In den Pyrenäen fährt die Gefahr immer mit

Bei Talabfahrten mit fast 100 Stundenkilometern gehen die Profis ein hohes Risiko ein

  Auch Laurent Jalabert  stürzte am Samstag bei einer Abfahrt. Der Franzose sicherte sich dennoch das Bergtrikot.

Auch Laurent Jalabert stürzte am Samstag bei einer Abfahrt. Der Franzose sicherte sich dennoch das Bergtrikot.

Foto: dpa

Saint-Lary-Soulan. (mel) Den Zuschauern stockte der Atem. Der Sturz von Jan Ullrich auf der Abfahrt vom Col de Peyresourde weckte schlimme Erinnerungen. Sechs Jahre zuvor war der Italiener Fabio Casartelli nur wenige Kilometer entfernt auf der Abfahrt vom Col du Portet d''Aspet tödlich verunglückt.

Der 24-jährige Familienvater war bei Kilometer 34 der 15. Etappe von Saint-Girons nach Cauterets mit dem Kopf gegen einen Markierungsstein geprallt. Sieben weitere Fahrer stürzten, darunter der Deutsche Dirk Baldinger und der Belgier Johan Museeuw. "Ich will darüber nie mehr reden. Das ist der schlimmste Albtraum, der mir je passiert ist", sagte Museeuw vor einiger Zeit bei einem Interview. Casartelli wurde zwar noch ins Krankenhaus nach Tarbes gebracht, doch die Ärzte konnten ihn nicht retten. Es war der vierte Todesfall der Tour-Geschichte.

In solchen Augenblicken kommen immer wieder Zweifel auf, ob die Gefahr für Leib und Leben der Radprofis auf ihren tollkühnen Abfahrten nicht zu groß ist. "Das ist ein kalkuliertes Risiko, weil die Fahrer ihr Sportgerät perfekt beherrschen", sagte Telekom-Profi Udo Bölts vor der Tour.

Bei Talabfahrten mit fast 100 Sachen erscheint diese Aussage zumindest fragwürdig. In Casartellis Motorola-Team war damals ein Amerikaner namens Lance Armstrong gefahren. Sechs Jahre später kam der zweimalige Tour-Sieger am Samstag zum ersten Mal bei einem Rennen wieder an dem Unglücksort vorbei. Bei Kilometer 77,5 erinnerte ein Gedenkstein an Casartellis Tod. "Als ich dort vorbeigefahren bin, habe ich beschlossen, die Etappe zu gewinnen. Ich widme Fabio den heutigen Sieg", sagte Armstrong im Ziel.

Erst vor sechs Wochen hatte er mit seinen Teamkollegen beim Training an der Casartelli-Stele gestanden. "Da habe ich geweint wie ein Kind. Die Erinnerung tut noch immer sehr weh", so Armstrong. Der Amerikaner hatte damals den Franzosen Richard Virenque kritisiert, weil der die Etappe in Siegerpose beendet hatte.

Am Tag danach hatte das Peloton das Motorola-Team auf der Etappe von Tarbes nach Pau geschlossen zuerst über die Ziellinie fahren lassen. Die Radprofis ehrten auf diese Weise einen der Ihren.

Gerade in den Pyrenäen mit ihren zum Teil über zehnprozentigen Gefällstrecken, engen Kurven und tiefen Abgründen fährt die Gefahr immer mit. 1971 war der Spanier Luis Ocana im Gelben Trikot auf der Abfahrt vom Col de Menté, der am Samstag ebenfalls passiert wurde, schwer gestürzt und musste die Tour aufgeben. Eddy Merckx weigerte sich, am nächsten Tag im Gelben Trikot zu fahren. Seinen dritten Tour-Sieg ließ er sich jedoch nicht nehmen.

Elf Jahre zuvor war der französische Tour-Favorit Roger Rivière auf der Etappe von Millau nach Avignon am Col du Perjuret über eine Bordumrandung mehr als 30 Meter tief in einen Abgrund gestürzt. Von seiner schweren Wirbelsäulenverletzung hat er sich nie mehr erholt.

Neben Ullrich stürzte am Samstag auch Laurent Jalabert, der 162 Kilometer an der Spitze fuhr. "Ich war einfach platt und habe nicht aufgepasst", meinte der Franzose, der ebenfalls mit dem Schrecken davonkam.

Weniger Glück hatte am Tag zuvor der Niederländer Bram de Groot gehabt. Der Rabobank-Fahrer war auf der Abfahrt vom Col de Jau gestürzt und mit dem Kopf gegen eine Mauer geprallt. Französische Zeitungen veröffentlichten Fotos, die den 26-jährigen Profi zeigten - bewusstlos halb unter einer Leitplanke liegend. De Groot wurde mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus nach Perpignan gebracht, wo sich sein Zustand am Abend stabilisierte. Mit einer schweren Gehirnerschütterung konnte er am Samstag den Flug in seine Heimat antreten.

Unmittelbar nach De Groot stürzte auch Sergej Iwanow. Für den Russen war die Rundfahrt damit ebenfalls beendet.

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