Augsburger Puppenkiste

Seeelefant von Tanja Brandes

Deutsches Kulturgut kann Kindern auf sehr unterschiedlichen Wegen vermittelt werden. Nicht immer sind es die, mit denen die Eltern gerechnet haben.

Dass ich im Alter von vier Jahren durch's Haus lief und aus vollem Hals "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" schmetterte, lag nicht daran, dass mir meine Eltern zuweilen aus dem "Deutschen Ballladenborn" vorlasen. Meine Aussprache hätte ihnen ein Hinweis sein können: "Öch wöiß nöcht, was soll es bedöiten, dass öch so traurög bön." Eben so wie Seeelefant. Das Wassertier mit dem Schnäuzer und dem melancholischen Blick ist eigentlich mehr eine Nebenfigur bei "Urmel aus dem Eis", wird eher selten in die aktive Handlung eingebunden und birgt noch dazu dramaturgische Widersprüche. (Wie zum Beispiel kommt es, dass er seinen roten Schal nie ablegt, bevor er ins Wasser springt?). Und natürlich ist er ein höchst widersprüchlicher Charakter in sich: Ist Seeelefant - was selten vorkommt - einmal "löstig aufgelögt", vermutet er eine Erkältung - Verzeihung: eine Erkältöng.

Jim Knopf, Urmel, Schlupp vom grünen Stern - ich mag sie alle, aber keiner der liebenswerten Holzköpfe hat mich jemals so berührt wie Seeelefant, der auf seiner Pappmaché-Klippe im Meer aus Zellophanfolie liegt und dessen "Hörz so schwör, so schwör" ist.

Wenn mich mal der Weltschmerz überkommt, helfen Youtube-Clips mit seinen Gesangseinlagen enorm. Ich freute mich aber besonders, als mir Seeelefant eines Tages an ganz unerwarteter Stelle begegnete und in veränderter Gestalt. Ich entdeckte ihn während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010, auf dem Platz stand das Team aus Spanien. Auf der Trainerbank saß Seeelefant. Oder vielmehr sein Mensch-gewordenes Ebenbild. Für die deutsche Mannschaft ging das Turnier bekanntermaßen nicht so erfolgreich zu Ende. Das Ausscheiden gegen den späteren Weltmeister war bitter, doch Dank des spanischen Seeelefanten-Trainers in Menschengestalt war öch nöcht möhr ganz so traurög.

Jim Knopf von Alexandra Mölleken

Meine Kindheit wäre ohne die "Augsburger Puppenkiste" einfach unvorstellbar gewesen. Was hätte ich ohne die Geschichten von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivfahrer bloß gemacht? Wenn ich mich so recht erinnere, war die kleine Marionette Jim wohl meine erste große (Kindheits)liebe.

Wenn ich eine Pause vom Spielen brauchte, durfte ich mich selten mal vor den alten Röhrenfernseher in unserem Wohnzimmer setzen, um eine Folge der "Augsburger Puppenkiste" zu schauen. Dabei war die Auswahl nur sehr begrenzt, denn ich hatte nur die Wahl zwischen drei Videokassetten: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" Teil eins, zwei oder drei.

Dann tauchte ich ein in die kleine Lummerland-Welt, summte die Melodien mit und genoss die großen und kleinen Abenteuer, auf die sich Jim Knopf mit seiner Lokomotive Emma begab. So sehr mein Herz auch für Jim schlug, so schnell wechselte der Herzschlag vor Glück und Freude in einen Herzschlag begründet durch Furcht und Aufregung: Denn dann kam Frau Mahlzahn zum Einsatz, der böse Drache mit dem einzelnen großen Zahn, der mich immer aufs Neue in Angst und Schrecken versetzte.

Die große Erleichterung machte sich im Endeffekt doch dann wieder breit, als Jim Knopf und seine Freunde den bösen Drachen besiegen konnten und sich Frau Mahlzahn zum goldenen Drachen der Weisheit verwandelte.

Vielleicht sind auch genau Jim Knopf und seine Lokomotive Emma daran Schuld, dass es mich zum Wohnen immer wieder an die Eisenbahnschienen verschlägt...

Der kleine König Kalle Wirsch und die Fledermaus Turtulla von Sylvia Binner

Natürlich liebe ich auch Jim Knopf und seinen Scheinriesen Herrn Tur Tur, das Urmel, Professor Tibatong und Frau Wutz, aber meine liebsten Helden aus der Augsburger Puppenkiste sind und bleiben der Kleine König Kalle Wirsch und die Fledermaus Turtulla. Der König der Erdmännchen herrscht nicht nur über die fünf Völker der Wirsche, Wolde, Gilche, Trumpe und Murke, sondern er kann auch seine Menschen-Freunde Jenny und Max mit Hilfe der Wurzel Raxel schrumpfen und in die Unterwelt entführen.

Mit ihnen und der ein wundervolles Schwiizerdütsch sprechenden Fledermaus kämpft er gegen seinen Widersacher Zoppo Trump und dessen Mit-Verschwörer Querro, Quarro, die Ratte und die Spinne. Die singen oft ihr garstiges Lied: Wir bauen eine Falle, das wird das Beste sein, denn dieser kleine Kalle, fällt ganz bestimmt hinein. Aber weit gefehlt. Im finalen Kampf siegt das Gute! Und seitdem suche ich nach der Zauberwurzel, um mich im Bedarfsfall auch ganz einfach mal klein zu raxeln.

Schlupp vom grünen Stern - Philipp Königs

Zu den vergessenen Werken der Augsburger Puppenkiste gehört Schlupp vom grünen Stern. Schlupp lebt auf dem Planeten Balda sieben Strich drei und das macht die Sache nicht besser.

Dort wird er ausgebeutet, wie das Robotern häufig widerfährt. Weil eine Seele in ihm schlummert, soll er auf den Müllplaneten geschossen werden, verfehlt diesen aber knapp und landet auf der Erde.

Wir denken an Kinokassenfeger wie E.T., Wall-E - Der Letzte räumt die Erde auf, aber auch an Brecht'sche Gedichte über große Ungerechtigkeiten in der Arbeiterwelt. Geschrieben hat die Vorlage übrigens Pumuckl-Kinderbuchautorin Ellis Kaut in den 70ern. Das Fantastische an diesen Puppenkisten-Stücken ist eigentlich, dass sie einem rückblickend so wahrhaftig vorkommen. Schlupp, der Roboter mit den langen Armen, singt und tanzt in der Erinnerung wie Fred Astaire zu seinen besten Zeiten. Der gehackte Gang, die Fäden: Interessiert kein Kind. Die Frage, ob Herr Ritschwumm (Was für ein Name!), der Schlupp auf der Erde vernichten soll, einer von den Guten ist, beherrscht die Szenerie.

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