Baskets-Sportmanager Wichterich im Interview "Wir waren vergangene Saison oft viel zu zaghaft"

Interview | Bonn · Im großen GA-Interview spricht Baskets-Sportmanager Michael Wichterich über Chancen und Risiken nach der verkorksten Saison und die Herausforderungen der Corona-Krise.

 Plant realistisch, bleibt optimistisch: Baskets-Sportmanager Michael Wichterich.

Plant realistisch, bleibt optimistisch: Baskets-Sportmanager Michael Wichterich.

Foto: Jörn Wolter / wolterfoto.de

Es ist nicht viel los am Telekom Dome. Sommerpause. Corona. Die Halle korblos, in der Geschäftsstelle hat die Kaffeemaschine kaum zu tun. Doch so langsam nimmt das Leben auf dem Hardtberg wieder Fahrt auf. Michael Wichterich sitzt in seinem Büro und stellt mithilfe moderner Kommunikation zwischen Bonn und Balkan mit dem neuen Cheftrainer Igor Jovovic den Kader  zusammen – für eine Saison, von der noch niemand so genau weiß, wie sie aussehen wird. Mit dem Baskets-Sportmanager sprachen Tanja Schneider und Gerhard Mertens.

Herr Wichterich, beschäftigen Sie sich noch mit der vergangenen Saison?

Michael Wichterich: Nein. Wir schauen nach vorn. Die Lehre, die wir ziehen mussten, war, dass unser Spielkonzept nicht zu den Spielern im Kader gepasst hat. Und wir haben zu spät umgestellt.

Und dann wurde der Druck größer...

Wichterich: Gerade in der Bundesliga, wo wir oft ohne Selbstvertrauen und der nötigen Bestimmtheit agiert haben. Erst mit dem Trainerwechsel in der Rückrunde haben wir Dinge taktisch neu strukturiert und auch die Verantwortung in der Mannschaft anders verteilt. Danach waren wir gefühlt zumindest in der richtigen Richtung unterwegs.

Wenn sich die Baskets entschieden hätten, beim Endrundenturnier um die Meisterschaft in München mitzuspielen, hätte man bei null angefangen. Ohne psychischen Druck...

Wichterich: In der Champions League hat man gesehen, wie die Mannschaft auftreten konnte, wenn der Druck nicht da war. Absurderweise war es international die beste Saison, an die ich mich erinnern kann. Ich glaube tatsächlich, dass wir hinten raus gut für das BBL-Turnier vorbereitet gewesen wären. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten war es aber die richtige Entscheidung, nicht teilzunehmen

Und aus sportlicher Sicht?

Wichterich: Die Trainer, Betreuer und ich wären gerne dabei gewesen. Und im Nachhinein die meisten Spieler auch. Einen Monat lang als Bundesliga gemeinsam in einer Blase zu leben, muss schon ein Erlebnis sein – wenn es denn hoffentlich einmalig bleibt. Die BBL hat bei der Ausrichtung einen hervorragenden Job gemacht und sogar eine Blaupause für andere Ligen inklusive NBA geliefert.

Mussten Sie sich im Verein rechtfertigen, es waren ja auch Ihre Fehler, die zum schwachen Abschneiden führten?

Wichterich: Wir haben uns nicht nur einmal zusammengesetzt und alles lange ausdiskutiert und analysiert. Das hat sich bis in den Sommer fortgesetzt.

Aber inzwischen sind alle vorwärts orientiert?

Wichterich: In welche Richtung sonst? Durch unsere späte Entscheidung in der Trainerfrage haben wir zwar im Sommer nicht so früh agieren können, wie das wünschenswert ist. Aber durch die Verschiebung des Ligastarts auf Anfang November liegen wir noch immer gut im Vorbereitungsrennen.

Andere Clubs sind schon weiter. Liegt das in Bonn an den Plänen A bis F, oder an wie vielen Szenarien der Finanzierung arbeiten Sie?

