Interview mit Capitals-Trainer Max Schmitz „Wir wollen uns auf die europäische Baseball-Landkarte spielen“

Interview | Bonn · Seit November 2020 trainiert der ehemalige Pitcher und Nationalspieler Max Schmitz den Baseball-Bundesligisten Bonn Capitals. Im Interview spricht er über die aktuelle Saison, den bevorstehenden Champions Cup in Bonn und wie man auch als Laie einen Zugang zu Baseball findet.

 Max Schmitz ist Headcoach der Bonn Capitals.

Max Schmitz ist Headcoach der Bonn Capitals.

Foto: Wolfgang Henry

Seit 2021 trainiert Max Schmitz den Baseball-Bundesligisten Bonn Capitals. Bereits in seiner ersten Saison führte der ehemalige Pitcher und Nationalspieler das Team ins Finale des Champions Cup und zur deutschen Vizemeisterschaft. Über die aktuelle Bundesliga-Saison, den Champions Cup im heimischen Stadion in der Bonner Rheinaue und wie man auch als Laie die Faszination für Baseball entdecken kann, sprachen mit ihm Sabrina Bauer und Tobias Schild.

Herr Schmitz, ist die Bundesliga für die Bonn Capitals zu langweilig?

Max Schmitz: Sicherlich nicht, sonst hätten wir in den vergangenen fünf Jahren fünfmal die Meisterschaft gewonnen. Aber man kann sicherlich sagen, dass die Nord-Liga nicht unbedingt unserem Anforderungsprofil entspricht.

Woran liegt das? Ist die Nord-Liga deutlich schwächer als die Süd-Liga?

Schmitz: Das würde ich so nicht sagen, denn wir spielen in der Nord-Liga. (lacht) Aber die Süd-Liga ist sicherlich tiefer und besteht aus mehr kompetitiv hochwertigen Teams, die um Playoff-Plätze kämpfen. In der Nord-Liga sind es in dieser Saison hingegen nur zwei, maximal drei Teams.

Heidenheim, der größte Konkurrent im Kampf um den deutschen Meistertitel, hat in dieser Saison schon sechs Niederlagen einstecken müssen. Ist das die Chance für die Capitals?

Schmitz: Heidenheim ist nie zu unterschätzen. Es ist eine Playoff-Mannschaft, die im entscheidenden Moment auf dem Platz die Leistung abrufen kann. Daher würde ich über den aktuellen Rekord nicht so viel spekulieren. Ich erwarte, dass sie die Playoffs erreichen und wie gewohnt stark spielen werden.

Was können Sie in diesem Jahr machen, um nach drei Vizetiteln endlich wieder die Meisterschaft zu gewinnen? Was ist der letzte Schritt zum Titel?

Schmitz: Wenn ich das so genau wüsste, hätten wir das schon geändert. In den entscheidenden Momenten, wenn der Druck am größten ist, fehlt uns die mentale Stärke, um auch in diesen Situationen den letzten Schritt, den letzten Hit, den letzten Run zu machen. Aber genau da setzen wir an. Zum einen steuern wir Belastungsproblemen entgegen und geben den Athleten mehr Freiräume, um sich von den Spielen zu erholen. Anderseits setzen wir auf mentales Training, damit wir in den entscheidenden Drucksituationen genauso gut fokussieren können wie während der regulären Saison, in der es wunderbar klappt.

Wie sieht ein mentales Training aus?

Schmitz: Wir arbeiten mit einem Sportpsychologen zusammen. Wir machen kleinere Drills, teaminterne Wettkämpfe. Wir versuchen immer, eine gewisse Drucksituation im Training herzustellen, die denen im Spiel so ähnlich wie möglich ist. Dadurch lernt der Spieler, mit solchen Situationen umzugehen, und ist nicht überrascht, wenn sie im Spiel auftreten.

Wie viel Prozent beim Baseball sind Psyche, wie viel Können?

