Interview mit Wettermoderator Sven Plöger „Es ist kein Zufall, wenn sich Extremereignisse so stark häufen“

Interview | Bonn · Im Interview mit dem General-Anzeiger spricht der ARD-Wettermoderator Sven Plöger über die Entwicklung der extremen Wetterlage und des Hochwassers, das blockierende Hoch über Russland und den Klimawandel.

 Der Wettermoderator Sven Plöger.

Der Wettermoderator Sven Plöger.

Foto: Sebastian Knoth Fotografie

Schon seit Tagen haben Meteorologen vor anhaltenden und schweren Regenfällen mit Gewittern und auch vor Starkregenereignissen gewarnt. Einer davon war der aus Sankt Augustin stammende und für die ARD arbeitende Meteorologe Sven Plöger. Mit ihm sprach am Donnerstag Bernd Eyermann.

Wie ist es zu dem Unwetter gekommen?

Sven Plöger: Wir hatten ein Tiefdrucksystem, das sich beständig über Deutschland gedreht und den Regen über dem Land ausgeschüttet hat. Ursache dafür ist, dass östlich von uns, über dem westlichen Russland bis nach Finnland hin, seit April/Mai fast durchgehend ein blockierendes Hoch liegt. Dort herrscht jetzt das Wetter mit der Dürre und der Hitze, das wir 2018 hatten. Unser Tief hat keinen Ausweg gefunden und ist über uns stehen geblieben, was zu den unglaublichen Regenmengen geführt hat. Das ist wie bei einem kaputten Rasensprenger, der das ganze Wasser an eine Stelle schleudert. 

Warum hat es denn gerade hier im Rheinland und in der Eifel so viel geregnet?

Plöger: Dass es in den Alpen und im Erzgebirge zuweilen extreme Niederschläge gibt, ist bekannt, weil es dort immer mal wieder eine bestimmte Wetterlage, die sogenannte Vb-Lage, gibt. Diesmal hat es aber an vielen Stellen stark geregnet, an denen es sonst nicht so extreme Regenfälle gibt, am Dienstag zum Beispiel auch in Oberfranken. Was die Eifel angeht, ist Folgendes passiert: Die von Norden und Nord-
osten kommende Front lag – durch das Tief bedingt – genau über dem Rheinland. Die Eifel hat nun den sowieso schon starken Regen gestaut. Die Wolken wurden hochgedrückt und wie bei einem Schwamm nochmal zusätzlich stärker ausgequetscht. Man sieht das an den unglaublichen Regenmengen: Im Flachland hatten wir 60 bis 110 Liter auf den Quadratmeter und die Eifel hat das bis etwa 150 Liter verstärkt. In Nettersheim sind zum Beispiel 151 Liter gemessen worden. In 24 Stunden wohlgemerkt. Das ist das Zwei- bis Dreifache einer Juli-Regensumme.

Sie haben am Dienstag in der ARD mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck vor diesem extremen Wetter gewarnt. Was wussten Sie da schon?

Plöger: Mir war eigentlich ab letztem Wochenende klar, dass eine Extremlage auf uns zukommt, vor der man warnen muss. Meine Abschätzungen liefen auf 80 bis 150 Liter hinaus. So ist es ja auch gekommen. Das sind unglaubliche Regenmengen für den Juli. Bei der Vorhersage habe ich mir Menschen vorgestellt, die ihre Zelte auf Campingplätzen in der Nähe von Flüssen aufgestellt haben, weil es dort ja so romantisch ist, und die sich nicht vorstellen können, dass die Flusspegel in kurzer Zeit so stark ansteigen und dass die immensen Wassermassen alles mitreißen. Ich hoffe, meine Warnungen haben dazu beigetragen, dass Menschen vernünftig waren und auch dadurch manches verhindert wurde. 

Sie machen ja auch gern mal einen Scherz. Der ist in solchen Situationen nicht angebracht.

Plöger: Richtig. Ich finde es wichtig, dass beim Wetterbericht jeder merkt, was mich besorgt und wovor ich warnen möchte. Ich sitze ja vor den Wettermodellen und sage mir: Ach, Du meine Güte, was ist das denn? Was kommt da auf uns zu? Ich finde es auch wichtig, dass die Leute bei uns Meteorologen spüren: Da ist jetzt aber wirklich etwas im Argen.

Kann man dieses Wetterereignis historisch einordnen?

