Laufend im Gespräch mit Michael Ilgner "Wir brauchen Olympische Spiele"

FRANKFURT · Der frühere Wasserball-Olympiateilnehmer Sporthilfe-Chef Michael Ilgner spricht über die Herausforderungen des deutschen Spitzensports und erklärt, warum die Vorbereitung für den Frankfurter Ironman am Sonntag keine Qualen für ihn darstellen.

Michael Ilgner, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe

Michael Ilgner, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe

Foto: Holger Teusch

Am Sonntag weht ein Hauch von Hawaii durch die Bankenmetropole Frankfurt. Unter den 2 500 Ausdauer-Athleten aus 51 Nationen, die um 6.45 Uhr die Distanzen von 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und dem abschließenden Marathon in Angriff nehmen, ist auch Michael Ilgner, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Sporthilfe.

Es ist seine dritte Teilnahme nach 2006 und 2009, als einer der Ersten wird es der 42-Jährige sicher nicht zum Ziel auf dem Römer schaffen. Der frühere Wasserball-Olympiateilnehmer zählt zu den Genießern, sofern man bei der Mammutdistanz davon sprechen kann. Er tut dies im Interview mit dem General-Anzeiger.

Herr Ilgner, Sie sind der Mann aus dem Katalog für die duale Karriere …
Michael Ilgner: Die Mehrzahl der geförderten Athleten schafft es sehr gut, Ausbildung und Sportkarriere zu verbinden.

Michael Ilgner im Interview
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Mehr als die Zeit, in der Sie 1996 Olympiateilnehmer im Wasserball waren, meine ich die Gegenwart. Am Wochenende starten Sie zum dritten Mal neben Ihrer Tätigkeit als Chef der Sporthilfe in Frankfurt beim Triathlon über die Ironman-Distanz. Wie viele Stunden in der Woche trainieren Sie?
Ilgner: Seit Mitte April etwa 8 bis 10 Stunden die Woche.

Wie schaffen Sie das neben dem Job und der Familie mit drei Kindern?
Ilgner: Wie so oft, wenn man konkrete Ziele hat und sich dafür begeistern kann, findet man Mittel und Wege, die man sonst gar nicht sehen würde. Mit Familie und Beruf ist es unmöglich, Triathlon auf einem Niveau zu betreiben, das meinen persönlichen Wunschzielen entsprechen würde. Das stört mich aber mittlerweile nicht mehr. Im Rahmen der Möglichkeiten bin ich froh und dankbar, dass ich so etwas machen kann. Weil es für mich ein tolles Gefühl ist, dass ich mit Anfang 40, als jemand, der früh mit dem Leistungssport aufgehört hat, mal fit bin. Ich merke, dass sich das auf Berufs- und Privatleben positiv überträgt. Das gibt einem dann wieder die positive Energie, um am Wochenende mal um fünf Uhr aufzustehen und aufs Rad zu steigen - und wieder da zu sein, wenn die Familie aufwacht. Nur so geht das in meiner Situation überhaupt.

Also geht es nicht auf Kosten des Familienlebens?
Ilgner: Meine Trainingsumfänge sind human verglichen mit Lehrbuchinhalten. Ich versuche, viel in die Zeiten zu verlegen, in denen die Kinder schlafen. Wenn ich Dienstreisen habe, laufe ich spät am Abend noch. Man muss schon sehr kreativ sein, um das Mindestmaß hinzubekommen.

Warum quälen Sie sich neben dem Beruf noch so?
Ilgner: Ich quäle mich nicht, sondern treibe Sport und habe dabei sehr viel Spaß. Zum Sport gehört auch, immer wieder an seine Grenzen zu gehen, irgendwann die Leistungssteigerung zu spüren und zu merken, dass es beim nächsten Mal noch viel besser geht. Der eine mag das als quälend empfinden, der andere als angenehme Anspannung. Gerade der Langdistanz-Triathlon ist, weil man vieles doch sehr im ruhigen Pulsbereich macht, im Vergleich zu dem, was ich früher als Leistungssport gemacht habe, alles andere als quälend. Insofern kann ich nicht von Quälen sprechen.