Schmitz: Der berühmte Baseballspieler und -Manager Yogi Berra hat einmal gesagt: „Baseball ist zu 90 Prozent mental, und die andere Hälfte macht die Physis aus.“ (lacht) Ich glaube, dass Baseball eine mentale Komponente hat, die vielleicht mit keiner anderen Sportart vergleichbar ist. Mit der richtigen mentalen Einstellung und der Fähigkeit, den Moment und den Prozess zu fokussieren, kann man im Baseball mit wenig Talent sehr, sehr weit kommen.

In der vergangenen Woche haben Sie innerhalb von drei Tagen vier Spiele absolviert, am Samstag stehen zwei weitere an und am Dienstag beginnt der Champions Cup. Wie geht man mit so einem Pensum um?

Schmitz: Wir sind auf genau solche Situationen vorbereitet. Anfang des Jahres planen wir unseren Kader so, dass wir drei Spiele am Wochenende und nun auch fünf Spiele in der Woche bestreiten können. Es ist das Ziel des Sportdirektors und des Coaching-Staffs, das Team so auszurichten, dass das Pensum alleine von den Werfern her möglich ist. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal – in der Nord-Liga sowieso, aber auch im Süden. Es gibt in Deutschland keine Mannschaft, die so tief im Pitching ist wie die Bonn Capitals.

Wie viele Pitcher braucht man dafür?

Schmitz: Wir haben jetzt elf reine Pitcher im Roster. Das sind elf hochspezialisierte Jungs, die nichts Anderes machen als zu werfen. Grundsätzlich sind das absolute Minimum acht.

Wie viele davon sind Eigengewächse? Welchen Stellenwert hat die eigene Nachwuchsarbeit für das Bundesliga-Team?

Schmitz: Aktuell sind es drei Pitcher. Das Idealziel ist, mindestens 50 Prozent Eigengewächse in der gesamten Bundesliga-Mannschaft zu haben. Das schaffen wir im Moment nicht ganz. Aber wir sind wieder dran und merken, seitdem unser Stützpunkttrainer Clemens Cichocki 2018 neu dazugekommen ist, dass wieder mehr im Nachwuchs passiert. Wir haben eine gute Anbindung der Zweitliga-Mannschaft, des Farmteams, und der Junioren an die Bundesliga-Mannschaft. Jeden Dienstag trainieren wir außerdem zusammen. Daher hoffen wir, in Zukunft noch mehr eigene Spieler in der Bundesliga zu sehen.

Wann und wie erkennt man ein Talent für eine bestimmte Position?

Schmitz: Das kann man nicht so einfach sagen. Für uns ist es wichtig, dass für die Kinder bis zum U12-Bereich der Spaß im Vordergrund steht. Wir wollen eine athletische Grundausbildung fördern. Je älter die Jungs werden, im U15- und U18-Bereich, wird der Grundstein gelegt, damit die Spieler den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft schaffen. Genau das soll unser Nachwuchs-System erzielen. Ab U15, U18 fängt langsam die Spezialisierung an.

Am Dienstag beginnt der Champions Cup in Bonn. Im vergangenen Jahr haben Sie mit den Capitals das Finale erreicht. Was ist Ihr Ziel für dieses Jahr?

Schmitz: Das Turnier gewinnen. Der Finaleinzug im vergangenen Jahr war zwar extrem überraschend, aber das Team und auch der Coaching-Staff haben daran geglaubt – vielleicht nicht alle, aber der Großteil. Mit jedem Spiel haben immer mehr daran geglaubt, dass da wirklich etwas zu holen ist. Nach diesem tollen und überraschenden Ergebnis wollen wir aber weiter nach oben schauen und uns und dem europäischen Baseball beweisen, dass es keine Eintagsfliege war, sondern dass wir es wiederholen können. Wir wollen uns ein für alle Mal auf die europäische Baseball-Landkarte spielen.

Wer sind die härtesten Konkurrenten? Wer gilt als Favorit?

