William Shakespeare Der Dramatiker ist in der Welt gegenwärtig

BONN · William Shakespeare ist auf allen Bühnen der Welt gegenwärtig, das Kino liebt seine Stoffe, und die akademische Welt studiert seine Werke.

Bescheidenheit sieht anders aus. "Kein goldnes Monument, kein Marmorstein / Wird überleben dieses mächt'ge Lied", heißt es in einem Sonett William Shakespeares. Statuen, Tempel und Säulen mögen vergehen und zerfallen - diese, seine Poesie bleibe bis ans Ende der Zeit. Ein anmaßender, wenn nicht größenwahnsinniger Satz. Nur, Shakespeare hat nicht übertrieben.

Wie keinem anderen Autor ist es ihm gelungen, die uralte Idee von der Unvergänglichkeit der Kunst zu beglaubigen. Dafür steht er mit seiner Person. William Shakespeare, der (wahrscheinlich) am 23. April 1564 geboren wurde, kommt den Menschen auch heute noch ganz nah. Er ist auf den Bühnen in der ganzen Welt präsent, das Kino liebt seine Stoffe, die akademische Welt studiert seine Werke.

Über das Leben des Mannes aus Straford-upon-Avon wissen wir wenig. Darüber können zahllose Shakespeare-Biografien nicht hinwegtäuschen. Er wird für seine Literatur geliebt. Mit der wird man nie ganz fertig, Shakespeare ist etwas für das ganze Leben. Er hat zu Lebzeiten die Gebildeten erreicht und die "groundlings", die Leute auf den billigen Plätzen, die nur unterhalten werden wollten: das RTL-Publikum des 16. und 17. Jahrhunderts. Shakespeare hat den ganzen Menschen im Blick gehabt: mit seinen unendlichen Möglichkeiten, im Guten wie im Bösen.

Handwerkskunst, Sprachmacht und Ideenreichtum des Autors sind unübertroffen; er wusste, wie er das Publikum verführen, in seinen Bann ziehen konnte: ein genialer Überwältigungsästhetiker. Er kannte keine Tabus, weder thematisch noch sprachlich. Wenn nötig, scheute er auch obszöne Vokabeln und versaute Sprachbilder nicht. Manche Anzüglichkeit kann empfindliche Gemüter heute noch schockieren; der Klassiker bleibt eine Herausforderung. Die persönlichen Erfahrungen, Beobachtungen und Einsichten, die auf dieser Seite versammelt sind, sollen sich zu einem exemplarischen Bild addieren: ein Versuch, sich Leben, Werk und Wirkung des großen WS zu nähern.

Stratford-upon-Avon

Der Autor William Shakespeare, der das Leben in seinem Stück "Wie es euch gefällt" in sieben Akte einteilte, vom Kind bis zum Greis, starb am 23. April 1616 in Stratford-upon-Avon in der englischen Grafschaft Warwickshire. Da war er 52, den siebten Akt ("zweite Kindheit, gänzliches Vergessen / Ohn Augen, ohne Zahn, Geschmack und alles") hatte er nicht mehr erlebt. Für die Nachwelt ist er weitgehend ein Mysterium geblieben.

Shakespeare sei so etwas wie das "literarische Äquivalent eines Elektrons - stets da und nicht da", hat der amerikanische Autor Bill Bryson festgestellt. Geeinigt hat sich die Welt auf den 23. April 1564 als Geburtstag, klar belegt ist das aber nicht. In Stratford kann man unter anderem in Shakespeare's Birthplace darauf hoffen, dass sich der Geist des Dichters offenbare. Oder man fährt nach Shottery, dort steht Anne Hathaway's Cottage, wo William um die Hand der sechs Jahre älteren Anne anhielt.

Doch hier wie dort, der Geist ist nicht zu fassen. Stattdessen empfiehlt sich der Besuch im 2010 neu eröffneten Haus der Royal Shakespeare Company, einem der schönsten Theaterbauten der Welt. Dort begegnet man der Kunst, der unvergänglichen. Und dem Künstler, dem unsterblichen - wenn auch nicht im wörtlichen Sinne. Im Altarraum der Holy Trinity Church in Stratford ruht Shakespeares Leichnam. Die Inschrift des Grabes ist unmissverständlich: "Störe du / Nicht diesen Staub in seiner Ruh."