Sie zählen zu den Machern im Olympischen Sport Deutschlands. Was läuft gut?
Ilgner: Vieles läuft grundsätzlich gut. Wenn ich mich mit ausländischen Kollegen unterhalte, dann werden wir um vieles beneidet. Ob das die Integration der deutschen Vereinslandschaft in das Alltagsleben ist, die Sportstätten oder Förderinstitutionen wie die Sporthilfe. Auch die Erfolge gehören dazu. Schauen Sie sich beispielsweise den Wintersport an. Oder positive Entwicklungen in Kernsportarten, in denen wir den Anschluss zur Weltspitze verloren zu haben schienen, etwa Leichtathletik und Kunstturnen. Wir haben Olympiasieger im Hockey und im Rudern und und und

Aber wir sind auch ein Land der Nörgler …
Ilgner: Das sehe ich nicht so. Es ist unsere Pflicht, uns auch mit Dingen zu befassen, die eben nicht so gut laufen. Man darf nicht den Blick verlieren für die Dinge, die zu verbessern sind. Das sollte möglichst nicht den Blick dafür trüben, dass wir ein wirklich großartiges Sportland sind. Wie in anderen Lebensbereichen geht es auch im Sport darum, sich ständig zu verbessern.

Sie plädieren dafür, keine Sportart aufzugeben. Würde ein konzentrierterer Einsatz der Mittel zugunsten starker Disziplinen nicht eher die Medaillenausbeute optimieren?
Ilgner: Wir sind gut beraten, nicht alleine nach den Medaillen und den unmittelbaren Erfolgen zu entscheiden, welche Sportarten wir fördern oder nicht. Deutschland ist ein Sportland, das auf Vielfalt aufbaut.

Ist der deutsche Spitzensport gewappnet für die nächsten Jahre?
Ilgner: Es ist in den letzten Jahren immer schwieriger für uns geworden aufgrund der generellen Entwicklung: Schauen Sie sich die Anzahl der Länder an, die im Sommer Medaillen bei Olympischen Spielen gewinnen. Die steigt kontinuierlich an, das heißt der Wettbewerb wird größer. Andererseits haben wir in öffentlichen Haushalten eine Schuldenbremse und gleichzeitig im Bereich Schule und Berufsausbildung gestiegene Anforderungen. Ob G8 oder Studienreformen - in vielen Lebensbereichen verändert sich das Umfeld für Breiten- wie Spitzensport radikal. Man muss schauen, wie man darauf reagiert, was man sich heute noch leisten kann.

Was läuft schlecht im deutschen Spitzensport, was muss verbessert werden?
Ilgner: Ein ganz großes Thema ist die Vereinbarkeit von Ausbildung und Höchstleistungssport. Wir sind der Überzeugung, dass dies möglich ist und glauben sogar, dass durch diese Verbindung positive Auswirkungen auf die sportliche Leistungsfähigkeit möglich sind. Hinzu kommt die Reduzierung von Fehlverhalten und negativen Begleiterscheinungen im Sport. Je stabiler und langfristiger Menschen gefördert werden, desto weniger anfällig sind sie auch gegen Auswüchse im Sport.

Damit landen wir beim Thema Doping…
Ilgner: Das spielt selbstverständlich eine Rolle. Darüber und über andere Exzesse im Leistungssport haben wir nach London ausführlich debattiert. Wir legen Wert darauf, die Diskussion am Leben zu halten. Da muss mehr getan werden. Vor allem ist es wichtig, dass Spitzensportler sich in einem stabilen Umfeld bewegen, eine Perspektive für die Zeit nach der Sportkarriere erhalten und so leichter der Versuchung einer Manipulation widerstehen.