Plöger: Dafür braucht es noch einige Zeit, um die vielen Daten auszuwerten. Aber gefühlt ist es jetzt schon ein herausragendes Ereignis, das von der Heftigkeit und den Folgen für die Menschen eine ähnliche Dimension hat wie das Hochwasser an der Oder 1997 oder an Elbe und Donau 2002 oder 2013. In Nordrhein-Westfalen würde ich hier die Schneekatastrophe im Münsterland 2005 nennen und auch die Rhein-Hochwasser von 1993 und 1995. 

Sie haben über das stehende Tief bei uns gesprochen und das blockierende Hoch im Osten. Wie ist das in puncto Klimawandel zu beurteilen?

Plöger: Wir sind mitten drin. Das arktische Eis zieht sich weiter zurück, die Polarregion erwärmt sich übermäßig. Unser Jetstream, der die Folge der Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Pol ist, schwächt sich ab. Die Hochs und Tiefs werden langsamer. Deshalb dieses Standwetter. Ein lange stehendes Hoch führt zu Dürre und Hitze wie 2018, ein lange stehendes Tief kann zu Starkregenfällen wie jetzt führen. Die Drucksysteme kommen einfach nicht voran, weil der Impuls von oben, vom Jetstream, fehlt. 

Hochwasser in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis - Bilder
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Bilder vom Hochwasser in Bonn und der Region

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Foto: Benjamin Westhoff

Mit Folgen nicht nur bei uns.

Plöger: Ja, klar. Die Zuordnungsforschung hat jetzt gezeigt, dass die 50 Grad in der kanadischen Provinz British Columbia mit dem Klimawandel 150 Mal wahrscheinlicher waren als ohne. Eine Temperatur von 50 Grad auf dem 50. Breitengrad ist normalerweise nicht möglich. Das hätte es ohne den Klimawandel nicht gegeben. 34,3 Grad auf dem 70. Breitengrad in Nordnorwegen, wie in der vorigen Woche, hätte es auch ohne Klimawandel nicht gegeben. Wir haben ständig die Auswüchse extremen Wetters. Das ist die Folge des Klimawandels. Dass es so kommen würde, hat uns die Forschung vor 30, 40 Jahren schon sehr genau gesagt. Wolfgang Wiedlich hat im General-Anzeiger damals ja auch schon darüber geschrieben. Diese Prognosen treffen heute ein. Das muss man klar sagen. 

Können sich die Extremwetter noch verstärken, wenn die Temperatur-
unterschiede zwischen Arktis und Äquator weiter abnehmen?

Plöger: Ja, das ist genau der Punkt. Und deshalb ist es so wichtig, dass man begreift, dass Klimaschutz notwendig ist. Die Zuordnungsforschung kann einordnen, dass das nicht einfach nur zufällige Ausreißer sind, wie es gern von Klimaforschungsleugnern kolportiert wird. Es ist kein Zufall, wenn sich die Extremereignisse so stark häufen, wenn all das wissenschaftlich vor Jahren schon belegt werden konnte. Wir haben diese Veränderungen, die nicht nur Gefahren bringen werden, sondern auch hohe Kosten. Es gibt Studien, nach denen für jeden nicht in den Klimaschutz gesteckten Euro zwei bis elf Euro zurückgezahlt werden müssen. Welche Zahl richtig ist, weiß ich nicht, aber es gibt keine Studie, die sagt: Kein Klimaschutz ist vernünftig. Weiter so ist richtig. Im Gegenteil: Es wird immer teurer, wenn man all das ignoriert. 

Geht Ihnen der Klimaschutz zu langsam voran?

Plöger: In meinem letzten Buch habe ich geschrieben: Die Atmosphäre versucht uns derzeit, zu wecken. Wenn wir das alles ignorieren wollen und weiter schlafen wollen, dann wird sich die Atmosphäre immer Neues ausdenken. Diesem Planeten ist es völlig egal, was mit uns ist. Er braucht uns nicht, wir brauchen ihn. Das ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Wir werden mit der Zunahme solcher Ereignisse zu tun haben. Und die werden immer stärker. Wenn wir uns nicht endlich zusammenreißen und die Dinge mit einer richtigen Entschlossenheit zu korrigieren versuchen, dann werden wir das bezahlen müssen. Wir sind dann Opfer der eigenen Taten. Es ist höchste Eisenbahn, wir haben 30 Jahre komplett verschlafen. Weiteres Verschlafen können wir uns nicht mehr leisten.

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