Interview mit dem Herrenflorett-Bundestrainer Uli Schreck: „Wir versuchen hier unser Bestes“

Herrenflorett-Bundestrainer Uli Schreck sieht für den „Löwen von Bonn“ keine optimalen Voraussetzungen. Der Bonner beklagt mangelnde Unterstützung für seine Waffe.

Herr Schreck, wie sehen Sie die Vorzeichen für den diesjährigen Löwen von Bonn?

Uli Schreck: Wir befinden uns im Jahr vor der Olympia-Qualifikation. Deshalb steht die Mannschaft noch nicht so sehr im Fokus. Ich schaue mehr auf die Entwicklung der einzelnen Athleten und darauf, was von hinten kommt. Natürlich ist auch das Team wichtig, weil es auch darum geht, mit einer möglichst guten Weltranglistenposition in die Olympia-Qualifikation zu starten. Auf diesem Wege gibt es aber noch viele weitere Turniere, vor allem Welt- und Europameisterschaften, wo es doppelte Punkte gibt. Aber natürlich will man sich beim Heimturnier von seiner besten Seite zeigen. Die Voraussetzungen sind aber diesmal nicht so optimal.

Warum ist das so?

Schreck: Peter Joppich hat aufgrund eines Ausbildungslehrgangs bei der Bundeswehr Trainingsrückstand. André Sanita hat wegen einer Verletzung an der Hand lange pausiert. Da kann man keine Wunderdinge erwarten.

Was genau war das Problem bei Sanita?

Schreck: In der Waffenhand hatte sich ein Ödem gebildet. Das Problem hatte André schon letztes Jahr, und die Pause nach der WM hat nicht dazu beigetragen, die Verletzung komplett auszuheilen. Wir sind dann auf Nummer sicher gegangen und haben die Weltcupturniere in Tokio und Turin für André ausgelassen und gesagt, wir machen erstmal strikt Pause. Vor Kurzem war er in Paris zum ersten Mal dabei. Bis dahin hatte André bis auf ein paar leichtere Übungen keine Waffe in der Hand. Jetzt steigern wir allmählich die Trainingsintensität. Derzeit sind wir bei 80 Prozent dessen, was André mit der Hand machen kann. Wenn er diese Phase übersteht, sind wir guter Dinge, dass er wieder voll einsatzfähig wird.

Wie sieht die personelle Situation insgesamt in Ihrem Team aus?

Schreck: Bei uns sind die üblichen Verdächtigen unterwegs, vorneweg Peter Joppich, Benjamin Kleibrink, André Sanita und Alexander Kahl. Marius Braun befindet sich in der Endphase seines Studiums und ist derzeit mit Prüfungen beschäftigt. Dominik Schoppa hat sich gut gemacht und trainiert gut, hat sich auf Rang drei der deutschen Rangliste vorgearbeitet und war bei den vergangenen Weltcups zweimal im Hauptfeld platziert. Ich habe die Hoffnung, dass Dominik auf längere Sicht die Etablierten unter Druck setzen kann.

Aber wenn Sie, wie erwähnt, nach hinten schauen, kommt nicht viel nach.

Schreck: Das muss man leider so feststellen. Zur Verdeutlichung: Wir haben acht Weltcups, die teilweise in Übersee stattfinden. Zu denen könnten wir mit zwölf Athleten reisen. Es gibt aber nur sechs Fechter, die sich bereit erklären, dabei zu sein. Dazu gehören vier, die vom Verband bezahlt werden und zwei, die selbst die Kosten übernehmen beziehungsweise deren Clubs. Die Vereine sind nicht mehr in der Lage, die Reisen zu finanzieren. Unter dem Strich fehlt den einzelnen Fechtern die Wettkampfpraxis, die aber so wichtig ist, für die individuelle Entwicklung und um mit dem Tempo der Weltspitze mitzuhalten. Aber so hat sich das Weltcupsystem in den vergangenen Jahren entwickelt, gesteuert durch die Russen, die einen Oligarchen als Weltverbands-Präsidenten stellen und mit erheblich mehr Geld aufwarten können.

Wie bewerten Sie die Situation speziell beim OFC Bonn?

Schreck: Die ist für mich als Bundestrainer inakzeptabel. Der Verein scheint sich aus der Förderung des Herrenfloretts, das ja die Schwerpunktwaffe am Bonner Stützpunkt ist, zu verabschieden. Trainer Nicolai Kotchetkov arbeitet zwar noch hier, wird aber nicht mehr vom Verein finanziert. Er arbeitet nur noch mit den Besten, ist aber nicht für den OFC für Talentsichtungen an Schulen oder sonstwo unterwegs. Unter dem Strich sehe ich den OFC Bonn gerade im Herrenflorett unzureichend aufgestellt. Wenn man die Jungen sieht, die hier im Training unterwegs sind, dann tummeln die sich eher bei den anderen Waffen und im Breitensportbereich, aber im Herrenflorett, wie gesagt die Schwerpunktwaffe in Bonn, geht es hier den Bach runter.