Wie kann das gelingen?
Ilgner: Wir dürfen die Athleten nicht als einen Kokon betrachten, der sein Eigenleben führt, sondern müssen sie als Bestandteil unserer Gesellschaft sehen. Die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt sind hoch bei uns – ich betone: glücklicherweise. Aber alleine deshalb können wir unser duales System der Förderung nicht vergleichen mit Ländern wie China oder mehreren ehemaligen Ostblockstaaten, das führt in die Irre.

Wir zählen zu den besten fünf Nationen im olympischen Sport, wo würden Sie die Förderung ansiedeln?
Ilgner: Ich weiß nicht, ob man das eins zu eins vergleichen sollte, weil Sportlandschaft auch ein Abbild der jeweiligen Gesellschaft ist.

Aber im Medaillenspiegel stehen diese Länder doch auch nebeneinander, unabhängig vom Fördersystem ...
Ilgner: Der Medaillenspiegel ist eine Verkürzung. Unsere Philosophie sollte nicht alleine auf den sportlichen Erfolg fokussiert sein, sondern darauf, dass Spitzensportler auch nach ihrer Laufbahn in unserer Gesellschaft eine zufriedene und glückliche Rolle spielen.

Sie machen die Qualität einer Förderung also nicht alleine von den finanziellen Mitteln abhängig?
Ilgner: Exakt.

Wo steht Deutschland gefühlt, also nicht alleine nach finanziellem Input?
Ilgner: Gemessen an den Investitionen sind wir in jedem Fall unter den ersten zehn. Aber insgesamt, glaube ich, sind wir sogar ganz vorne dabei. Vor allem, wenn Sie berücksichtigen, dass alle anderen, mit denen wir uns vergleichen, in den letzten 20 Jahren mindestens einmal Olympische Spiele ausgerichtet haben und dadurch mindestens einmal einen großen Schub ihres Fördersystems erfahren haben.

Erläutern Sie das etwas näher bitte.
Ilgner: Es ist wie in anderen Bereichen des Lebens, insbesondere der Wirtschaft, dass in regelmäßigen Abständen immer wieder mal grundsätzlich hinterfragt werden muss: Sind wir noch zeitgemäß? Was kann man verbessern? Große Förderungssysteme des Deutschen Olympischen Sportbundes, wie die Glücksspirale, von der die Landessportbünde und die Sporthilfe in hohem Maß heute noch profitieren, wurden 1972 gegründet. Seitdem haben wir keinen derart großen Finanzierungsschub mehr gehabt. Alle anderen Länder, wie Italien, Frankreich, Südkorea, Russland und die USA haben in den letzten 20 Jahren mindestens einmal Olympische Spiele gehabt, ob Winter oder Sommer. Wenn ich das vergleiche, dann sage ich: wir sind ganz vorne dabei. Weil wir wettbewerbsfähig sind, obwohl wir diese Schübe nicht gehabt haben. Aber das wird natürlich jedes Jahr und mit jedem Olympia-Zyklus schwieriger.

Mit welchen Mitteln versuchen Sie das Fehlen eines Olympia-Impulses auszugleichen?
Ilgner: Mit den Kollegen aus Großbritannien haben wir uns in den letzten beiden Jahren häufig getroffen, haben auch aktuellen Kontakt, da spürt man, was mit einem Momentum erreicht werden kann - und welche Fördermöglichkeiten sich daraus ergeben.

Heißt das übersetzt: Deutschland braucht dringend Olympische Spiele?
Ilgner: Absolut. So bald wie möglich.