Schmitz: Das ist schwer zu sagen. Basierend auf meiner bisherigen Recherche ist es unser Gruppengegner San Marino, gegen den wir unser letztes Vorrundenspiel am Donnerstag bestreiten. Aber bei einem Turnier mit den besten acht Mannschaften Europas ist es schwer vorherzusagen, wer gewinnen wird. Alles ist möglich, das haben wir im vergangenen Jahr eindrucksvoll gezeigt.

Wie viel stärker ist die Konkurrenz beim Champions Cup im Vergleich zur Bundesliga?

Schmitz: Ich gehe davon aus, dass sie sehr viel stärker sein wird. Wir spielen gegen Profi-Mannschaften. In der Bundesliga sind die Teams bestenfalls semi-professionell. Ich würde auch die Bonn Capitals als semi-professionelle Mannschaft bezeichnen. Es heißt nicht ohne Grund „Champions Cup“. Alle Teilnehmer haben sich ihren Platz verdient, indem sie ihre Liga gewonnen haben oder Zweiter geworden sind.

Statistiken spielen im Baseball eine große Rolle. Wie wichtig sind sie für die Vorbereitung?

Schmitz: Das Schöne ist, dass jede europäische Top-Mannschaft einen Livestream hat. Ich kann mir die Spiele schon im Vorfeld ansehen und bekomme einen gewissen Eindruck davon, wie die Mannschaft eingestellt ist, wie sie taktisch vorgeht. Außerdem schaue ich mir Statistiken an, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie gut ein Schlagmann, wie gut ein Pitcher ist. Wichtig ist, Tendenzen der gegnerischen Werfer festzustellen und diese Infos unseren Schlagleuten zur Verfügung zu stellen, damit sie diese Infos zum Vorteil für sich im Spiel nutzen können. Wir haben damit im vergangenen Jahr angefangen und gute Erfahrungen gemacht.

Gibt es ein bestimmtes Ritual vor dem Spiel?

Schmitz: Das ist sehr individuell. Manche Spieler müssen vor dem Spiel etwas Bestimmtes essen, andere ziehen sich erst den linken und dann den rechten Schuh an. Was wir als Team-Ritual haben, das ist aber nicht so besonders, das macht jede Mannschaft: Wir kommen noch einmal zusammen, haben unseren Schlachtruf und jeder weiß: Jetzt ist Game-Time!

Gerade bei den Battern sieht man oft, dass sie vor jedem Schlag noch einmal ihre ganz bestimmten Bewegungen machen – ähnlich wie Tennisspieler vor dem Aufschlag.

Schmitz: Ich sehe da einen entscheidenden Unterschied. Ich würde das nicht als Ritual, sondern als Routine bezeichnen. Das ist unglaublich wichtig, dass man als Baseballer eine gewisse Routine entwickelt, nicht nur im Trainingsalltag, sondern auch im Spielalltag, an die man sich hält und an der man sich festhalten kann. Routine ist etwas, das unglaublich stabilisiert und emotional befreit. Weil man immer etwas hat, wenn es mal nicht so gut läuft, oder wenn die Gedanken abschweifen, um sich wieder in die Spielroutine zu bringen.

Bei den Capitals spielen Athleten aus der ganzen Welt: aus den USA, aus Australien, aus Neuseeland. Wie kommen diese Spieler ausgerechnet nach Bonn?

Schmitz: Das hat sich nicht von jetzt auf gleich entwickelt, da haben wir lange für gearbeitet. Wir stehen für Kontinuität, weil wir an den Spielern, die wir herholen, festhalten und ihnen die Möglichkeiten bieten, sich weiterzuentwickeln und sich hier ein Leben aufzubauen. Wilson Lee ist beispielsweise seit sieben Jahren hier, mit einem Jahr Unterbrechung in Solingen. Daniel Lamb-Hunt ist seit mehr als zehn Jahren ein Bonn-Capital. Wir haben ein Netzwerk aus ehemaligen Spielern, Trainern, Nationaltrainern und Scouts professioneller Mannschaften. Auch die Online-Plattform „Baseball Jobs Overseas“ hilft uns bei der Suche. Meistens kommt der Kontakt zu neuen Spielern allerdings über unsere aktuellen Spieler zustande, über deren persönliche Empfehlungen.

