Telekom Baskets Bonn Mike Koch - Das Prinzip Respekt

BONN · Es hätte sein können, dass an diesem Wochenende hier ein anderes Porträt erschienen wäre. Wenn Michael Koch jetzt irgendwo in einem Büro säße. Und Steuerunterlagen prüfen würde. Macht er aber nicht. Denn als aus dem zehnjährigen Fußballer Michael ein Basketballer wurde, stellten sich die Weichen im hessischen Lich in Richtung Sporthalle statt Büro.

Heute heißt Koch "Mike" und ist der Trainer des Bundesligisten Telekom Baskets Bonn. Zwischen der Entscheidung für den Basketball und dem Job auf dem Hardtberg liegen vier Jahre Gießen, vier Jahre Bayreuth, fünf Jahre Leverkusen, sieben Jahre Athen. Mike Koch ist nach Dirk Nowitzki der erfolgreichste deutsche Basketballer.

Es begann mit einem gebrochenen Bein. Kochs Bruder Stefan verletzte sich beim Fußball. Fürchterliches Geräusch, offener Bruch. Der heutige Trainer der Artland Dragons Quakenbrück wurde für lange Zeit eingegipst, die Eltern, Vater Bankkaufmann, Mutter Hausfrau, empfahlen einen Sportartwechsel. Die Brüder schlossen sich dem erfolgreichen Licher Basketball-Nachwuchsprogramm an.

Nach dem Abitur, das Michael trotz der Naturwissenschaften meisterte, machten beide Zivildienst. Mike nutzte Stefans Begründung für die Verweigerung gleich mit. Der ältere Bruder war am ersten Tag seiner Banklehre überfallen worden. "Damals musste man seinen Gewissenskonflikt ja noch erläutern", sagt Mike Koch. "Ich habe dann auch erklärt, dass mein Bruder mit einer Waffe bedroht wurde und habe den Zivildienst in der Verwaltung der Giessener Uniklinik gemacht."

Nach dem Wechsel von Gießen nach Bayreuth begann er eine Lehre zum Steuerfachgehilfen. "Nach der mathematischen Vorgeschichte kann man sich vorstellen, was dabei rauskam - nix", sagt er lachend und fährt sich mit der Hand durch die kurzgeschorenen und gewaltig verwirbelten Haare. Ein paar "Stichproben" an der Uni führten ebenfalls nicht zu einem Berufsweg.Bayreuth spielte im Europapokal, bald war gar keine Zeit mehr für etwas anderes als Basketball. "Ich habe immer danach entschieden, was mir Spaß macht. Für etwas, das mir keinen Spaß macht, würde ich mich nicht jeden Tag acht Stunden ins Büro setzen, Nee. Mach ich nicht", sagt Koch und schüttelt den Kopf.

1996 - Mike Koch spielte inzwischen in Leverkusen - weilte er mit seiner Frau Beate und dem kleinen Sohn Kevin am bevorzugten Urlaubsziel in Miami, als die beiden Athener Clubs Olympiakos und Panathinaikos ihr Interesse an dem Europameister von 1993 bekundeten. In einer an Feindschaft grenzenden Konkurrenz warben sie um ihn. Mit Einladungen, Blumenmeer im Hotel und Geschenken für den kleinen Kevin. Am Flughafen warteten so viele Journalisten, wie in Deutschland höchstens ein Fußballstar anlocken würde. "Ich habe meinen Flug selbst bezahlt, damit keiner beleidigt ist, und die Entscheidung danach getroffen, welcher Verein näher an deutscher Schule und Kindergarten liegt."

Also fiel die Wahl auf Panathinaikos, die Grünen im Norden der Stadt. Die Griechen machten aus ihrer Wertschätzung einen Spitznamen. "Mercedes" nannten sie den 1,90 Meter großen Spielmacher, der verteidigte wie kaum ein anderer und mit einem gefährlichen Distanzwurf ausgestattet war.

Er hat viel mitgebracht aus Griechenland. Da ist das große Bild, das im Flur der Kochs in Ittenbach hängt. Es zeigt den Panathinaikos-Spieler mit Flügeln, wie er eine Weltkugel dribbelt. "Ein Künstler hat die Bilder damals für uns alle gemalt. Ich habe meines gekauft, weil es mir gefällt und weil es etwas über das aussagt, was ich in Griechenland geleistet habe", sagt Koch zufrieden, nicht stolz.

