Psychologie mit Baskets-Forward Vincent Yarbrough

Markus Raab von der Sporthochschule in Köln erklärt die Wirkung des Leistungsdrucks auf das Phänomen Heimvorteil

Psychologie mit Baskets-Forward Vincent Yarbrough
Foto: Norbert Ittermann

Bonn. Der Heimvorteil ist gewaltig in Verruf geraten. Seit Wissenschaftler das Phänomen genauer unter die Lupe nehmen, ist aus einem der vermeintlich größten Einflussnehmer im Sport ein Scheinriese wie bei Jim Knopf geworden.

Am Horizont ist er Ken Johnson, kommt er näher, reicht er EJ Rowland bis zum Bauch - wenn überhaupt. Die an den Play-offs um die deutsche Basketball-Meisterschaft beteiligten Teams haben allesamt nicht eben dazu beigetragen, die These, dass der Heimvorteil gar keiner ist, zu widerlegen. In der Halbfinal-Serie zwischen Alba Berlin und den Telekom Baskets Bonn gab es in fünf Spielen drei Heimniederlagen - oder Auswärtssiege, wie man will.

Mit dem abschließenden Erfolg in Berlin spielten sich die Bonner ins Finale gegen Oldenburg. Und da machten sich nach vier Spielen bislang immer bestens gelaunte Gäste auf die Heimreise. Mit der Heimreise, möchte man meinen, begannen die Probleme. Schon im Bus fing das Nachdenken über das nächste Heimspiel an.

"Choking under pressure", nennt die sportwissenschaftliche Forschung das Phänomen; Leistungsabfall unter Druck. Es tritt eine Minderung der Leistung ein, die darauf beruht, dass sich die psychischen Voraussetzungen unter Druck ändern, etwa das Angstniveau steigt.

So verschlechtert sich die Ausführung intensiv trainierter Bewegungen in Drucksituationen, also solchen mit subjektiv hoher Bedeutung - Beispiel Doppelfehler beim Tennis oder schlechte Quote an der Freiwurflinie beim Basketball. "Der Spieler denkt mehr über den möglichen Misserfolg nach als über die Aufgabe", erklärt Professor Markus Raab vom Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule in Köln.

"Dabei kann die Unterstützung in der Halle den psychischen Druck noch erhöhen." Auswärtsmannschaften sind auf das, was sie erwartet, gemeinhin besser vorbereitet. "Die kommen in die Halle und wissen: Alle sind gegen uns." Präparieren könne man sich für solche Drucksituationen gemeinsam, mit Training unter Wettkampfbedingungen und auch individuell.

"Der eine muss angestachelt werden, der andere benötigt seine Ruhe", sagt Raab, "es gibt da eine Reihe sportpsychologischer Methoden wie Musik hören oder das Etablieren von Routinen." Testosteron, so hat der britische Evolutionsbiologe Nick Neave herausgefunden, sei ein entscheidender Faktor für den Heimvorteil.

Der Spiegel des männlichen Sexualhormons im Blut steige bei Heim- wesentlich mehr als bei Auswärtsspielen an. Testosteron ist verantwortlich für gesteigertes Revierverhalten. Eine Erklärung, die Raab für Spiele von hoher Bedeutung nicht unbedingt sieht: "Der Testosteronpegel ist bei Leistungssportlern ohnehin hoch, und in solchen Spielen erst recht." Es passt also auch in den Koffer mit den Auswärtstrikots.

Was bedeutet das alles für das fünfte Finalspiel? "Das hängt von der Gewinnerwartung beider Mannschaften ab", sagt der Sportpsychologe Raab. "Ist der Erwartungsdruck der Teams etwa gleich hoch, hat der Heimvorteil keinen Einfluss." Meistens ist der Druck beim Gastgeber aber höher.

Die vier bisherigen Heimniederlagen taugen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten jedenfalls noch nicht zur empirischen Serie. "Da müsste man mehr Spiele heranziehen", sagt Raab. Deshalb könne es auch eine andere Erklärung für die verrückten Play-offs geben: "Zufall." Und wie sagte Baskets-Spieler Vincent Yarbrough nach der Niederlage am Dienstag?

"Manchmal kann die Begeisterung der Fans ein Spiel lähmen. Dann hat man das Gefühl, dass alles von alleine gehen müsste. Aber dasselbe kann jetzt auch Oldenburg im nächsten Spiel passieren. Wir können noch Meister werden. Yes - we can!" Yarbrough hat an der University of Tennessee Psychologie studiert. Eine Expertenmeinung, die er aufs Team übertragen sollte.

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