Kann man in Deutschland vom Baseball leben?

Schmitz: Wie sagt man? Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel? Das ist unterschiedlich. Deshalb bezeichne ich die Capitals als semi-professionell. Wir haben viele Studenten, Schüler und Berufstätige, die nicht von einer finanziellen Unterstützung des Vereins leben. Wir haben aber auch Spieler, die hier für sechs Monate oder ein ganzes Jahr sind und für die Baseball ihr Job ist. Dass man mit den Gehältern, die wir zahlen können, nicht in die Altersvorsorge einbezahlen kann, ist so. Aber es reicht, um über die Runden zu kommen und ein angenehmes Leben zu führen.

Die meisten Spieler, die das professionell machen, sind Spieler, die in einem professionellen Programm gespielt und irgendwann keine Chance mehr bekommen haben. Von einem auf den anderen Tag werden sie vor die Wahl gestellt, ob sie irgendwo noch ein bisschen Baseball spielen oder mit 23, 24 Jahren aufhören sollen. Einige entscheiden sich weiterzumachen. Für diese Jungs ist der europäische Baseball, nicht nur die deutsche Liga, wirklich gut.

Wilson Lee und Daniel Lamb-Hunt kennen Sie noch als Mitspieler. Wie hat der Wechsel vom Pitcher zum Headcoach funktioniert?

Schmitz: Für mich ganz gut, für den einen oder anderen Spieler nicht so gut. Was ich schon als Spieler gut konnte, war Motivieren und Organisieren. Ich habe früher schon dem Trainer ausgeholfen oder die Mannschaft gepackt und gezeigt, wo es langgeht. Von dem Gesichtspunkt her hat sich gar nicht so viel verändert. Ich glaube, ich kann die Freundschaften, die ich immer noch habe, von der Baseball-Seite und dem Professionellen gut trennen. Mittlerweile hat auch jeder der Jungs verstanden, dass wenn wir zusammen ein Bier trinken, ich Max bin, der Freund. Und wenn wir auf dem Platz stehen, Max, der Trainer.

Die Telekom Baskets haben bei ihren Playoff-Heimspielen rund 6000 Zuschauer angelockt. Was muss sich verändern, damit Baseball populärer wird?

Schmitz: Wir sind schon auf dem richtigen Weg. Dass man hier Baseball-Bundesliga für umsonst anbietet, ist eine gute Sache. Ich glaube aber auch, dass das Spiel für jemanden, der typisch deutsch aufgewachsen ist – in der Fußballnation Deutschland – nicht unbedingt so einfach ist. Beim Baseball dauert ein Spiel neun Spielabschnitte. Wenn es schnell geht, sind es zweieinhalb Stunden, aber auch mal vier Stunden. Und es gibt kein Unentschieden. 2018 haben wir 19 Innings gegen Regensburg gespielt. Wenn man die Möglichkeit bekommt, umsonst Baseball zu schauen, und sportbegeistert ist, dann findet jeder, auch jeder Deutsche, etwas, um sich in Baseball zu verlieben. Und sei es – wie Baseball in den USA verkauft wird – als Social Event mit Freunden, Bier und Burgern. Auch das ist vollkommen okay.

Welche Wünsche haben Sie für die Bonn Capitals, aber auch für den Baseball in Deutschland?

Schmitz: Für die Capitals wünsche ich mir, dass wir sowohl bei nationalen als auch bei internationalen Turnieren den letzten Schritt machen. Unter dem Motto „Finish the Race“ steht auch diese Saison. Die Mannschaft, der Verein und die Ehrenamtlichen hätten es verdient, sich noch einen Meistertitel auf die Fahne zu schreiben. Für den deutschen Baseball wünsche ich mir, dass wir gemeinsam den Grundgedanken verfolgen, den Sport weiterzuentwickeln und nicht gegeneinander schießen. Dass wir den Sport attraktiver machen für Kids, die Bock haben, den Schläger zu schwingen und den Ball zu werfen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort