WM-Kolumne von Berti Vogts Die Drecksarbeit will keiner machen

Meinung | Bonn · Nach dem K.o. in der Vorrunde steht für den ehemaligen Bundestrainer Berti Vogts fest: Im deutschen Team wollen zu viele Spieler nur für sich glänzen.

Der frühere Bundestrainer Berti Vogts schreibt exklusiv im General-Anzeiger, was er über die Auftritte des deutschen Teams bei der WM in Katar denkt.

Der frühere Bundestrainer Berti Vogts schreibt exklusiv im General-Anzeiger, was er über die Auftritte des deutschen Teams bei der WM in Katar denkt.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Ich bin sehr enttäuscht über das frühe Aus der deutschen Nationalmannschaft. Zum zweiten Mal in Folge bei einer WM in der Vorrunde zu scheitern, ist einer großen Fußballnation wie Deutschland nicht würdig. Andererseits ist es die Folge einer Entwicklung, die seit fünf bis sechs Jahren im deutschen Fußball zu sehen ist – und da dürfen wir nicht nur auf die Nationalelf schauen. Die grundlegenden Fehler werden in der Bundesliga gemacht und in den Akademien der Clubs. Das wiederum hat auch der DFB zu verantworten.

Nun aber Oliver Bierhoff als Manager die ganze Schuld an dem Debakel zu geben, ist nicht in Ordnung. Natürlich ist er federführend für vieles verantwortlich, aber man muss auch sehen, wer in seinem Umfeld was macht. Wo sind die kritischen Geister, die auf Probleme hinweisen? Wo sind die, die kritische Meinungen hören wollen? Ich selbst war im Beirat des DFB, bin aber ausgetreten, weil es nicht gewünscht war, zu kritisch zu sein.

Es müssen viele Dinge hinterfragt werden. Aber es darf nicht die Frage nach der Zukunft von Bundestrainer Hansi Flick gestellt werden. Ihm mache ich keinen Vorwurf, er muss mit dem Spielermaterial arbeiten, das da ist, und ich sehe kaum bessere Alternativen. Sein einziger Fehler war vielleicht, Joshua Kimmich nach rechts zu ziehen, obwohl er eigentlich ins Zentrum gehört. Mit Blick auf die EM in zwei Jahren in unserem Land ist es wichtig, weiter mit Flick zu arbeiten. Das wird ein sehr wichtiges Turnier, da wird es darum gehen, vieles wieder gutzumachen zehn Jahre nach unserem letzten Titel.

Berti Vogts: Es gibt zu wenige Spieler, die für die anderen mitarbeiten

Flick muss den Weg, den er eingeschlagen hat, weitergehen und nun schauen, auf welche Spieler er sich verlassen kann – und wer wirklich bereit ist, alles für den Erfolg des Teams zu geben. Genau da setze ich mit meiner Kritik an: Es gibt zu wenige Spieler, die bereit sind, für die anderen mitzuarbeiten. Jeder will für sich glänzen. Ja, wir spielen sehr schön nach vorn. Aber was ist, wenn der Gegner den Ball hat? Da ziehen sich alle zurück. So geht das nicht. Ich muss alles dafür tun, den Ball zu erobern und mein Tor zu verteidigen. Aber dazu ist auch mal Drecksarbeit nötig. Und die Drecksarbeit will keiner machen. Das jedoch ist nicht nur ein Problem des Fußballs, sondern unserer Gesellschaft generell. Der Fußball ist da ein Spiegelbild.

Wichtig ist, dass die Trainer in den Vereinen sportlich mehr entscheiden müssen und nicht die Manager, die nicht verpflichtet sind, eine Fußballlehrer-Lizenz zu haben. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, dass auch für die Manager diese Ausbildung verpflichtend ist. In England etwa ist der Manager der Cheftrainer, er trägt alleine die Verantwortung bei Entscheidungen. Die Trainer wissen, was eine Mannschaft braucht. Wichtig ist auch, das Talent im Talent zu fördern, um so wieder Spezialisten auszubilden. Die WM hat uns gezeigt, welche Typen uns fehlen: Spieler, die unbedingt den Ball haben wollen; Spieler, die stark im Eins-gegen-Eins oder in der Luft sind; Spieler, die sich nicht zu schade sind, die Drecksarbeit für andere zu machen.

Berti Vogts fordert Umdenken beim DFB und bei den Akademien

Solche Sachen müssen dringend auch in der Trainerausbildung hinterlegt werden, um den Blick für besondere Talente zu haben. Was das angeht, ist ein Umdenken beim DFB und bei den Akademien dringend nötig. Es ist auch dringend nötig, in den Dialog zu treten. Da ist Liga-Chef Aki Watzke gefordert. Die Nationalmannschaft ist eine Quintessenz der Bundesliga, und die haben wir uns vielleicht oft zu gutgeredet. Wo sind in der Liga die deutschen Top-Verteidiger? Oder die Klasse-Mittelstürmer? Da holen die Clubs Spieler aus dem Ausland, weil es keine Alternative im Lande gibt. Wie soll es dann Top-Leute im Nationalteam geben?

Der DFB sollte die Bundesliga-Trainer zusammenrufen, und dann sollte Tacheles geredet werden, um einen Plan zu entwickeln, den deutschen Fußball wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Man darf jetzt nicht wahllos Köpfe fordern, aber es sollte Alarmstufe Rot herrschen beim DFB und in der Bundesliga.

Berti Vogts (75) ist als Spieler mit Deutschland Welt- und Europameister geworden. 1996 führte er das DFB-Team als Bundestrainer zum letzten EM-Triumph. Während der WM in Katar wird Vogts im General-Anzeiger immer wieder über besondere Themen des Turniers und die deutsche Nationalmannschaft schreiben.

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