Lucky, Sammy und Feline sind ebenfalls Mitbringsel aus Griechenland. Zwei Hunde, eine Katze. Sie ist der Boss. "Die haben wir aufgegabelt", sagt Koch. Seit ein paar Wochen lebt Lucky nicht mehr. Ein neuer Hund kommt für den Trainer nur aus dem Tierheim infrage. "Ich glaube, dass die Tiere nicht vergessen, was man für sie getan hat."

Was er noch mitgebracht hat, ist ein Stück des Lebensgefühls. Seine braunen Augen strahlen, wenn er von freundlichen Menschen auf dem Markt, die ihm Orangen schenkten, erzählt. "Ohne Neid - und obwohl sie wissen, was Profisportler verdienen und sie selbst nicht viel haben. Alles wird lockerer genommen als hier. Man muss sich daran gewöhnen. Sonst hast du mit der deutschen Mentalität keine Chance. Wartest du auf die Spülmaschine? Avrio! Das heißt morgen. So geht das tagelang. Immer avrio. Und dann kommt eine Waschmaschine. Haben wir schon. Kein Problem - avrio."

Eine Anekdote, an der er sichtlich seinen Spaß hat. "Mit dem Kopf durch die Wand kommst du nirgendwo an - so einfach ist das", lautet die Schlussfolgerung, die 2003 ebenfalls von Griechenland mit nach Deutschland umzog. Sie lässt sich vom Spieler auf den Trainer Mike Koch übertragen.

Er ist kein strenger Trainer. Er ist ein Players-Coach. Es gibt ein paar Spielregeln, und über allem steht als Grundprinzip "Respekt". "Ich behandele meine Spieler so, wie ich es mir selbst gewünscht hätte. Ich will Spieler aufbauen. Wenn jemand am Boden liegt, würde ich nie auch noch auf ihn einprügeln. Wer schlecht gespielt hat, weiß das selbst." Von Brüllerei hält er nicht viel, aber er beherrscht sie. "So, dass die Kabinenwand wackelt. Aber ich glaube nicht, dass das ein Mittel ist, das langfristig hilft. Außerdem nutzt es sich ab, wenn man es öfter als drei oder vier Mal in der Saison anwendet."

Koch verlässt sich auf seine Spieler. Er ist nicht der Typ, der vor dem Spieltag um 23 Uhr alle anruft, um die Bettruhe zu kontrollieren. "Da verschwende ich zu viel Energie auf etwas, das ich nicht beeinflussen kann. Wer will, wartet den Anruf ab, und zieht dann los."

Keine Energie auf etwas verschwenden, das man nicht beeinflussen kann - da klingt die griechische Lebenserfahrung wieder durch. Das Prinzip versteht nicht jeder Spieler. Solche, die sich für besonders clever hielten und den ohnehin weiten Rahmen sehr frei interpretierten, hat es vereinzelt gegeben. Sie waren nicht gut für die Teamchemie. "Basketball-Profis sind erwachsene Menschen", sagt Koch, "und ich habe auch keine Lust, Kindergärtner zu sein."

Der zentrale Mann in Kochs System ist Spielmacher Jared Jordan. Der Amerikaner, den die gesamte Liga gerne in ihrem Trikot sähe, macht kein Hehl daraus, dass Koch der Hauptgrund dafür war, dass er nach einem Jahr in Griechenland nach Bonn zurückkam. "Ich denke, Mike Kochs großartige Karriere ist ein Grund dafür, warum er ein guter Trainer ist. Er versteht uns und weiß, dass wir ein Leben neben dem Basketball haben. Ich persönlich habe ihm viel zu verdanken und kenne keinen Spieler, der sagen würde, dass er ihn nicht mag", lobt Jordan, die rechte Hand des Trainers. "Ich weiß nicht, was nach der Saison passiert. Aber ich würde gerne weiter für ihn spielen. Und wenn nicht - unser Kontakt wird sicher nicht abreißen. Mit oder ohne Basketball."

