Bonner Frauen zum Frauentag „Das Ziel des ersten Weltfrauentages von 1911 ist noch nicht erreicht“
Austauschen, Feiern, Informieren: Das möchte die Stadt Bonn am Internationalen Frauentag in diesem Jahr. Der Tag, den Menschen weltweit immer am 8. März begehen, dient dazu, für die Rechte von Frauen sowie gegen Diskriminierung und Gewalt an Frauen zu demonstrieren.
Ein Blick in die vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass viele interessante Entwicklungen noch gar nicht so lange her sind: Seit 1962 dürfen Frauen ein eigenes Bankkonto in Deutschland haben, seit 1958 dürfen Frauen ohne die Erlaubnis ihres Mannes einen Führerschein machten, seit 1969 ist eine verheiratete Frau geschäftsfähig, seit 1977 muss eine Frau ihren Mann nicht mehr um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten gehen will – und im August 2021 trat das zweite Führungspositionen-Gesetz in Kraft, das den Frauenanteil in Führungspositionen deutlich erhöhen soll.
Anlässlich des Frauentages hat die Gleichstellungsstelle der Bundesstadt Bonn ein umfangreiches Programm zusammengestellt. Ob nun die bereits ausgebuchte Stadtführung „Frauen in Bonn“, der Workshop „Investieren ist weiblich“ oder die Ausstellung „Frauenbewegungen: 1865, 1971, 2017“ – die Angebote sind vielfältig und haben vor allem ein Ziel: darauf aufmerksam machen, was in der Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit schon erreicht wurde – und was noch nicht. Ob und wieso der Frauentag nach wie vor wichtig und relevant ist, haben Bonner Frauen aus verschiedenen Bereichen, etwa Politik und Kultur, beantwortet.
Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn: „Ohne die Potenziale und die Talente von Frauen und ohne Gleichberechtigung kann es keinen gesellschaftlichen Fortschritt geben. Die Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern unterscheiden sich oft immer noch zu sehr. So sind es weiterhin vor allem die Frauen, für die die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine große Herausforderung ist. Gleichstellung ist für mich erst dann erreicht, wenn es in allen Lebensbereichen irrelevant ist, welches Geschlecht man hat.“
Margie Kinsky, Schauspielerin und Kabarettistin aus Bonn: „Bertha von Suttner war meine Großtante, da wehte schon als kleines Mädchen für mich ein emanzipatorischer Wind: „Margie, Frauen können was. Man muss sie nur lassen!“ Glücklicherweise haben die Frauen jetzt ein ganz anderes Selbstbewusstsein und viel erreicht. Während meiner Laufbahn in den letzten 40 Jahren hat sich viel geändert. Was bei mir noch mit „Wow, starke Frau!“ kommentiert und als Ausnahme gesehen wurde: „Theater gründen, Studium beenden, auf der Bühne stehen, Kinder erziehen“. Das stemmen heute viele Frauen in ähnlicher Weise und in allen Berufen. Also Männer: Ehrt Eure Frauen/Schwestern/Mamas/Kolleginnen. Zeigt ihnen, dass sie Euch wichtig sind, jeden Tag und nicht nur am 8. März!“
Madita Mues, AStA-Vorsitzende: „Der internationale feministische Kampftag ist immer noch sehr bedeutend. Patriarchale Gewalt gegen FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen, Anm. d. Red.) ist heutzutage immer noch bittere Realität, und feministische Kämpfe sind heutzutage immer noch absolut unverzichtbar. Der 8. März darf aber nicht zu einem reinen Symbol ohne Forderungen nach strukturellen Veränderungen degradiert werden. Natürlich ist feministische Kritik und Praxis das gesamte Jahr über notwendig, aber Aktionstage bieten die Chance, an einem Tag sehr öffentlichkeitswirksam auf Probleme, Erfahrungen und Forderungen aufmerksam zu machen.“
Marianne Pitzen, Leiterin Frauenmuseum Bonn: „Viele hierzulande meinen, Frauen hätten nun alles erreicht, und nun sei es aber genug. Doch der Weltfrauentag ist international und damit Aufruf, an die Lage der Frauen in allen Ländern der Erde zu denken. Wir sehen die zunehmende Frauenfeindlichkeit und ihre Folgen. Länder, die Frauenrechte missachten, verarmen geistig und wirtschaftlich. Was haben die Schulmädchen in Iran und Nigeria verbrochen, außer dass sie weiblich sind? Im Bonn der 1970er/80er-Jahre kämpften Politikerinnen oft interfraktionell für Frauenrechte und haben echte Verbesserungen erreicht. Das darf heute gefeiert werden! Und dann holt uns die bundesdeutsche Wirklichkeit ein: Eine mir bekannte junge Frau bekam ein Kind – und die Kündigung.“