Wichterich: Man tastet sich heran, was im Zeitalter Corona möglich ist. Das dauert, aber das finde ich von der Clubführung absolut richtig. Was die tatsächliche Kaderzusammenstellung angeht, ist es einfach Teil des Sports, dass sie  zur Sommerunterhaltung beiträgt. So soll es ja auch sein. Für uns entscheidend ist aber, dass diesmal die Saison funktioniert, und nicht, wie schnell wir durch den Sommer kommen. 

Planen Sie in der kommenden Saison mit Zuschauern?

Wichterich: Ich rechne nicht damit, aber der späte Saisonstart erhöht zumindest die Chancen, wieder vor Fans zu spielen. Aber vor der zweiten Welle haben wir alle Angst.

Die Baskets spielen nicht europäisch. Das war in der Vergangenheit immer ein Plus in den Verhandlungen mit Neuzugängen. Derzeit scheinen viele aber kein großes Interesse zu haben, durch Europa zu reisen, oder?

Wichterich: Ich sehe beim besten Willen nicht, wie internationale  Wettbewerbe unter den aktuellen Reisebeschränkungen funktionieren sollen. Von daher haben wir uns auch nicht um einen Startplatz bemüht. Nur national zu spielen, wird diese Saison ein klarer Vorteil sein. Wir halten unsere Mannschaft vor Ort und die Reisen kompakt. An oberster Stelle steht die Gesundheit der Spieler und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Mit welchen Zuschauerszenarien beschäftigen sich die Baskets?

Wichterich: Zunächst ist das übergeordnete Hygienekonzept zu entwickeln. Die Deutsche Eishockey Liga, die Handball-Bundesliga und die BBL leisten hier gemeinsam die Vorarbeit. Dann gilt es, dieses auf die einzelnen Hallen anzupassen. Entscheidender Punkt ist wohl die jeweilige Lüftungsanlage.

Wie sieht es im Telekom Dome aus?

Wichterich: Das ist nicht mein Fachgebiet, aber wir scheinen da sehr ordentlich aufgestellt zu sein.

Von wie vielen Zuschauern gehen Sie bei Etat und Kaderplanung aus?

Wichterich: Das einzig seriös zu kalkulierende Szenario ist: null. Wenn es anders kommt, hervorragend. Diese Saison ist für viele Clubs eine entscheidende. Wer sich übernimmt, spielt mit der Existenz. Man kann zu Recht behaupten, dass mit Risiko in diesem Jahr sportlich einiges erreicht werden kann, aber der Einsatz ist extrem hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass die europäische Basketball-Landschaft in der Saison 21/22 dann anders aussehen wird, halte ich für recht hoch.

Ein gewisses Risiko muss man aber doch eingehen?

Wichterich: Corona entbindet uns nicht von der Pflicht, eine gute Mannschaft aufzustellen und eine gute Saison zu spielen. Natürlich wollen wir wieder deutlich erfolgreicher spielen. Aber das Risiko muss kalkulierbar und der mögliche Verlust zu verkraften sein.

Gibt es denn schon Szenarien mit Zuschauern, die man durchgespielt hat?

Wichterich: Die meisten Clubs haben getestet, wie Abstandsregeln  umzusetzen sind. Im Ergebnis könnten wohl nur zehn bis 15 Prozent der Kapazität genutzt werden. Aus rein wirtschaftlicher Sicht kann man die Halle dann eigentlich zu lassen. Aber wir sind positiv. Erster Schritt ist, ein überzeugendes Hygienekonzept zu präsentieren. Aber wir dürfen uns nichts vormachen. Je nach Infektionslage können Arenen auch dann ganz schnell wieder leer sein.

Wer wird am Ende darüber entscheiden?

Wichterich Die zuständigen Gesundheitsämter auf Grundlage der jeweiligen Hygienekonzepte vor Ort. Es scheint durchaus vorstellbar, dass aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeiten beispielsweise in Berlin 6000 Zuschauer zugelassen werden, in München aber nur 500. Man könnte dann über eine Art Solidaritätsfonds diskutieren, aber am Ende denke ich, dass jeder Club sein bestes Szenario vor Ort selbst erarbeiten muss.