Der Bürojob ist es nicht geworden, einen Acht-Stunden-Tag hat Koch trotzdem. Training, Trainingsvorbereitung, Gegner-DVDs auswerten, Spielvorbereitung und und und. "Aber einen Tag in der Woche versuche ich, ganz frei zu halten", sagt er. Die Zeit nutzt er dann gern zum Lesen. Historische Romane, Kreuzzüge.

Entspannend findet er auch Rasenmähen. Den großen Garten bearbeitet er selbst. Auch, weil er sich über die Rechnung der Gärtnerei sehr gewundert hat. "Aber ich bin auch eigen", gibt er zu. "Ich verlasse mich nicht gerne auf andere." Die meisten Haushaltsdisziplinen schafft der Trainer ohne Coaching: "Spülmaschine, Waschmaschine, Staubsaugen und Putzen - kein Problem", sagt er. "Aber Bügeln und Kochen kann ich nicht."

Dass er so früh von zu Hause weg war, hat das Verhältnis zur Familie nicht gerade gefördert. "Der Kontakt ist nicht mehr so, wie man sich das vielleicht wünscht, aber ich bin 47 und muss mein Leben leben", sagt er. Seine Beziehung zu Sohn Kevin ist eine Besondere. "Das ist bei Einzelkindern vielleicht so. Aber es liegt sicher auch an unserer gemeinsamen Affinität zum Basketball", sagt Koch. Kevin würde man in einer Basketball-Halle auch dann als den Sohn seines Vaters identifizieren, wenn man ihn zuvor noch nie gesehen hat.

Eine besondere Verbindung hat Koch auch zu Andreas Boettcher, dem Sportmanager der Baskets. "Er ist ein bisschen Vaterfigur für mich. Ich habe meinen Vater früh verloren und da jemanden kennengelernt, mit dem ich über alles reden kann, mit dem ich jedes Problem besprechen kann."

Boettcher definiert es dreigeteilt: "Hochachtung - vor der grandiosen sportlichen Karriere des Spielers. Respekt - für die Übernahme einer Mannschaft, die ja sein Vorgänger 2005 zusammengestellt hatte, er aber zum Erfolg führte. Und Dankbarkeit für eine Form der Zusammenarbeit, die von Offenheit, Vertrauen und Loyalität geprägt ist." Gab es nie ein böses Wort? "Gab es nie, gibt es nicht."

Klingt, als hätte Koch keine Fehler. Hat er aber. An der Seitenlinie kann man den größten, wie er findet, manchmal beobachten. Dann, wenn seine Konzentration dem Spiel gehört und er ausklammert, was 6000 Zuschauer über ihn denken könnten. Dann winkt er ab, wenn es nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Seine Mimik spricht Bände. "Ich bin oft zu schnell zu negativ. Das war ich schon als Spieler", sagt er. "Ich arbeite daran, das zu ändern." Die Zuschauer, sagt er, dürfen ihn nicht interessieren. "Ich muss Entscheidungen treffen und trage die Verantwortung für meine Mannschaft und ihren Erfolg."

Mit Rückschlägen kann er gut umgehen. "Ob die Niederlage im fünften Finalspiel in Oldenburg oder auch private Sachen. Das tut ein paar Minuten weh, aber ich komme darüber weg." Verpasste Olympische Spiele gehören nicht dazu. Die würden anderen vielleicht ewig wehtun. Koch nicht.

Nach der Saison 1992 wollte Bundestrainer Svetislav Pesic ihm keine zweiwöchige Pause zugestehen und gleich mit der Vorbereitung beginnen. "Er hat gesagt: Sofort oder gar nicht. Also habe ich gesagt: gar nicht." Bereut habe er das nie, sagt er. "Man muss seine Grenzen im Leben selbst setzen und mit dem leben, was sie kosten - auch wenn es die Olympia-Teilnahme ist."

Nach der Saison läuft sein Vertrag aus. Noch macht er sich keine Gedanken darüber, wie es weitergeht. "Wir arbeiten jetzt acht Jahre zusammen. Der Verein weiß, was er an mir hat und umgekehrt. Ob wir uns jetzt oder im Juni zusammensetzen, macht keinen Unterschied. Noch gibt es keine Angebote. Insofern bleibt Bonn mein erster Ansprechpartner. Aber wenn übermorgen Panathinaikos anruft", sagt er und lacht laut, "dann wäre das eine Überlegung wert." Avrio.

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