Michael Scharf im Interview Spitzensport unter erschwerten Bedingungen

Jetzt gilt es. Die deutschen Athleten müssen bei den Olympischen Spielen Farbe bekennen. Der Olympia-Stützpunkt Rheinland schickt 56 Athleten nach London und damit so viele wie kein anderer Stützpunkt. Leiter Michael Scharf im Interview über Geld, die nötigen Strukturen und den Kampf um den Nachwuchs.

 Bundestrainer Michael Scharf 2007 mit Vize-Weltmeisterin Lena Schöneborn und Jochen Zinner, damals Leiter des OSP Berlin.

Bundestrainer Michael Scharf 2007 mit Vize-Weltmeisterin Lena Schöneborn und Jochen Zinner, damals Leiter des OSP Berlin.

Foto: Privat

Wie groß ist die Vorfreude auf Olympia?
Michael Scharf: Sehr groß. Olympia ist die Leistungsschau alle vier Jahre, wo man eine Rückmeldung darüber bekommt, wie gut man gearbeitet hat und wie erfolgreich man ist im Weltvergleich. Auch Weltmeisterschaften und Europameisterschaften sind ein solcher Seismograph, aber Olympische Spiele gibt es halt nur alle vier Jahre. Auch ich habe ein gewisses Vorstartgefühl, ein gewisses Kribbeln.

DOSB-Präsident Thomas Bach sagt, der Spitzensport in Deutschland brauche mehr Geld, wenn er auch künftig wettbewerbsfähig sein wolle. Wie sehen Sie das?
Scharf: Wenn man den Anspruch hat, im Wintersport auf Platz eins bis drei und bei den Sommerspielen auf Platz eins bis fünf einzukommen, dann hinken wir bei den finanziellen Investitionen anderen Ländern hinterher. Unter den Topnationen mitzumischen, ist auch eine Geldfrage. Beispiel: Wenn ich einen guten Fechttrainer haben will und bereit bin, dafür 40.000 Euro aufzurufen, er aber international 120 000 Euro verdienen kann, dann habe ich ein Problem. Dann bekomme ich diese Qualität nicht. Darauf muss man hinweisen, das hat Thomas Bach wohl damit gemeint.

Nun gehört Deutschland doch zu den reicheren Ländern...
Scharf: Wir leben in Europa im Moment in einer Situation, die es vielleicht auch nicht erlaubt, mehr Geld in den Spitzensport zu stecken. Ich komme aber auf das Thema zurück, das wir auch hier in Bonn auf die Tagesordnung gebracht haben: Es ist legitim, einmal zu vergleichen, wo stehe ich mit dem Sport und wie andere Bereiche gefördert werden. Wenn man diesen Vergleich aufmacht, dann liegt der Sport in Deutschland sicherlich nicht in einer guten Position.

Was können Sponsoren leisten?
Scharf: Wenn ich als Unternehmen Geld in den olympischen Sport investiere, dann bin ich sehr nah am Mäzenatentum. Der Gegenwert in Fernsehzeiten, Fotos oder ähnlichem, wo der Name eines Unternehmens wahrzunehmen wäre, ist gering. Deshalb geht das Sponsoring leider auch sehr eindimensional in Richtung Fußball. Beim olympischen Sport kommt nicht so viel an. Was im Moment stattfindet, ist ein Konzentrierungsprozess. Gewisse Standorte sind nicht mehr existenzfähig. Das muss durch Konzentration aufgefangen werden.

Sie setzen für die Zukunft verstärkt auf die duale Karriere. Wie sieht die aus?
Scharf: Dass wir schon kurz vor Schulabschluss mit Athleten Tests machen, um zu sehen, in welche Richtung ihre beruflichen Neigungen gehen und welche Stärken und Schwächen sie haben. Dann wird ein passendes Unternehmen gesucht, das bereit ist, mit den Athleten einen Zehnjahresweg zu gehen. Beispielsweise, dass sie zunächst einmal eine Berufsausbildung machen, danach vielleicht ein Studium. Zwischendurch machen sie weiter Praktika in dem Unternehmen, so dass sie in verschiedene Bereiche hereinriechen können. Möglicherweise kommt das Master-Studium noch obendrauf. Dann fangen sie vielleicht mit einer Viertelstelle an. Die kann je nach Beanspruchung auf- oder abgebaut werden. Auf diese Weise werden die Sportler dann mit 28 Jahren nicht die Verlierer sein, sondern werden ihren beruflichen Weg genauso geebnet haben wie ihren sportlichen.

