Karnevalistische Tänze Vom „Schwertdentzer“ bis zum Mariechen

Er war nicht nur Abenteurer, Schriftsteller und Frauenheld – Giacomo Casanova war auch einer der eifrigsten Tänzer im Karneval, der seinen eigenen Aufzeichnungen zufolge ganze Nächte durchtanzte.

 Das Schönste in der Truppe drin, das ist die Marketenderin – Maler Emil Krupa-Krupinski verewigte Bonner Stadtsoldaten auf dem Notgeld. FOTO: FESTAUSSCHUSS BONNER KARNEVAL

Das Schönste in der Truppe drin, das ist die Marketenderin – Maler Emil Krupa-Krupinski verewigte Bonner Stadtsoldaten auf dem Notgeld. FOTO: FESTAUSSCHUSS BONNER KARNEVAL

Foto: Festausschuss Bonner Karneval

Beim Maskenfest des Kurfürsten Clemens August 1760 im verschwenderisch dekorierten Bonner Hoftheater nahm der venezianische Charmeur eine der Damen ins Visier. Als Bauer verkleidet, sollten die Herren beim Tanz stets eine andere Bäuerin küssen. Allerdings: Casanova landete immer bei „Madame X“, der Gattin des Bürgermeisters von Köln, Franz Jacob de Groote. „Mimi“ war schließlich „zum Anbeißen“ und lud den Schwerenöter tags darauf während der Rückfahrt nach Köln zum Gabelfrühstück ins Schloss Brühl ein.

Tanz in der Kneipe und im Festsaal

Ob Casanova ein begeisterter Tänzer um des Tanzes willen war oder vor allem wegen der Möglichkeit, dem schwachen Geschlecht nahe zu kommen? Jedenfalls nennt Marcus Leifeld, promovierter Historiker und Archivar des Festausschusses Bonner Karneval, den Tanz „ein frühes und nicht unwesentliches Element“ des Karnevals, dessen Ursprünge im Rheinland bereits ins 13. Jahrhundert zurückreichen und sich aus einem gemeinsamen Mahl vor der Fastenzeit entwickelten. Leifeld: : „Schon im Mittelalter und bald nach 1500 gab es erste Ausprägungen des Tanzes.“ Während die Gesellen auf den Straßen ihre Schwerttänze aufführten, vergnügten sich der Adel und reichere Bürger mit Gesellschaftstänzen in den Stadtpalais.

Diese Schwerttänze der Gesellen aus den Gaffeln, die durch die Straßen zogen, verlangten eine gehörige Portion Geschicklichkeit. Und es ging sicher nicht zu wie im Mädchenpensionat. Denn: 1596 sollte der Karneval per Polizeiverordnung auf den Rosenmontag beschränkt werden, um nämlich „das Nachtsauffen, die Nachtgelage, Mummereyen und die Schwertdentzer“ zu unterbinden, und zwar vor allem am Aschermittwoch und an den folgenden Fastentagen.

Im 18. Jahrhundert stachen vor allem die repräsentativen Karnevalsbälle an den Fürsten- und Adelshöfen heraus – siehe Casanova. Der Kölner Kurfürst Clemens August war bekannt für seine rauschenden Feste. Gemälde von Francois Rousseau geben Zeugnis davon, dass Gesellschaftstänze dabei en vogue waren. Das Gemälde „Bönnsches Ballstück“ stellt sogar die erste bildliche Darstellung einer Karnevalsfeier im Rheinland dar. Kurfürst Clemens August ist darauf zu erkennen. Solche Feste gab der prunkliebende Rokokofürst in seiner Bonner Residenz im Winter ein- bis zweimal pro Woche und in der Karnevalszeit täglich. Auch wohlhabende bürgerliche Kreise konnten dem etwas abgewinnen. Das einfache Volk indes feierte in der Familie das Brauchtum.

Die Französische Revolution wirkte sich auch auf den Karneval aus. Als die Franzosen im Rheinland von 1794 bis 1814 das Sagen hatten, vergaben sie für die Vorfastenzeit „Veranstaltungsmonopole“ an Festveranstalter, die Tanzbälle ausrichteten. Der Erlös wurde für die Armen verwendet. Nach 1820 waren es dann die festordnenden Komitees, die sich um die exklusiven Feste mit Ball- und Tanzordnung kümmerten. Einfache Leute tanzten in den eigenen vier Wänden oder in Wirtshäusern. An erster Stelle: das gemeinsame Feiern, Singen und Tanzen.

Mit der Eisenbahn zum Karneval

Die Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts veränderte auch den Karneval – die Eisenbahn, überhaupt die stärkere Mobilität führte dazu, dass Leute plötzlich karnevalistische Festveranstaltungen besuchten, die nie zuvor damit in Berührung gekommen waren. Und: Karneval spielte sich immer stärker auf der Bühne ab. Mit Vorführungen wie die der Bonner Stadtsoldaten von 1872 mit ihrem Funkentanz, die bis heute eine staatse Truppe bilden und jeder großen Sitzung schmeicheln.

Die Kommerzialisierung nahm ihren Lauf: Saalbesitzer führten nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur Revuen durch, sondern organisierten während der Session Karnevalsveranstaltungen, wofür sie Künstler engagierten – und auch neue Tanzformationen wurden erfunden, die bis heute erhalten sind.

Der Tanz war dabei früher stets männlich besetzt. Das aus der Marketenderin hervorgegangene Funkenmariechen bei den Roten Funken Kölns führte bereits im 19. Jahrhundert seinen Mariechentanz vor und wurde dabei von einem Mann gespielt. 1936 in Köln und bereits 1935 in Bonn verfügte die NSDAP allerdings, dass sämtliche Tanzmariechen, Regimentstöchter und Marktenderinnen im Rheinland weiblich zu sein haben. Die hübschen jungen Damen machten ihre Sache gut und eroberten die Herzen der Zuschauer.

Ohne die Tanzcorps, der Stolz jeder Karnevalsgesellschaft, wäre eine Sitzung nur halb so schön. Atemberaubend die Schautanzgruppen in schillernden Kostümen, die mit ihren akrobatischen Elementen und mancher Flugschau der Mädels das Publikum in Schnappatmung versetzen. ⋌oro

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