Nachgehakt beim Thema Doping: Hat der deutsche Sport aus Ihrer Sicht ein Dopingproblem?
Ilgner: Ich möchte das nicht auf den deutschen Sport fokussieren. Ich glaube, Doping ist eine riesige Herausforderung für den Leistungssport generell, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Deshalb ist jede Debatte sinnvoll, die natürlich konstruktiv geführt werden muss. Wir suchen nach Möglichkeiten, um das Problem so weit wie möglich einzugrenzen. Man muss sich gleichzeitig klar darüber sein, dass es leider immer einen gewissen Anteil von Athleten geben wird, die die Fair-Play-Prinzipien missachten. Diesen muss mit allen repressiven Mitteln wie harten Strafen klargemacht werden, dass man das auf Dauer auf keinen Fall duldet. Es passiert sicherlich einiges, aber es ist nach wie vor eine große Herausforderung.

Wie drückt sich diese Null Toleranz Philosophie in den Verträgen der Sporthilfe mit ihren Athleten aus?
Ilgner: Wir haben 2006 schon den so genannten Sporthilfe-Eid eingeführt. Er beinhaltet, dass Athleten, die von uns gefördert werden, bis zu zwei Jahre ihrer Fördergelder zurückzahlen müssen, wenn sie des Dopings überführt werden. Das haben wir seither konsequent umgesetzt, obwohl Wir in einer Vielzahl dieser Fälle nicht von Vorsatz sprechen können. Was die Vorgänge per se nicht besser macht: Wir gehen davon aus, dass wir keine Fälle hatten, die mit hochkriminellen Netzwerken vergleichbar waren. Trotzdem wird das System von den Athleten akzeptiert. Auch gerade von denjenigen, die entsprechende Verfehlungen hatten, denn sie zahlen ihre Fördergelder zurück. Wir setzen das sehr konsequent um, es funktioniert. Es gibt viele Organisationen, Sponsoren oder Institutionen, die Derartiges proklamiert haben in den letzten Jahren. Ob die das so konsequent umsetzen wie wir, diese Frage stelle ich mir schon ab und zu.

Warum nur zwei Jahre Rückzahlung? Ist das hart genug?
Ilgner: Wenn ich mir die etwa 20 Fälle anschaue, die wir hatten, dann handelt es sich in der Regel um den Durchschnittsathleten, der von gut 600 Euro im Monat lebt. Wenn der dann Fördergelder in Höhe von 2000 bis 3000 Euro zurückzahlen muss und jeden Monat nur noch 300 Euro hat, dann ist das eine schwierige Situation für ihn.

Was machen Sie, wenn einer nicht zurückzahlen kann?
Ilgner: Bei einigen vereinbaren wir dann Ratenzahlung, angepasst an die aktuelle finanzielle Situation. Aber es trifft die Athleten schon sehr hart. Nach rechtsstaatlichen Prinzipien, die ich für absolut richtig halte, muss es auch eine Perspektive geben, um danach wieder Fuß fassen zu können, auch wenn man Fehler begangen hat. Ob das angemessen ist oder nicht, das ist eine Diskussion, die wir kontinuierlich führen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass unsere Systeme angemessen sind.

Es gibt andererseits Athleten, die haben in der Tat auch Profit gemacht mit dem Sport. Teilweise zahlen sie Fördergelder zurück, prominentes Beispiel ist Dirk Nowitzki. Erwarten Sie das? Vertraglich ist es ja nicht fixiert.
Ilgner: Wir sind eine Förder-Institution sind und keine kommerzielle Einrichtung, die Geld zurückhaben will. Wir machen die Erfahrung: Athleten geben gerne etwas zurück, wenn sie es nach ganz oben geschafft haben wie beispielsweise Dirk Nowitzki. Das gilt auch für teilweise noch Aktive wie Timo Boll oder Maria Höfl-Riesch, die der Sporthilfe immer in irgendeiner Form helfen, wenn wir sie ansprechen. Das ist mir im Zweifel wesentlich wichtiger, als die Fördergelder die sie bekommen haben, bis auf den letzten Cent zurückzubekommen. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass die Athleten, die aktuell gefördert werden, der Sporthilfe ein Vielfaches zurückgezahlt haben in der Summe aus materiellen und immateriellen Leistungen. Ich bin sehr dankbar und froh, dass die Sporthilfe solche Athleten fördern durfte, und dass sie von sich aus einen großen Teil dazu beitragen, die Sporthilfe zu unterstützen. Das zählt auch das Ehemaligen-Netzwerk emadeus bei.

