Mit mehr Muskelmasse wäre Zabel schneller

Ex-Profi Marcel Wüst spricht mit dem Bonner General-Anzeiger über die bisherigen Etappen und die Rolle der Deutschen bei der Tour

Bonn. Auch in diesem Jahr ist Marcel Wüst als Radsportexperte für die ARD bei der Tour dabei. Der 36-jährige frühere Weltklassesprinter, der seine Karriere vor vier Jahren nach einem schweren Sturz, bei dem er ein Auge verlor, beenden musste, gewann allein zwölf Etappen bei der Spanien-Rundfahrt und war auch einmal bei der Tour im Spurt erfolgreich. Mit Marcel Wüst sprach Hansjürgen Melzer.

General-Anzeiger: Was ist für Sie die größte Überraschung der ersten eineinhalb Tour-Wochen?

Marcel Wüst: Dass große Sprinternamen wie Alessandro Petacchi und Mario Cipollini keine Rolle gespielt haben und bereits nicht mehr dabei sind. Wenn man die Situation im Fall Petacchi jedoch analysiert, hätte man das wissen können. Wer beim Giro d''Italia neun Etappen gewinnt und dort jeden Tag Vollgas fährt, kann anschließend bei der Tour nicht mehr viel erreichen.

GA: Nicht nur die großen Namen, sondern auch die großen Duelle im Sprint sind in diesem Jahr ausgeblieben. Woran liegt das?

Wüst: Es hat bisher viele verschiedene Sieger gegeben. Kirsipuu, Nazon, McEwen, Boonen, Hushovd. Wenn die ganz großen Namen fehlen, mag es für die Zuschauer weniger spannend sein, für mich ist es jedoch genauso interessant.

GA: Wenn jeder mal darf, warum fehlt denn Erik Zabel unter den bisherigen Etappensiegern?

Wüst: Wenn man wie Zabel Zweiter werden kann, kann man auch gewinnen. Aber ich muss mich auch mal entscheiden, was ich will. Will ich gut über die Berge kommen oder Etappen gewinnen? Von seinen genetischen Voraussetzungen her ist er ein Sprinter. Dann muss er aber noch mehr spezifisches Sprint- und Krafttraining machen.

GA: Warum ändert er nichts an seinem Training?

Wüst: Uwe Raab, der wie Zabel aus der DDR kam, hat mir mal gesagt, sie hätten dort immer so gut fahren müssen wie möglich. Vielleicht hat das ja Zabel geprägt. Er fährt 100 Renntage knapp unter Vollgas anstatt sich bei Etappenrennen im Gruppetto (Gruppe der Sprinter und schlechten Bergfahrer, die nur in der Richtzeit das Ziel zu erreichen versuchen, Anm. d. Red.) auszuruhen. Da verliert er statt 30 nur 13 Minuten. Für seine Sprinterkarriere ist das aber nicht förderlich.

GA: Danilo Hondo vom Team Gerolsteiner war bisher mehrmals ebenso dicht wie Zabel am Etappensieg dran. Dennoch tut sich die zweite deutsche Mannschaft bei der Tour ähnlich schwer wie im letzten Jahr und hat erneut bereits zwei Fahrer verloren. Gehört Lehrgeld zahlen bei Tour-Neulingen dazu?

Wüst: Das hat mit Lehrgeld nichts zu tun. Auch größere Teams haben bereits mehrere Fahrer verloren. Wenn Hondo eine Etappe gewinnt, wäre das natürlich fantastisch. Ihm fehlt noch ein bisschen das Selbstvertrauen. Auf die gesamte Saison gesehen, ist Gerolsteiner bisher besser als T-Mobile gefahren. Aber Erfolge werden in Deutschland ja immer nur daran gemessen, was Jan Ullrich bei der Tour macht.

GA: Geben Sie Ullrich eine reelle Chance?

Wüst: In den Bergen kann auch ein Lance Armstrong schnell einmal drei Minuten verlieren, wenn er einen schlechten Tag hat. Schade, dass Alexander Winokurow nicht dabei ist. Mit ihm und Ullrich als Doppelspitze hätte T-Mobile sehr schöne taktische Spielchen starten können. Winos Ausfall ist für mich der bisher größte Verlust für die Tour.

GA: Die Pavés, die berüchtigten Kopfsteinpflaster-Passagen in Nordfrankreich, haben einem der großen Favoriten, Iban Mayo, wahrscheinlich bereits alle Siegchancen genommen. Tun sich die Tour-Organisatoren mit einer solchen Streckenführung einen Gefallen?

Wüst: Ich finde das nicht gut. Das ist, als wenn Ian Thorpe vor dem olympischen Rennen über 400 m Freistil vorher noch im Meer gegen 15 Meter hohe Wellen anschwimmen müsste. Iban Mayo hat mir richtig Leid getan. Es gibt Profis, die können auf Kopfsteinpflaster einfach nicht fahren. Auf der anderen Seite hat die Tour eben ihre Regeln, die jeder Fahrer akzeptieren muss.

GA: Welchen Eindruck macht das Umfeld von Jan Ullrich mit den beiden "Erzfeinden" Walter Godefroot und Rudy Pevenage auf Sie?

Wüst: Sie haben sich bei der Tour doch sogar die Hand geschüttelt. Ich glaube, jeder hat begriffen, dass alle auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten müssen.

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