Ihr Präsident Wolfgang Wiedlich sprach von rund zweieinhalb Millionen Euro, die im Etat im Vergleich zur vergangenen Saison fehlen werden. In welchem Maße wird das durch die öffentlichen Hilfen ausgeglichen?

Wichterich: Das Hilfspaket vom Bund ist substanziell. Es wird allen Sportclubs helfen, die Lücken aber nicht schließen. Entsprechend müssen wir Kosten reduzieren. Wie stark, hängt auch davon ab, welches Risiko wir in der nächsten Saison eingehen wollen und für vertretbar halten.

Wolfgang Wiedlich hat hier einmal die Möglichkeit eines Hallendarlehens ins Gespräch gebracht.

Wichterich: Das ist ein Instrument, das zur Verfügung steht, ja. Ein Vorteil der eigenen Halle scheint hier auch ein sehr günstiger Zinssatz zu sein.

Mit Igor Jovovic haben sie wieder einen Trainer vom Balkan. Schlägt sich das in der Kaderzusammenstellung nieder?

Wichterich: Wenn Sie damit auf Nationalitäten anspielen – Igor favorisiert eine Mischung aus Deutsch, Europäisch und natürlich Amerikanisch. Auch meine Erfahrung ist, dass sich sehr häufig unterschiedliche Spielermentalitäten, sportlich wie persönlich, zu einer stärkeren Gruppe entwickeln. Spieler wie Veikalas, Klimavicius, Zubcic oder Subotic haben in  vergangenen Spielzeiten viel zum  Bonner Teamerfolg beigetragen und auch insgesamt unseren Basketballhorizont erweitert.

Wird das Team wieder athletischer?

Wichterich: Athletik ist das eine. Aber Athletik ist nichts ohne Physis. In der vergangenen Saison hatte wir viele individuell gute Spieler, die auch durchaus athletisch waren. Häufig waren wir aber, gerade wenn es darauf ankam, nicht hart genug. Xavier Pollard beispielsweise ist sowohl athletisch als auch physisch. Das sieht man an seinem Körper und an seinem Spiel. Wir möchten eine Mannschaft aufstellen, die Athletik, Physis und Spielverständnis vereint. Eine Mannschaft, die deutlich konsequenter und zielorientierter unterwegs ist, sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung. Wir waren oft viel zu zaghaft in der vergangenen Saison.

Wie sieht denn die Spielidee des Trainers aus?

Wichterich: Startpunkt wird eine Verteidigung mit klaren und im Vergleich zur vergangenen Saison eher einfacheren Strukturen sein. Bei Ballbesitz schnelles Spiel nach vorn, sollten wir nicht abschließen können, ein Systemspiel, das idealerweise alle Spieler einbindet und nicht von Alleinunterhaltern lebt. Uns war wichtig, einen Trainer nach Bonn zu holen, bei dem wir glauben, dass sein Spielstil auch durch neuen Kampfgeist geprägt sein wird. 

Was für ein Typ ist denn der neue Trainer?

Wichterich: Unser Eindruck bislang: Sehr angenehm im Umgang, klar in der Arbeitsweise, diszipliniert in der Vorgehensweise. Igor bringt das Feuer und die Basketballverrücktheit mit. Bonn hat aus seiner Historie ja eine Wertschätzung für jugoslawische Trainer, auch wenn er das klassische Bild nicht ganz bedient und im Umgang eine eher westliche Prägung hat. Aber er wird in der Halle Disziplin fordern, was auch ein klarer Wunsch von uns ist.

Kommen wir zu den Spielern. Gibt es eine Chance, dass Yorman Polas Bartolo zurückkommt?

Wichterich: Nein. Das bedaure ich außerordentlich. Und die Antwort klingt auch viel einfacher, als der Weg dahin. Yorman ist ein überragender Typ, der für uns vier Jahre alles aufs Feld geworfen hat und mit seiner Art und Weise für jeden Vorbild sein sollte, der in Zukunft zu uns kommt.

Ganz frisch ist die Verpflichtung von Leon Kratzer. Warum ist er der Richtige für Bonn?