Sie haben eine Inititiative „Tales for sales“ gestartet – quasi eine Anleitung zur Selbstvermarktung. Werden die Sportler nicht möglicherweise zu stark zusätzlich belastet, wenn ihre Vermarktung zusätzlich in die Hand nehmen sollen?
Ilgner: Das ist genau umgekehrt gedacht. Ich habe es als Wasserballer in einer mittelgroßen deutschen Stadt selbst erlebt. Wenn man die ersten Erfolge hat, dann unterliegt man sehr schnell Illusionen und auch der Enttäuschung, dass es nun auch finanzieller Förderer und Mäzene zumindest vor Ort geben müsste. Wir müssen den Athleten aber klarmachen, dass es keine Bringschuld der Wirtschaft ist, sondern eine Holschuld des Athleten. Wir müssen dabei helfen, dass sie das zunächst verstehen und versuchen, aktive zu werden - wenn sie das denn wollen. Die Stärke der Broschüre ist: Thomas Lurz und Dieter Schneider sind zwei Autoren, die selbst mit Schwimmen und Fechten aus Sportarten kommen, die üblicherweise gerade nicht große Marketingverträge versprechen. Sie schildern in athletengerechter Sprache, wie man sich selbst richtig einschätzt und entscheidet: was kann ich tun, was will ich tun – immer mit der Freiheit, auf diesen Aufwand zu verzichten und sich auf den Sport zu konzentrieren. Es ist schon eine große Aufgabe, eine gewisse Form von Verständnis bei Athleten zu entwickeln, die über ihre Situation und die aus ihrer Sicht ungerechte Verteilung von Werbegeldern und Sponsoren frustriert sind.

Heißt das etwa auch, dass die Sporthilfe möglicherweise nicht genügend Mittel zusammen bekommt, um ihre Programme vernünftig durchzuziehen und Athleten ausreichend zu unterstützen?
Ilgner: Es ist eine der Merkmale der Sporthilfe, mit einer positiven Grundeinstellung heranzugehen, aber immer unzufrieden zu sein mit den Mitteln, die wir gerade haben.

Wäre es andererseits nicht vielleicht ein Geschäftsmodell für die Sporthilf, die Vermarktung von Sportlern in die Hand zu nehmen als Dienstleistung. Gegen Provision, die man dann wieder einsetzen könnte, um andere Athleten zu fördern.
Ilgner: Die Sporthilfe ist und bleibt eine unabhängige Fördereinrichtung. Sie wird sich nicht in Vermarktungsfragen der Athleten einmischen – weder mittelbar noch unmittelbar. Das ist ein wesentliches Element der Sporthilfe-Förderung. Wir brauchen Unabhängigkeit, um die Athleten wirklich objektiv betreuen zu können. Unsere klare Devise ist: Keine Einzelvermarktung von Athleten.

Nils Schumann, 800-m-Olympiasieger von 2000, hat zuletzt im Gespräch mit dieser Zeitung das Profimodell eines per Arbeitsvertrag angestellten Sportprofis mit 7500 Euro Festgehalt angeregt, um nicht auf eine duale Karriere setzen zu müssen, sondern sich ganz auf den Sport konzentrieren zu können. Diskus-Olympiasieger Robert Harting brachte schon ähnliche Ideen. Was halten sie davon?
Ilgner: Natürlich würde ich mir gerne Gedanken machen, wie kann ich Athleten mehr Geld zahlen, aber man muss bei der ganzen Diskussion auf die Realitäten schauen. Wenn man die deutsche Bevölkerung fragt, dann glauben die meisten, Topsportler kämen auf 8000 Euro monatlich. Doch unsere letzten Studien haben es verifiziert: 626 Euro ist das durchschnittliche Nettoeinkommen eines von der Sporthilfe geförderten Athleten bei einer 60 Stunden Woche. Macht 2,50 Euro pro Stunde. Da lohnt es sich gar nicht, über ein solches Modell zu diskutieren.

