Interview mit Jörg Roßkopf "Olympia ist kein Wunschkonzert"

Timo Boll hat es wieder nicht geschafft, die erhoffte Medaille in einem olympischen Tischtennisturnier zu holen. Dafür steht Dimitrij Ovtcharov im Halbfinale. Bundestrainer Jörg Roßkopf spricht über die beiden Stars, den kommenden Mannschaftswettbewerb und die Situation im deutschen Tischtennis.

 Noch gute Chancen sieht Bundestrainer Jörg Roßkopf für seine Spieler.

Noch gute Chancen sieht Bundestrainer Jörg Roßkopf für seine Spieler.

Foto: dpa

Herr Roßkopf, Timo Boll hat oft genug seine mentale Stärke betont. Macht er sich da nicht etwas vor?
Jörg Roßkopf: Nein. Ganz klar. Sonst hätte er die ganzen Jahre nicht so gut gespielt. Er hatte immer viel Druck und trotzdem starke Leistungen abgerufen. Leider hat es bei Olympia im Einzel noch nie geklappt.

Also hat Timo Boll in erster Linie ein Problem mit Olympia?
Roßkopf: Zur Zeit ist es ein Olympia-Problem. Aber er hat doch bei allen Meisterschaften eine Medaille geholt und hat das auch bei Olympia mit der Mannschaft geschafft. Natürlich sollte es jetzt auch im Einzel funktionieren. Es war angerichtet, und die Auslosung war günstig. Aber man kann es nicht erzwingen. Jetzt muss er sich auf die Mannschaft konzentrieren. Da haben wir noch eine gute Chance auf eine Medaille.

Welche Einflussmöglichkeiten hat man als Trainer, wenn man da hinter der Platte auf dem Stuhl sitzt und sieht, dass es bei dem Athleten nicht läuft?
Roßkopf: Das ist nicht so einfach. Auf mentaler Ebene muss man versuchen, den negativen Trend ins Positive umzukehren. Doch Timo war sehr nervös, hat - untypisch für ihn - sehr einfache Fehler gemacht. Jetzt muss er sich zusammenreißen und am Freitag gegen Schweden seine Leistung abrufen.

Der Mannschaftswettbewerb ist psychologisch gesehen eine andere Ausgangsposition?
Roßkopf: Da wissen die Spieler, dass man sich auch mal eine Niederlage erlauben kann, weil die anderen sie ausmerzen können. Bei Timo habe ich gar keine Angst.

Ist Timo Boll in vier Jahren vielleicht zu alt, um noch einmal einen Anlauf zu nehmen?
Roßkopf: Nein. Er wird es wieder probieren, und ich hoffe, dass sein Körper es schafft und er seine Chance nutzen kann. Ich hätte es ihm hier sehr gegönnt, aber Olympia ist kein Wunschkonzert.

Nun ist Ovtcharov in die Bresche gesprungen. Hat sie das überrascht?
Roßkopf: Nein. Dimitrij gehört ins Halbfinale. Er ist der Spieler in Europa, der das Tempo mit allen Gegnern mitgehen kann. Für die Insider ist das keine Überraschung.

Welche Chancen hat er?
Roßkopf: Jetzt wartet mit Zhang Jike ein anderes Kaliber auf ihn. Aber auch das ist nicht unmöglich. Beim letzten Mal hat er gegen ihn im siebten Satz mit 10:12 verloren. Dimitrij ist ein Kämpfer. Ich hoffe, dass er seine Chance bekommt und dann auch nutzt.

Sie fordern von den Spielern, auch von Boll, härteres Training. Wie überprüfen Sie das?
Roßkopf: Ich stehe in engem Kontakt mit den Vereinstrainern, von daher habe ich eine gute Kontrolle und die Gewissheit, dass alle Spieler gut vorbereitet sind.

Sie selbst haben Ende der 80er in Deutschland einen Tischtennisboom ausgelöst. Was ist davon übrig geblieben?
Roßkopf: In unserer Zeit haben wir die Sportart in neue Dimensionen gebracht, von den Mitgliederzahlen und den Einschaltquoten her im Fernsehen, auch was die Preisgelder angeht. Heute ist Tischtennis in Europa in der Krise. Es gibt einfach zu wenig gute europäische Spieler.

Ein Ausblick auf Schweden ...
Roßkopf: Wir sind zwar Favorit, aber Schweden ist ein starker Gegner. Man muss abwarten, wie wir die Einzel hinter uns bringen. Wie verkraftet Ovtcharov seine ausstehenden beiden Spiele, egal wie sie ausgehen? Wie verarbeitet Boll seine Niederlage? Wir haben danach einen Tag Pause, um uns auf Schweden vorzubereiten. Und ich bin zuversichtlich, dass wir gewinnen werden.

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