Der 400. Geburtstag

Als William Shakespeare 400 wurde, erklärte das Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft 1964 zu einem Jubeljahr, "das jegliche Experimente ausschließen muss". Ein frommer Wunsch. Ausgerechnet 1964 nämlich löste Peter Zadek mit seiner "Held Henry"-Inszenierung eine Welle von Shakespeare-Bearbeitungen aus, die dazu geeignet waren, die philologischen Gralshüter des großen Dramatikers um den Verstand zu bringen.

Stücke von überzeitlicher Bedeutung, beharrten sie, ließen sich nicht aktualisieren, ohne an Gehalt zu verlieren. Sie wurden nicht erhört. Shakespeare im modernen Gewand hieß von nun an: Theater als Schlachtfeld, Tribunal und Zirkus. Nach der Ansicht von Zadeks Bochumer "Hamlet" 1977 forderte ein Kritiker die Todesstrafe für Bearbeiter. Auch er wurde nicht erhört.

Der Duisburger Anglist Wilhelm Hortmann hat 1987 in einem Vortrag dargelegt, welche Absicht sich hinter den Bühnenprovokationen der sechziger und siebziger Jahre verbarg. Es war eine Auflehnung gegen die Tradition. Dem Ritual des bürgerlichen Theaterbesuchs wie in den fünfziger Jahren setzten die Regisseure eine Ästhetik entgegen, die geprägt war von Widersprüchen und Verfremdungen, Affronts und Experimenten.

Das wirkt auch heute noch auf den Bühnen des Landes nach, Zadek & Co. haben ganze Arbeit geleistet. Mag man sich manchmal ärgern: Dennoch gehört Shakespeare zuallererst auf die Bühne, wie Dieter Mehl, Bonner Anglist und ehemaliger Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, nicht müde wird hervorzuheben.

Immer nur das Beste

Kenneth Branagh, seit neuestem Ehrenpräsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, hat einmal geklagt: "I have often been bored shitless by bad productions." Vornehm übersetzt: Branagh hat sich angesichts lebloser, musealer Shakespeare-Inszenierungen oft zu Tode gelangweilt. Branaghs Kollege Ian McKellen gab zu: "Ich habe viel Shakespeare gespielt, ich habe viel Shakespeare gesehen. Und mich hat Shakespeare oft sehr gelangweilt."

Die Herren haben recht. Es klappt nicht mit Shakespeare, wenn eine einfache Sache fehlt: immer nur das Beste. Ohne die besten Regisseure und Schauspieler ist alles nichts im Shakespeare-Universum - obwohl die Größe seines Schreibens auch mittelmäßigen Regiezugriffen standhält. So robust ist die Arbeit des Barden, die auf diese Weise die Jahrhunderte überdauert.

Glück im Theater

Es war warm an diesem Abend 1980 im Royal Court in London, das Theater war bis auf den letzten Platz besetzt. Jonathan Pryce spielte den Hamlet, und zwar auf eine so intensive Weise, dass es uns im Parkett förmlich umhaute. Der Dänenprinz begegnete nicht etwa dem Geist seines Vaters, er war vom Vater besessen wie von einem Dämon, der sich in seinem Unterbewusstsein eingenistet hatte.

Pryces Hamlet war ein psychisch zerrissener Mann, ein Opfer der Verhältnisse und gleichzeitig ein potenzieller Killer, rasiermesserscharf. Das Theater verließ ich am späten Abend wie betäubt und erreichte gerade noch die letzte U-Bahn. (Der schönste Hamlet war Jude Law 2009 in London, aber das ist eine andere Geschichte.)

Die nächste Sensation dieser Art ließ zwölf Jahre auf sich warten. 1992 tagte die westdeutsche Shakespeare-Gesellschaft in Wien. Abends, nach einem langen Tag mit wissenschaftlichen, ihre Themen und Zuhörer erschöpfenden Vorträgen stand ein Theaterbesuch auf dem Programm: "Macbeth", inszeniert von Claus Peymann, Gert Voss und Kirsten Dene in den Hauptrollen.

Es war warm im Burgtheater und eng: schwer, die Augen offen zu halten. Und dann fegten Voss und Dene die Müdigkeit hinweg. Peymanns beinahe asketische, auf die Sprache Shakespeares und die großen Schauspieler konzentrierte Inszenierung war ein fabelhafter Theater-Thriller.