Da sind Sie aber auf die Bereitschaft und Flexibilität der Unternehmen angewiesen...
Scharf: Genau. Wir haben inzwischen eine sehr große Bereitschaft seitens der Großindustrie, aber auch der mittelständischen Industrie erfahren.

Zunehmendes Problem ist, noch ausreichend Nachwuchs generieren zu können, oder?
Scharf: Das stimmt. Das liegt an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die sich mehr im freizeit-orientierten Schongang bewegt. Es gibt aber auch schulische Veränderungen wie die Ganztagsschule und das G8-Abitur, die komplett konträr zu den Bemühungen des Sports laufen. Wenn Sport erst ab 17 Uhr möglich ist und sich alles in den Abend verschiebt, bekommen wir große Probleme. Zu dieser Zeit trainieren beispielsweise die ersten Mannschaften. Wo ist dann der Platz zum Trainieren? Dazu kommt ein Mengenproblem. Trainiert wird heutzutage nicht mehr nur zehn bis 15 Stunden, sondern 30 Stunden die Woche. Dann stellt sich die Frage nach der Belastbarkeit. Schüler brauchen Zeit zur Regeneration. Und schließlich werden auch die geburtenschwächeren Jahrgänge Folgen haben.

Welche Antworten gibt es?
Scharf: Zum Beispiel die NRW-Sportschulen. Zentren, in denen Training vor der Schule möglich ist und Freistellungen für den Nachmittag erwirkt werden können. Die Sportlehrer an diesen Schulen sind auch Vereinstrainer. Bis 2017 soll es 18 solcher Schulen in NRW geben. Es ist die Frage, ob das ausreicht. Ich bin da skeptisch. Es wird immer wieder einzelne herausragende Talente geben, aber in der Breite werden wir verlieren. Und das wirkt sich dann auch im Medaillenspiegel aus.

Kritiker fragen: Warum überhaupt Spitzensport?
Scharf: Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn man als Gesellschaft weiter wachsen will, wenn man gut sein will, dann braucht man die besten Menschen, die als Vorbilder in der Gesellschaft oder als Führungskräfte in den Unternehmen vorangehen. Nicht umsonst ist es so, dass wir sehr viele Leistungssportler sehr gut an die Unternehmen vermitteln können, weil diese die erforderlichen Qualitäten haben. Sie haben Internationalität, sie haben Führungskraft, sie haben das richtige Zeitmanagement, und sie haben eine hohe Leistungsmotivation. Deshalb glaube ich, dass der Leistungssport ein wichtiger Indikator für die Gesellschaft ist. Unabhängig davon ist der Spitzensport Vorbild für den Breiten-/Gesundheitssport und animiert Menschen zu sportlicher Aktivität.

Viele sagen aber auch, da wird ohnehin nur gedopt...
Scharf: Einige Menschen behaupten, dass es in Deutschland ein flächendeckendes Dopingsystem gebe. Das ist einfach eine bodenlose Frechheit. Die Nationale Doping-Agentur macht ihre Arbeit vorbildlich, mit sehr vielen Kontrollen. Viele Sportler werden morgens von 6 Uhr bis 7 Uhr besucht. Die meisten haben vor Olympia um die sechs Kontrollen hinter sich. Wer heute dopt, ist naiv oder arbeitet als Sportler eng mit einem Mediziner zusammen, um skrupellos Grenzen zu überschreiten. Das sind aber jeweils Einzelkonstellationen und wird nicht systematisch betrieben.

Dennoch sterben die Einzeltäter nicht aus.
Scharf: Natürlich müssen wir weiter daran arbeiten, das ganze System zu verfeinern und die Lücken zu schließen. Was mir viel mehr Sorgen macht, ist die internationale Situation. Das deutsche System ist schon relativ gut, aber mich würde interessieren, wie gut ist das System in Jamaika, in Südamerika oder in China? Da gibt es für die Weltdoping-Agentur noch viel zu tun. Wenn ein Doping-Kontrolleur in China tätig werden will, braucht er ein Visum. Die wissen dann schon 14 Tage vorher, da kommt ein Kontrolleur. Da ist die Überraschung doch weg.

Zur Person

Michael Scharf (50) ist Vorsitzender der Schwimm- und Sportfreunde Bonn und seit 2004 Leiter des Olympiastützpunktes (OSP) Rheinland. Er war in den 80-er Jahren einer der besten deutschen Modernen Fünfkämpfer, vierfacher deutscher Mannschaftsmeister und 1987 Einzelmeister. Vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen war Scharf zwei Jahre als Frauen-Bundestrainer tätig.

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