Özlem Doger-Herter, Gründerin von Ask-a-Woman.com im Digital Hub, Ambassador der Stanford University und Head of Communication der Scopevisio AG am Bonner Bogen: „Es ist wichtig, mit dem Weltfrauentag auf die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen. Dies ist notwendig, um konstruktive Maßnahmen für mehr Gerechtigkeit zu entwickeln. In vielen Teilen der Welt erleben Frauen immer noch Diskriminierung, Unterdrückung und Benachteiligung und verdienen oft weniger als Männer für die gleiche Arbeit, haben weniger Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und werden häufiger Opfer von Gewalt und Missbrauch. In Deutschland verdienten Frauen im Jahr 2022 (laut Destatis) durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer (Stichwort Gender Pay Gap).“
Anja Wenmakers, Geschäftsführerin bei SWB Bus und Bahn: „Ich bin keine Verfechterin einer ‚Frauenquote‘. Dass ich heute da bin, wo ich bin, verdanke ich der Tatsache, dass ich neben fachlicher Kompetenz viel Führungsfreude mitbringe. Der Gedanke, dass meine Positionen weniger geschätzt werden könnten, weil sie von mir als Frau stammen, ist mir nie gekommen. Ich führe gern gemischte Teams, da kommt das Beste aus beiden Welten zusammen. Der Weltfrauentag ist weiterhin wichtig, um ein stärkeres Bewusstsein dafür zu schaffen, keinen Job als explizit männlich anzusehen. Ich würde mich zum Beispiel freuen, wenn sich noch mehr Frauen für meinen Verkehrsbereich begeisterten.“
Corinna Heumann, international aktive Künstlerin aus Bad Godesberg: „Georg Baselitz sagte einst: ‚Frauen malen nicht sehr gut. Das ist ein Fakt.‘ Wir brauchen den Weltfrauentag, weil öffentliche Äußerungen einflussreicher Persönlichkeiten, die Fähigkeiten von Frauen infrage stellen, bis heute – zuweilen mit großem Beifall – aufgenommen und reproduziert werden. Frauenrechte und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Mädchen sind keine Privatsache! Bisherige Erfolge der Frauenbewegung und auch gesellschaftspolitische Versäumnisse müssen ins Zentrum der weltweiten medialen Aufmerksamkeit gerückt werden. Seit Generationen wissen wir, dass Chancengleichheit und Gleichstellung von Mädchen und Frauen im Bildungs- und Ausbildungsbereich alle Teile einer Gesellschaft gesünder und glücklicher, innovativer und resilienter machen.“
Birgit Bohle, Personalvorständin Deutsche Telekom AG: „Das Ziel des ersten Weltfrauentages von 1911 – Gleichberechtigung – ist noch nicht erreicht. Bei allen Fortschritten sind viele strukturelle Unterschiede längst nicht überwunden. Beispiele sind die Benachteiligung von Frauen bei Bezahlung und der Mangel an Frauen in Führungspositionen. Auch bei der Berufswahl gibt es noch immer viele Stereotypen. Zum Beispiel die geringe Zahl von Männern in Kitas und Grundschulen oder viel zu wenig Frauen mit Abschlüssen in Mint-Berufen. Deshalb müssen wir weiter an Diversität, Gleichstellung und Inklusion in unserer Gesellschaft arbeiten – jeden Tag, nicht nur am Weltfrauentag.“
Daniela Kreuzberg, kaufmännische Direktorin GFO Kliniken Bonn: „Ich halte den Weltfrauentag aufgrund der internationalen Bedeutung für sehr wichtig. Er erinnert uns daran, dass wir weiterhin für die Rechte und die Chancengleichheit von Frauen aufmerksam machen müssen. Insbesondere in Ländern wie dem Iran, in denen Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen sowohl in den Gesetzen als auch in der gesellschaftlichen Einstellung bestehen. Sie werden daran gehindert, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Diese Frauen brauchen Schutz, Anerkennung und Stimmen, die sie unterstützen. Es erdet einen immer wieder, dass die Normalität, die wir hier in Deutschland und auch ich persönlich erfahren darf, absolut nicht selbstverständlich ist.“
Beate Gilles, Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz: „Am vergangenen Samstag ist Schwester Katharina Drouvé als 41. Nachfolgerin der heiligen Hildegard zur Äbtissin geweiht worden. Mit Ring und Stab trägt sie die gleichen Insignien wie ein Bischof. Es gibt sie also, die Hirtinnen, die Führungsfrauen in der katholischen Kirche! Aber in der Frage, wie Geschlechtergerechtigkeit sich hier und heute in den Strukturen der Pfarrgemeinden und Bistümer entfaltet, ist immer noch viel Handlungsspielraum. Von daher braucht auch die katholische Kirche den Weltfrauentag. Und so freue ich mich, dass auf dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland der Synodalversammlung in dieser Woche ein Beschluss vorliegt, der darauf hinwirkt, dass Frauen die Verkündigung des Evangeliums ermöglicht wird.“