Spiel für Frieden und Freiheit - Löw: Ein klares Symbol

Barsinghausen · Diesmal geht's nicht um Tore, Sieg und Jubel. Nach der Terrornacht von Paris hat der immer noch extrem aufgewühlte Joachim Löw den Jahresabschluss gegen die Niederlande zu einem Spiel für Frieden und Freiheit erklärt - jenseits jeder sportlichen Relevanz.

 Bundestrainer Joachim Löw war zunächst gegen eine Austragung des Freundschaftsspiels am Dienstag gegen die Niederlande. Foto: Peter Steffen

Bundestrainer Joachim Löw war zunächst gegen eine Austragung des Freundschaftsspiels am Dienstag gegen die Niederlande. Foto: Peter Steffen

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Mit emotionalen Worten forderte der Bundestrainer bei einer denkwürdigen Pressekonferenz seine Fußball-Weltmeister, die Gegner aus Holland und besonders auch die Zuschauer in Hannover auf, das letzte Länderspiel des Jahres am Dienstagabend zu einem Manifest der demokratischen Werte zu machen. "Wenn wir das Stattfinden des Spiels so verstehen, dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen", postulierte Löw in Barsinghausen.

"Das Spiel hat eine klare Botschaft und ist ein klares Symbol für Freiheit und Demokratie", betonte der nach den Ereignissen vom Freitagabend persönlich immer noch betroffene Weltmeister-Trainer. Jetzt gehe es bei dem Spiel mit Kanzlerin Angela Merkel und vielen Bundesministern auf der Zuschauertribüne darum, "Verbundenheit, Mitgefühl, Trauer und Solidarität für unsere französischen Freunde nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa und auf der ganzen Welt zu demonstrieren".

Trotz der für viele tausende Menschen traumatischen Erlebnisse sprach sich Löw eindeutig für eine Ausrichtung der EM 2016 in Frankreich mit dem Anschlagsort Stade de France als Herz des Turniers aus. "Es macht keinen Sinn, über ein anderes Land zu diskutieren. Ich bin sicher, dass die EM in Frankreich stattfinden wird", sagte Löw, der am 12. Dezember bei der Gruppenauslosung wieder einen wichtigen Termin in Paris hat. Die konkrete EM-Vorbereitung ist für den DFB-Chefcoach erst beim Doppelspieltag mit den Partien gegen England in Berlin am 26. März 2016 und drei Tage später in München gegen Italien möglich.

Der Fokus lag für Löw aber ohnehin erstmal auf der Partie am Dienstag und der Verarbeitung der aktuellen Ereignisse. "Klar werden unsere Gedanken auch morgen bei den Familien und Freunden der Opfer sein und wir werden in jeder Phase des Spiels mitfühlen und mittrauern."

In der niedersächsischen Landeshauptstadt liefen am Montag die nach der Anschlagsserie von Paris mit weit mehr als 120 Toten erhöhten Sicherheitsvorkehrungen, als die 18 Nationalspieler sich im Teamquartier vor den Toren der Stadt in Barsinhausen versammeln sollten. Auch dort war Sicherheit "die Prio 1", wie es DFB-Interimschef Rainer Koch für das Spiel ausgegeben hatte.

Spürhunde durchsuchten das Areal der Sportschule. "Es sind natürlich erhöhte Sicherheitsmaßnahme geboten. Die werden auch stattfinden. Im Detail müssen das die Sicherheitskräfte festlegen. Es wird die größtmögliche Sicherheit für die Zuschauer und Mannschaften garantiert", versprach Oliver Bierhoff.

Den Teammanager hatten die Ereignisse in Frankreich auch noch nicht losgelassen. "Am Tag danach war es fast noch schlimmer. Es wird einem mehr bewusst, wenn man sich die Bilder anschaut", sagte der Ex-Nationalspieler, der von Löw für seine Rolle als Krisenmanager in den dramatischen Stunden in Paris nochmals ausdrücklich gelobt wurde.

Die lange und schlaflose Nacht mit allen Spielern und DFB-Betreuern im Schockzustand und voller Angst in der Kabine des Stade de France hatte beim 55-Jährigen deutliche Spuren hinterlassen. Erst am Sonntag konnte sich Löw überhaupt vorstellen, dass man gegen die Niederlande antreten könne. "Am Morgen danach hatte ich das Gefühl, dass das Spiel nicht stattfinden kann und soll", sagte Löw. Nach langen Gesprächen und Beratungen sei dann aber am Sonntagmorgen "für alle klar gewesen, dass das Spiel stattfinden soll und muss", betonte Löw.

Platz für die sonst übliche Rivalität mit Fußball-Erzfeind Oranje gibt es für Löw in dem 41. Fußball-Vergleich mit dem Nachbarland nicht. Auch auf die Gefahr, dass der im Wiederaufbau befindliche Gegner die Partie doch sportlich ernst nehmen dürfte. "Wenn die Spieler morgen das Feld betreten, dann sind sie Fußballer, die noch immer eine gute Leistung zeigen und gewinnen wollen", sagte Holland-Trainer Danny Blind.

Das Spiel im noch nicht ausverkauften Stadion solle mit "ganz anderen und für ganz andere Werte" gespielt werden, findet aber Löw. Die Frage zum miserablen Zustand der Elftal nach der verpassten EM-Qualifikation lehnte Löw ab. "Das ist heute nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen, das muss Holland selber machen."

Die sportliche Bedeutung ist für Löw irrelevant - ähnlich der Situation nach dem Suizid von Torwart Robert Enke, als man vor genau sechs Jahren gegen die Elfenbeinküste antrat. Der Mannschaft wollte er vor dem Abschlusstraining erst einmal erklären, "warum wir dieses Spiel machen" und warum man "nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen" könne. "Der sportliche Wert tritt in den Hintergrund. Da muss ich sehen, wie die Spieler das verarbeiten. Aber ich denke, dieses Spiel wird für mich nicht der Maßstab sein", sagte der 55-Jährige mit dem Blick auf mögliche EM-Erkenntnisse.

Kapitän Bastian Schweinsteiger, dessen Stellvertreter Manuel Neuer und Oldie Lukas Podolski bekamen frei und werden trotz aller gesellschaftspolitischer Symbolik auch nicht als Zuschauer in Hannover erwartet. Jérôme Boateng (Knie) und Jonas Hector (Oberschenkel) fehlen angeschlagen. Jungstar Leroy Sané spielt am Dienstag wie verabredet für die U21 gegen Österreich.

Vor dem Anpfiff soll es zu Aktionen der Solidarität kommen. Hier sei man in Gesprächen mit den Kollegen aus den Niederlanden, betonte Bierhoff. Die Idee, die französische Hymne zu spielen, würde auch von SPD-Chef Sigmar Gabriel begrüßt. Wichtig ist Löw und Bierhoff, dass auch die Zuschauer die Tragweite erfassen.

"Es wird sicher keine Stimmung für La-Ola-Wellen sein". Erst nach der Partie könne man den Blick langsam wieder nach vorne richten. "Es wird auch so sein, dass wir diese Gedanken wieder abbauen können und wieder an den Sport denken", sagte Bierhoff.

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