Macht der OFC da eine Ausnahme?

Schreck: Leider nein. In ganz Deutschland wird das Herrenflorett inzwischen stiefmütterlich behandelt. Eigentlich sollten die Kinder über das Florett den Zugang zum Fechten bekommen. Aber es ist halt eine komplexe Waffe. Deshalb konzentrieren sich inzwischen viele Vereine auf die leichter auszubildenden Waffen, wie beispielsweise Degen. Das ist mein Dilemma, das ich als hauptverantwortlicher Trainer für Herrenflorett in Deutschland habe. Und wenn die großen Zentren das schon vormachen, wie Tauberbischofsheim oder speziell Heidenheim, wo man sich komplett vom Herrenflorett verabschiedet hat, kann man nicht erwarten, dass die kleinen Vereine dir dann die Talente bringen. Wir haben schon Schwierigkeiten, das Internat mit guten Leuten zu füllen.

Wie wollen Sie die Situation retten?

Schreck: Wir versuchen hier unser Bestes. Einige talentierte Fechter aus Weinheim trainieren nach dem tragischen Tod ihres Trainers Alexander Perelmann mittlerweile auch öfter in Bonn. Aber das ist eine Notlösung, weil diese Fechter sich irgendwann mal entschieden haben, in Mannheim oder Heidelberg zu studieren. Auf längere Sicht ist es für einen Sportler nicht zumutbar, immer nach Bonn zum Training zu fahren.

Was erwarten Sie beim Löwen?

Schreck: Wir sind mitten in der Saison und stehen vor einem Weltcupturnier, wo man einfach mal schaut, wie der Stand der Dinge ist. Weil es aber ein Heimturnier ist, müssen wir so ehrgeizig wie möglich an die Aufgabe herangehen. Außerdem haben wir verhältnismäßig viele deutsche Fechter am Start. Das gibt mir die Möglichkeit, den Nachwuchs genauer unter die Lupe zu nehmen.

Im vergangenen Jahr hat Peter Joppich das Turnier zum zweiten Mal gewonnen. Ist der Gedanke erlaubt, an eine Titelverteidigung zu denken?

Schreck: Daran zu denken verbietet sich geradezu. Man kann höchstens davon träumen. Peter ist derzeit 18ter der Weltrangliste und steht damit ziemlich genau da, wo man ihn erwarten kann. Zuletzt ist er regelmäßig unter die letzten 32 gekommen, viel mehr kann man derzeit nicht erwarten. Aber wenn ich schon vom Träumen gesprochen habe, Peter ist auch einer der wenigen, der an bestimmten Tagen über sich hinauswachsen kann. Mich würde es natürlich freuen, wenn er gerade beim Heimturnier aufs Podest käme oder zumindest unter die letzten acht. Wenn ein Deutscher bis zum Schluss dabei ist, dann ist das für die Stimmung beim Turnier einfach viel besser.

Und Peking-Olympiasieger Benjamin Kleibrink …

Schreck: … entwickelt sich nach seiner Rückkehr sehr gut. Er ist ein begnadeter Fechter und arbeitet auch sehr professionell. Er ist zwar nicht jünger geworden, das gleicht er mit seinem Kopf und seiner ganzen Erfahrung aus. Beim Weltcupturnier in Paris war er unter den letzten 16 und damit unser Bester. Bis dahin hat er starke Fechter geschlagen. Ich würde ihm ein ähnliches oder besseres Ergebnis hier in Bonn wünschen. Das würde ihm einen enormen Schub geben.

Sie haben schon die Mannschaft erwähnt. Ihre Ergebnisse sind für die Olympia-Qualifikation von besonderer Bedeutung, weil drei Fechter des Teams automatisch auch im Einzel starten dürfen. Wie sehen die Kräfteverhältnisse derzeit aus?

Schreck: Mit Platz acht wären wir aktuell bei Olympia dabei. Wir profitieren allerdings davon, dass unter den besten vier Mannschaften, die sich direkt qualifizieren, drei europäische Teams sind. Ab Platz fünf darf der jeweils Beste der vier Fechtkontinente starten. Für Europa sind das derzeit wir.

Wo lauert die Konkurrenz?

Schreck: Da sind vor allem die Ukrainer zu nennen, die nur knapp hinter uns liegen, und die Polen, gegen die wir zuletzt erst zum zweiten Mal überhaupt verloren haben. Gefahr droht auch durch die Briten.

Die Fechter schwärmen immer von den Tagen vor dem Löwen von Bonn. Warum ist das so?

Schreck: Weil viele Nationen schon sehr früh anreisen, und die Fechter diese Situation nutzen, um viele Gefechte gegen unterschiedliche Gegner zu absolvieren. Wir sprechen immer von einem Spitzenfechterlehrgang. Aber natürlich ist es kein herkömmlicher Lehrgang, sondern ein eine Art intensives Sparring auf höchstem Niveau, das für die Athleten und ihre Entwicklung von enormer Bedeutung ist.

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