Aber wie belohnen Sie Leistung?
Ilgner: Unsere Philosophie ist es nicht, mit Prämien die Zahl der Olympiamedaillen zu maximieren, damit liegen wir nahe bei Förder-Modellen wie in Großbritannien, Norwegen und den USA. Und wir streben auch nicht an, dass ein 23-jähriger, der Gold holt, damit ausgesorgt hat.

Was sind denn Ihre Anreize?
Ilgner: Für London 2012 ist unser Programm Elite plus angelaufen. Unser Partner PWC hat es ermöglicht, knapp 40 Athleten in den letzten eineinhalb Jahren vor den Spielen mit 1500 Euro monatlich zu unterstützen, damit sie sich auf den Sport konzentrieren können. Wenn sie trotzdem noch einem Studium nachgehen, umso besser, aber es darf nicht mehr einen Ausfall an Vorbereitungsmaßnahmen der Nationalmannschaft geben.

Wer studiert, wird besser gefördert. Richtig?
Ilgner: Es geht nicht darum, alle zu Studenten zu machen, sondern darum, jedem eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen und ein zweites Standbein neben dem Sport zu haben. Das ist aus unserer Sicht die zu unserer Gesellschaft passende Philosophie, zu der auch Modelle gehören, in denen man sich eine Zeit lang ausschließlich auf Leistungssport konzentriert. Auch das habe ich selbst erlebt. Im Sommer, wenn wir uns auf WM und Olympia konzentriert haben, dann war monatelang nichts anderes möglich als Wasserball und zwischen den Trainingsphasen mal an einer Arbeit zu schreiben. Auf Dauer hätte das keinen zufrieden gestellt und mir persönlich nichts gebracht, mich nur auf den Sport zu konzentrieren. Insofern haben wir in unserem Fördermodell die Idee umgesetzt, dass Athleten sich für eine gewisse Zeit, um dem internationalen Wettbewerbsdruck begegnen zu können, 100-prozentig auf den Sport konzentrieren. Das muss aber ausgeglichen werden mit Phasen, in denen man sich um seine berufliche Entwicklung kümmert.

Thema Sporthilfe-Finanzierung? Welche Bestandteile gibt es, in welcher Höhe?
Ilgner: Die Sporthilfe hatte zwei klassische Einnahmequellen seit ihrer Gründung, die auch für lange Jahre den größten Teil ausgemacht haben. Das sind die Beiträge aus der Lotterie Glücksspiele und die Sonderbriefmarken für den Sport. Beide haben bis vor wenigen Jahren teilweise bis zu 80 % des Haushaltes ausgemacht. Die Glücksspirale hat unterschiedliche Zeiten erlebt, sie ist derzeit glücklicherweise wieder stabil. Aber bei den Briefmarken ist der Rückgang kein Wunder, wenn man sich die heutigen Kommunikationsmittel anschaut. Da haben wir im Jahr 2006 noch etwa 5 Millionen Euro Erlöse generiert, aktuell nur noch etwa 1 Million pro Jahr. Aus diesen beiden Quellen kommen nur noch etwa 30 % des Haushaltes, den Rest haben wir aufgebaut mit neuen Partnern aus der Wirtschaft und aus der Bevölkerung. Insbesondere sind dies unsere vier nationalen Förderer Lufthansa, Deutsche Bank, Mercedes Benz und Telekom. Wir haben den Premiumpartner Bundesliga und die Bundesliga-Stiftung, die uns signifikant unterstützen. Daneben etliche neue Partner, die spezielle Förderprogramme ermöglichen wie zum Beispiel Elite plus.

