Max, der Musterschüler Folge 5: Max Pilger

Essen/Bonn · "Der Max", das ist Max Pilger, gerade 19 Jahre alt geworden. Mit Superlativen im schnelllebigen Sport sollte man behutsam umgehen.

 Einer der besten deutschen Schwimmer über 200 m Brust: Der Bonner Max Pilger.

Einer der besten deutschen Schwimmer über 200 m Brust: Der Bonner Max Pilger.

Foto: Horst Müller

Aber der Bonner, der seinen Lebensmittelpunkt in Essen hat, aber aus Verbundenheit zu seinem Heimatclub weiterhin für die SSF Bonn startet, gehört in der deutschen Schwimmszene zu den vielversprechendsten Talenten.

Nicole Endruschat trainiert in ihrer Schwimm-Schmiede am Bundesstützpunkt in Essen eine Reihe von Hochkarätern. Christian vom Lehn beispielsweise, WM-Dritter über 200 m Brust 2011, Hendrik Feldwehr, der über 50 m Brust schon den Europarekord hielt oder Dorothea Brandt, die bei der Kurzbahn-WM in Doha vor drei Monaten zur Bronzemedaille über 50 m Freistil sprintete.

Die SG Essen ist unter der Diplom-Psychologin zur ersten Adresse im deutschen Schwimmsport geworden. Einen aber, den Jüngsten, hat Endruschat besonders ins Herz geschlossen. "Der Max", sagt sie, "ist mein Musterschüler."

Über 200 m Brust, seiner Paradestrecke, sieht ihn seine Trainerin in Deutschland inzwischen auf Rang drei - hinter Ausnahmeschwimmer und Europameister Marco Koch (25) aus Darmstadt und eben Christian vom Lehn (22) aus der eigenen Gruppe. Drei Schwimmer also, die über 200 m Brust um zwei Olympia-Tickets für Rio 2016 kämpfen.

Der, der für die Trainerin im vergangenen Jahr einen "Wahnsinns-Leistungssprung" gemacht hat, hat sich derweil in den Maschinenraum des Stützpunktes zurückgezogen. Vor dem zweistündigen Schwimmen am Abend steht Krafttraining auf dem Lehrplan. Vor allem die Beinmuskulatur ist noch nicht so ausmodelliert, wie es für Topschwimmer nötig ist.

"Beim Brustschwimmen wird viel über die Beine geschoben, da habe ich Defizite", sagt Pilger. Seine Trainerin formuliert es etwas plakativer: "Die Beine hängen mir noch zu sehr hinterher." Dass es ihr Schützling - unbeobachtet von ihr - beim Hanteltraining zu locker angehen könnte, ist für sie ausgeschlossen. "Max trainiert zu 100 Prozent zuverlässig."

Talent ist das eine, Maloche das andere. Um auf diesem Niveau zu schwimmen, sind Enthusiasmus, Leistungsbereitschaft und Liebe zum Sport Grundvoraussetzungen - und klare Karriereziele. "Ich will irgendwann zu Olympia, dafür trainiere ich", sagt der Jugend-Europameister. Im vergangenen Jahr hat er das olympische Flair schon im kleineren Format genießen dürfen. Bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (China) gewann er zweimal Silber.

Wer auf seinen Trainingsplan blickt, zuckt erst einmal zusammen. Oder gerät ins Schaudern. Tägliches Frühtraining, zwei Stunden Schwimmen ab 7 Uhr morgens - und gelegentliches Früh-Frühtraining: Beginn: 5.30 Uhr! Heißt: Eine Dreiviertelstunde früher aufstehen, auf die Schnelle "drei bis vier Marmeladenbrote" frühstücken und ins Schwimmbad. Das ist glücklicherweise gleich um die Ecke, nur 100 Meter von seiner kleinen Wohnung im Essener Stadtteil Rüttenscheid entfernt. 70 Kilometer spult er so inklusive Abendtraining pro Woche im Wasser ab - und das 50 Wochen im Jahr.

Wie sich das intensive Training auf seine Leistungsentwicklung auswirkt, lässt sich an den Zeiten ablesen: Innerhalb eines Jahres hat er sich in seiner Spezialdisziplin um zwei Sekunden auf 2:11,97 Minuten verbessert. Sein knapp vier Jahre älterer Hauptkonkurrent vom Lehn kann im Bereich der Olympia-Norm schwimmen, die bei etwa 2:10 Minuten liegen wird. Eine ziemliche Herausforderung, sollte man meinen. Nicht so für Pilger: "Im Training habe ich ihn schon ein paar Mal gepackt."

Max, der Musterschüler. Er hat das geschafft, woran viele Talente seiner Altersklasse gescheitert sind: Leistungssport und Schule oder Studium miteinander zu vereinbaren. Pilger ist allerdings auch in der Hinsicht ein Überflieger gewesen: Eine Grundschulklasse hat er übersprungen, sein Abitur machte er mit 17 und einem 1,6er-Schnitt auf dem Tannenbusch-Gymnasium, seit eineinhalb Jahren studiert er in Essen BWL.

Der große Rückhalt sind seine sportbegeisterten Eltern - auch heute noch seine Hauptsponsoren. "Ohne ihre Unterstützung, finanziell und moralisch, wäre das alles nicht möglich", sagt Pilger, dessen älterer Bruder Tom ebenfalls ein hervorragender Schwimmer ist.

Das Schwimmen liegt der Familie in den Genen. Mutter Ute Pilger, heute für die Öffentlichkeitsarbeit der SSF Bonn zuständig, ist die Tochter des langjährigen SSF-Sportwarts Hermann Nettersheim. Die einstige Spitzenschwimmerin, viermalige Deutsche Meisterin mit der SSF-Damenmannschaft, hat früher das Kinderschwimmen im Sportpark Nord geleitet. "Und weil ich ja schlecht alleine zu Hause bleiben konnte, war ich schon mit drei Jahren ständig im Wasser", erinnert sich Max Pilger.

Schon früh schwamm er als jüngerer Jahrgang schneller als die ein Jahr älteren Kameraden, später hatte er bis auf seinen Bruder keinen adäquaten Trainingspartner mehr in Bonn. Ohne den Wechsel zum Stützpunkt nach Essen wäre er vermutlich in seinen Leistungen stagniert.

Mit 17 machte er sich allein auf in die Ruhrmetropole, erst ins Schwimm-Internat, dann in die erste eigene Wohnung. "Ich habe früh gelernt, selbstständig zu leben", sagt Pilger. Herd und Waschmaschine in der Küche sind also nicht nur Deko, sondern im Dauer-Betrieb. Selbst mit Bunt- und Kochwäsche ist der Bonner bestens vertraut. Und wenn mal die Alarmsirene geht, setzt sich Mutter Ute ins Auto und fährt die 100 Kilometer nach Essen.

Auf dem Weg nach Rio gelten die Deutschen Meisterschaften in vier Wochen in Berlin als erstes Formbarometer. "Eine Medaille" traut ihm seine Trainerin Nicole Endruschat zu. Sie ist sicher: "Irgendwann wird Max an den Topevents teilnehmen, an Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Das schaffen wir." Dann hätte sich die ganze Plackerei gelohnt.

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