Wichterich: Leon ist einer der jungen Wilden. Wir waren beeindruckt von seiner vergangenen Saison. Auch wenn er noch sehr jung spielt und hier und da lernen muss – zum Beispiel beim Foulmanagement –, ist er sehr präsent, aktiv und wirkungsvoll. Insbesondere im Rebounding. Und das ist etwas, was wir uns auch für unser Spiel erhoffen.

Wird Josh Hagins Starter im Spielaufbau sein, oder ist das Xavier Pollard?

Wichterich: Wer starten wird, ist noch nebensächlich. Xavier wird vielleicht etwas mehr Zeit als Josh brauchen, um voll auf BBL-Niveau anzukommen. Aber da mache ich mir keine Sorgen. Grundsätzlich wollen wir nicht in festen Rollen denken, sondern abwarten, wie die Vorbereitung läuft. Wir werden einen ausgeglichenen Kader haben. Es muss jeder für seine Minuten arbeiten. Den einen  oder anderen definierten Leistungsträger für die Startformation brauchen wir zwar, aber im Team streben wir einen gesunden Konkurrenzkampf an. Interessanterweise waren ja am Ende oft diejenigen Spieler sportliche Eckpfeiler, die zunächst kritisch beäugt wurden.

Zum Beispiel?

Wichterich: Josh Mayo aus der zweiten italienischen Liga, Julian Gamble aus Belgien, Charles Jackson, aus der zweiten Liga Türkei. Name und bisherige Stationen sind keine Garantie für gute Verpflichtung. Was ich sagen will: Die Spieler, die von unten nach oben kommen, kompensieren einen Mangel an Erfahrung mit Einsatz und dem Willen, etwas erreichen zu wollen. In Bonn funktionieren sie oft besser als die vermeintlichen Stars. Am Ende kommt es auf eine gute Mischung an.

Sie haben im Kader mit Joshiko Saibou einen Problemfall. Er hat mit öffentlich geäußerten Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam gemacht...

Wichterich: Dass uns das nicht gefallen hat und wir seine Meinung nicht teilen, haben wir denke ich auch in der Öffentlichkeit klar zum Ausdruck gebracht. Und ja, wir haben geredet. Seitdem war es auch recht ruhig.

Haben Sie dem Spieler einen Maulkorb verpasst?

Wichterich: Nein. Wie auch? Das wäre ja Wasser auf seine Mühlen in Sachen eingeschränkte  Meinungsfreiheit. Diese Freiheit ist großartig, beinhaltet aber leider, dass man sich oft auch Dinge anhören muss, die man selbst falsch, absurd oder manchmal auch einfach  völlig bescheuert findet. Aber natürlich fordere ich von einem Profi, der sein Geld im Teamsport verdient, die Einsicht, dass alles, was er tut und sagt, nicht nur auf ihn selbst zurückfällt. Justiziabel oder nicht, Auswirkungen hat das immer. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Joshiko, auch wenn er ein kontroverser Typ ist. Für ihn wäre die Konzentration auf die kommende Saison wichtig, sportlich muss er wieder an alte Leistungen anknüpfen.

Das wird er sich vermutlich vorgenommen haben...

Wichterich: So schätze ich ihn ein. Von einem Nationalspieler, der auch mit einem entsprechenden Vertrag ausgestattet ist, muss man sportlich mehr erwarten. Aber ich sage auch: Insbesondere in der schwierigsten Phase hat er Verantwortung übernommen und ist vorangegangen– auch wenn es im Ergebnis nicht wie gewünscht funktioniert hat.

Haben Sie versucht, Martin Breu-nig zu halten?

Wichterich: Nein. Manchmal weiß man, wenn jemand in eine andere Richtung gehen möchte. Ich habe seinen Agenten dennoch gefragt, ob es Sinn macht, uns um ihn zu bemühen. Die Antwort war knapp und erwartet eindeutig: „Nein“.  Sportlich hätte ich Martin gerne weiter bei uns gesehen. In den drei Jahren bei uns hat er sich zu einem der besten deutschen Center der Liga entwickelt. Ich denke, das spricht für die Baskets.