuvor hat er Silber geholt, vier Jahre später in Los Angeles sind Daley Thompson, Jürgen Hingsen und Siggi Wentz besser. Kratschmer wird Vierter. Es ist der 9. August 1984. Am Tag nach dem Zehnkampf steht ein anderer Deutscher ganz oben auf dem Treppchen. Es ist einer jener Diskuswerfer, die ohne den Boykott kaum eine Chance auf Edelmetall haben würden. Rolf Danneberg, 31 Jahre aus Pinneberg, einmal Deutscher Meister, hat international noch nichts gewonnen. An diesem Abend aber macht er den Wettkampf seines Lebens und gewinnt mit 66,60 Metern sensationell die Goldmedaille. Ein Profiteur des Boykotts.

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