Haben Sie die Rückgänge aus Briefmarkenerlösen und Glücksspirale ganz aufgefangen?
Ilgner: Mit den neuen Förderungen auf der einen Seite und der vor drei Jahren gestarteten Kampagne „Dein Name für Deutschland“ ist es uns der Turnaround gelungen. Und zwar so, dass wir seit zwei Jahren die Förderung wieder kontinuierlich ansteigen lassen. Wenn man das Umfeld der dualen Karriere hinzurechnet, haben wir ein Gesamtfördervolumen von knapp 13 Millionen Euro erreicht. Der allergrößte Teil muss im Gegensatz zu früher quasi eigenfinanziert werden durch Partner, Förderer, Mäzene und Sponsoren

Unter dem Strich kommen durch die Kooperation mit Wirtschaftspartnern unter dem Strich etwa 70 Prozent des Sporthilfe-Budgets zusammen …
Ilgner: Das ist richtig.

2017 wird die deutsche Sporthilfe 50 Jahre alt. Planen Sie schon die Feier?
Ilgner: Natürlich sind wir dabei, erste Ideen zu entwickeln. Aber es wäre zu früh, öffentlich darüber zu sprechen. 50 Jahre ist ein großes Datum, und das werden wir entsprechend professionell angehen.

Vervollständigen Sie: Josef Neckermann ist ...
Ilgner: ... ein großer Mann des deutschen Sports, gerade der Athleten Förderung. Die Sporthilfe gäbe es heute in der Form nicht, wenn nicht Josef Neckermann sie über 25 Jahre so erfolgreich geführt hätte.

„Dein Name für Deutschland“ hat einen neuen Impuls gesetzt. Wie viele kleine Sponsoren gibt es mittlerweile?
Ilgner: Es sind inzwischen um die 14.000. Das Schöne daran ist, dass wir diese Kampagne mit Sportverbänden und dem DOSB koordinieren, und neben dem signifikanten Beitrag zur Förderung auch mehr Aufmerksamkeit erreichen für Sportarten, die meist zu wenig abbekommen für ihre großartigen Leistungen. Wir lassen die Athleten wissen: Schaut her, da stehen viele tausend Leute hinter euch - auch wenn im Stadion nur 40 Menschen waren. Diese Aufmerksamkeit in der sportbegeisterten Bevölkerung zu steigern, auch über neue Medien - damit sind wir auf einem guten Weg.

Auch, um die Identifikation der Bevölkerung mit Spitzensportlern zu erhöhen?
Ilgner: Ja, es geht um die Kommunikation zwischen Spitzensportlern und Publikum. Wer kennt denn schon die Situation eines Spitzensportlers? Wer weiß schon, dass mehr als die Hälfte der Athleten auf Sporthilfeförderung angewiesen ist. Wir bekommen Briefe von Athleten, die sagen: Wenn ich diese 100 Euro nicht mehr bekomme, dann fliegt mein Modell mit Studium und Sport auseinander. Da ist jeder einzelne Euro wichtig. Auf lange Sicht hin haben wir für die Förderung in Deutschland natürlich nicht genug - und genau das soll diese Kampagne verdeutlichen.

Was sind die zentralen Projekte der Sporthilfe für die kommenden Jahre?
Ilgner: Es gibt zwei große strategische Themen: Erstens unsere Initiative „Sprungbrett Zukunft“, zweitens die Verankerung der Sporthilfe in der gesamten Gesellschaft, bis hin zur regionalen Ebene, auch mit neuen Fundraising-Möglichkeiten.

