Kommentar zu Tobias Unger Überragendes Talent
Moskau · Was für ein Gefühl es ist, vor Usain Bolt ins Ziel zu stürmen? Es gibt einen Deutschen, der es geschafft hat - sogar bei einer Weltmeisterschaft, und das gleich zweimal. Glauben Sie nicht? Stimmt aber! Tobias Unger darf mit Fug und Recht seinen Enkeln davon erzählen.
Es war die letzte Finalteilnahme eines deutschen Sprinters bei einem Weltsportereignis, 2005 bei der WM in Helsinki. Unger, im Zenit seines Könnens, ließ Bolt - mit 18 Jahren und 355 Tagen bis heute der jüngste WM-Finalist über 200 m - im Halbfinale und dann als Siebter im Endlauf hinter sich.
Und 2013? Einerseits gibt es Verdachtsmomente, dass in der jamaikanischen Sprintszene nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Andererseits belegt die seit früheren Tagen aufgezeichnete Leistungsentwicklung des Jamaikaners sein überragendes Ausnahmetalent und unterstützt somit seine Glaubwürdigkeit. Im Grunde ist es nur logisch, dass er Maßstäbe setzt wie keiner zuvor.
Belege gefällig? Gemessen am jeweiligen Alter, sind Bolts Leistungen seit dem 15. Lebensjahr unübertroffen. Damals schon lief er die halbe Stadionrunde in 20,58 Sekunden, mit 16 kam er auf 20,13, mit 17 auf 19,93 Sekunden. Mit seinem Pekinger Doppel-Olympiasieg von 2008 über 100 und 200 m, den er 2012 in London wiederholte, prägte sich die breite Öffentlichkeit den Namen Bolt ein - und seine Siegergeste.
In Moskau baut er weiter an seinem Denkmal. Gewinnt er heute die 200 m und morgen mit der Jamaika-Staffel, so überflügelt der 26-Jährige mit dann achtmal WM-Gold und zweimal Silber den legendären Carl Lewis (8x Gold, 1x Silber, 1x Bronze) - und 400-m-Ikone Michael Johnson (8x Gold). Der ist seit Sevilla 1999 mit knapp 32 Jahren der älteste 400-m-Weltmeister. Bleibt Bolt gesund und macht "sauber" weiter, wird er seine Ausbeute in astronomisch anmutende Höhen treiben. Erst recht, wenn er auch die 400 m in Angriff nimmt, die ihm aufgrund seiner Körpermaße auf den Leib geschneidert scheinen.
Tobias Unger wird die Freude über seinen persönlichen Triumph von 2005 noch oft spüren. Mit jeder weiteren Bolt-Medaille kehrt die Erinnerung zurück.