UEFA Nations League Umbruch in deutscher Fußball-Nationalmannschaft

Paris · Nach der 1:2-Niederlage des DFB-Teams in Frankreich fühlen sich einige Verlierer wie Sieger. Bundestrainer Joachim Löw ringt sich endlich zu Veränderungen durch.

 Wenn die Hoffnung einen Namen hat, dann den: Leroy Sane (Mitte) zeigte in Paris, dass er das Zeug zum Weltstar hat.

Wenn die Hoffnung einen Namen hat, dann den: Leroy Sane (Mitte) zeigte in Paris, dass er das Zeug zum Weltstar hat.

Foto: dpa

Die Welt war verkehrt an diesem lauen Herbstabend in Saint-Denis. Da grinste Thomas Müller sein breitestes Thomas-Müller-Grinsen vor den Mikrofonen, obwohl er zuvor nur sehr eingeschränkt seinem Beruf als Fußballer nachgehen durfte und erst in der 88. Minute eingewechselt wurde. Und da trottete Leroy Sane, den Kopf gesenkt, die Gesichtszüge zu einer starren Maske eingefroren und schweigend, an den Fragestellern im Stade de France vorbei. Seine Haltung war jedoch völlig unbegründet. Denn der junge Mann durfte sich durchaus als einer der Gewinner dieses trotz der 1:2-Niederlage gegen Frankreich doch einigermaßen erfreulichen Abends aus Sicht des deutschen Fußballs fühlen.

Als wortgewaltiger Redner war der Jungstar von Manchester City ohnehin zuvor weniger in Erscheinung getreten. Was er jedoch in seinem zweiten Startelfeinsatz im DFB-Team auf dem Platz an sportlicher Ausdrucksfähigkeit einbrachte, gibt Anlass zu der Hoffnung, dass er als fester Bestandteil des Erneuerungsprozesses der Nationalmannschaft eingeplant ist. Der verantwortliche Bauleiter, der das zu entscheiden hat, ist Joachim Löw. Der Bundestrainer hatte sich in Frankreich selbst wieder frisch gemacht vor dem Spiegel nach zwölf Jahren harter Arbeit in seinem Job.

Lange hatte er sich ja geweigert, das angerostete Gerüst der Mannschaft zu ersetzen. In Paris aber gegen den Weltmeister goss er ein neues zukunftsfähiges Fundament, in dem er in der Offensive neben dem gesetzten Timo Werner überraschend Serge Gnabry und wie erwartet Leroy Sane von der Leine ließ. Das schnelle Offensivtrio konnte sich, insbesondere in der ersten Hälfte, sehr ordentlich in Szene setzen. Das galt auch für Thilo Kehrer, der auf der rechten Seite Dynamik ins Spiel brachte. Einzig die Torausbeute gab Anlass zur Kritik, darin waren sich alle Beteiligten einig. Da sich auch die neu formierte Abwehrdreierkette mit Matthias Ginter, Niklas Süle und Mats Hummels seriös und aufrecht gegen die französischen Hochgeschwindigkeitsfußballer wehrte, blieb am Ende der Eindruck, die Welt des deutschen Fußballs ist wieder ein klein wenig in Ordnung geraten nach all den Irrungen und Wirrungen der vergangenen Monate.

Mehr noch: Das unglückliche 1:2, das erst aus einem von Antoine Griezmann verwandelten, allerdings umstrittenen Elfmeter kurz vor Schluss resultierte, gab einen kleinen Blick frei in eine bessere Zukunft. Joachim Löw jedenfalls sprach von einer „großartigen“ Leistung seiner Mannschaft, die besser gewesen sei als der Gegner, er erkannte eine „unglaubliche Leistungssteigerung“ gegenüber dem Desaster in Holland. Man muss sagen: von seiner neuen Mannschaft. Dass der Südbadener jedoch seinem gesteigerten Reformwillen weiterhin ungezügelten Lauf lässt, ist nicht zu erwarten. Seine Abenteuerlust hält sich (noch) in Grenzen. Den längst fälligen Neuaufbau geht er jedenfalls nicht ohne seine liebgewonnenen Gefährten an.

„Ich habe immer gesagt, dass wir die Achse brauchen“, meinte Löw in Saint-Denis. „Wir haben noch drei, vier Spieler vom WM-Erfolg 2014. Sie haben nicht von heute auf morgen einfach das Spielen verlernt. Es ist eine schwierige Phase für sie. Aber ich bin voller Überzeugung, man braucht eine gute Mischung gerade bei einem Turnier, wenn es um etwas geht.“ In jener Mischung, folgt man Löw, sollten vor allem dieser seit geraumer Zeit auf dem Platz irgendwie irrlichternde Müller und der irgendwie müde Abwehr-Held Boateng eine unverzichtbare Zutat sein. Von seiner sagenumwobenen WM-Achse waren in Paris nur noch Torwart Manuel Neuer, Hummels und Toni Kroos übrig geblieben.

Jener Kroos, der sich darüber sehr gefreut haben dürfte, dass vor ihm einige äußerst flinke Menschen die Möglichkeit eröffneten, nach all den ungezählten Quer- und Rückpässen der jüngeren Vergangenheit den Ball auch mal scharf in die gefährlichen Zonen zu bugsieren. Er erinnerte sich in Paris daran, dass Chancen eben auch durch versierte Steilpässe ihren Anfang nehmen können. So kam der Real-Star, bezogen auf den spielerischen Fortschritt, zu dem Ergebnis, dass dies eine „der Niederlagen war, die am meisten Spaß gemacht haben“.

Selbst DFB-Präsident Reinhard Grindel konnte der sechsten Pleite der deutschen Elf in diesem Jahr positive Aspekte abgewinnen. Er hatte ein „Stück Umbruch gesehen“, das „Mut macht für die Zukunft“. Dass Joachim Löw seine Arbeit als später Erneuerer nicht weiter fortsetzen darf, ist demnach sehr unwahrscheinlich – trotz des schrecklichen Jahres und seines stoischen Bewahrens von Bewährtem.

In dieser verkehrten Welt des Fußballs spielt es offenbar auch nur eine unbescheidene Rolle, dass die DFB-Elf die Schützenhilfe aus Frankreich benötigt, um den Ligaverbleib in der europäischen Erstklassigkeit realisieren zu können. Kroos jedenfalls sagte, angesprochen auf den möglichen Abstieg und die allgemeine Befindlichkeit der Nationalmannschaft, er sehe keinen Grund, dass „wir uns jetzt alle erschießen“. Er lächelte dabei.

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