Wie soll das „Sprungbrett Zukunft“ aussehen?
Ilgner: Wir möchten die Wirtschaft auf eine ganz andere Weise von Sportförderung in die Pflicht nehmen - mit dem Argument, dass es im Endeeffekt zu ihrem Benefit ist, wenn sie uns hilft. Wir haben Ende April mit dem Bundesinnenminister, dem Arbeitgeberpräsidenten und den CEO’s unserer vier Nationalen Förderereinen Aufruf gestartet an deutsche Unternehmen, uns bei drei wesentlichen Bausteinen unmittelbar zu helfen: nämlich auf der einen Seite Kurzzeitpraktika zur Verfügung zu stellen, weil Athleten nicht in der Lage sind, drei oder sechsmonatige Praktika zu machen, ohne dass Trainings- und Wettkampfzyklen beeinträchtigt werden. Andererseits sollen die Unternehmen gar keine extra Sportstellen schaffen für die Zeit während der Karriere, in der Athleten dann ständig freigestellt werden. Vielmehr wollen wir nach der Karriere eine realistische, faire Chance für den Athleten bei Bewerbungen, der natürlich nicht in acht Semestern fertig studieren kann, weil er eine Doppelbelastung hat. Er bringt aber so viele Qualitäten mit, die auch für den Arbeitgeber langfristig sehr interessant sind. Die Sensibilität wächst, auch die Attraktivität wird vielen Arbeitgebern immer mehr bewusst, nämlich leistungsfähige, leistungswillige, teamorientierte Mitarbeiter zu bekommen, die sich fokussieren können. Ihnen ein Bewerbergespräch zu garantieren auf ausgeschriebene Stellen, das wäre Teil einer fairen Chance. Außerdem sollen Führungskräfte die Athleten eins zu eins in der Betreuung ihrer dualen Karriere als Mentoren unterstützen, und zwar langfristig und unabhängig vom sportlichen Erfolg.

Wie ist die Resonanz?
Ilgner: Wir stehen mit 75 Unternehmen in Abstimmungen, und von mehr als 30 haben wir bereits feste Zusagen, teilweise sind die Prozesse schon in Unternehmen implementiert. Wir brauchen drei bis vier Jahre, bis sich das eingespielt hat.

Skizzieren Sie mal ein Beispiel, wie das laufen kann.
Ilgner: Ich versuche ein Bild zu malen: Ein 17 Jahre alter Athlet, der vielleicht schon große Erfolge im Juniorenbereich hatte ist mit der Schule fertig, sitzt mit seinen Eltern am Küchentisch und überlegt: Soll ich studieren oder soll ich Leistungssport treiben. Diesen Familien und diesen jungen Menschen wollen wir Perspektiven aufzeigen. Sie sollen wissen: Ja, da ist ein Risiko, wenn ich mich für Spitzensport entscheide, das kann mir niemand abnehmen, das will auch keiner. Aber es gibt eine Förder-Institution, die dafür einen Ausgleich schafft. Und Unternehmen, die dir später dabei helfen, auf deine Vita Rücksicht zu nehmen. Nicht um dich zu bevorteilen und nicht aus Mitleid, sondern die Unternehmen geben dir später eine faire Chance, dich beruflich zu etablieren.

Ich vermute, für dieses Projekt brauchen Sie einen langen Atem.
Ilgner: Es muss eine Zeit lang laufen, weil dieser Effekt im Übergang vom Junioren- zum Aktivenalter sich erst richtig einstellen wird, wenn wir Beispiele haben und damit das notwendige Vertrauen in das Modell schaffen.

Noch einmal zurück zu Ihrer Person, zur Fortsetzung ihrer dualen Karriere beim Ironman in Frankfurt am Sonntag. Was haben Sie sich für die Wahnsinnsdistanz von 3,8 km Schwimmen, 180 km Rad und 42,195 km Laufen vorgenommen?
Ilgner: Ich bin so dankbar, dass ich die letzten Wochen mal wieder so trainieren konnte, dass ich richtig fit bin. Die Vorfreude ist riesig, das Training davor würde ich sonst nicht auf mich nehmen. Deshalb ist das am Sonntag eine Kür. Ich weiß, dass man sich als Breitensportler nicht zu viel vornehmen darf, dass man mit den Kräften haushalten muss - und dass man es genießen sollte.

Kommen Sie gut durch, Herr Ilgner!

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