Vier Jahre später verkörperte Fiona Shaw in Deborah Warners Aufführung von "Richard II." bei den Salzburger Festspielen den König: Eine Frau spielte einen Mann, der einen König spielte und erst im Untergang menschliche Statur, ja: tragische Größe bewies. Der Tod beendete sein Rollenspiel. Auch diese Inszenierung, eine Produktion des Londoner National Theatre, bleibt für mich unvergesslich. In Momenten wie diesen bedeutet Theater reine Magie.

Unglück im Theater

Dieses Kapitel könnte endlos sein. Belassen wir es bei zwei einschneidenden Erfahrungen. 1994 ließ Peter Stein im schwül-heißen Salzburg Shakespeares "Antonius und Cleopatra" in der Felsenreitschule spielen, rund viereinhalb Stunden lang, von drei Uhr nachmittags bis halb acht abends. Das Stück erwies sich in Steins Händen als guter Nährboden für die Bakterien der Langeweile. Hans-Michael Rehberg und Edith Clever spielten nur wenige Prozent des Potenzials ihrer Figuren aus.

In Erinnerung bleiben bis heute die Worte des Antonius: "Kommt, ertränken wir die Sorgen." Schlimmer geht's nicht? Doch. Bochum 1995, Frank-Patrick Steckel führte den "Hamlet" auf, ungekürzt, sieben Stunden lang, drei Pausen und ein Imbiss (vegetarische Pizza) inklusive.

Die Bühne war in der Farbe von Steckels Bochumer Intendanz gehalten: Grau. Die Schauspieler nuschelten und piepsten sich durch die Texte, die Zeilen erhoben sich nicht in den Zuschauerraum und schon gar nicht in die Bezirke der Poesie. Was tun? Nach vier Stunden und drei Akten bin ich geflohen, das Gefühl von Freiheit war überwältigend.

Glück im Kino

Shakespeares Schurken sind eine Klasse für sich: Richard III., Jago, Macbeth und seine Lady. Das Böse ist nun einmal attraktiver als die einschläfernde Perfektion des Guten. Ian McKellen hat 1996 in Richard Loncraines Film "Richard III." die Titelrolle gespielt: Er war ein charismatisches Monster, ein verführerischer Narizisst und ein geistreicher Dandy. Dieser Richard macht das Publikum zu seinem Komplizen, und wir alle lassen uns gern einwickeln: faszinierend und erschreckend zugleich. 1991 hatte Kenneth Branagh "Henry V" ins Kino gebracht: glanzvoll, wie ich finde.

Der junge englische König (dargestellt von Branagh) sieht anfangs aus wie ein pausbackiger Bonvivant, doch schnell zeigt er rücksichtsloses Kalkül, Brutalität und maßlose Machtgier. Er zieht in die Schlacht gegen die Franzosen, Branagh illustriert das Gemetzel, aber auch den Mythos des Krieges.

"Wir wollen nicht in des Gesellschaft sterben, der die Gemeinschaft scheut mit unserm Tode" - auch das ist Shakespeare. Die Nazis machten sich diese Akzente im Werk des Autors zunutze, die Deutschen vereinnahmten den Engländer und dessen, so sahen sie es, "herrenmenschliche nordische Schöpferkraft".

"Romeo und Julia"

Niemals, wer wüsste es nicht, "gab es ein so herbes Los / Wie Juliens und ihres Romeos". Mag sein, aber es gab auch eine Zeit, da erschien das Werk so abgenudelt wie Ravels "Bolero" oder Piafs "Non, je ne regrette rien". Auftritt Baz Luhrmann, anno 1997. Der australische Filmemacher empfand Shakespeare als unglaublichen Entertainer und wilden Geschichtenerzähler: "Er hätte ,Pulp Fiction' schreiben können."

Luhrmann erzählte die Geschichte von Romeo und Julia mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes ganz neu. Kitsch und Kunst, Trivialität und Tragik gingen in seinem Film "Romeo + Julia" eine zeitgemäße Verbindung ein. Die Musik war großartig, und, wichtiger noch, Luhrmann und seine Schauspieler brachten Sprache und Empfindung, Poesie und Person zur Deckung.

Die Poesie

Shakespeares Sprache ist anspruchsvoll, komplex, häufig schwer verständlich. Nicholas Hytner, Direktor des National Theatre, hat gestanden, er habe oft nicht die blasseste Ahnung, wovon in den Stücken Shakespeares die Rede sei. Das mit der Komplexität gilt nicht weniger für die Sonette, die viele Interpreten als Bruchstücke einer Konfession, als Autobiografie in Gedichtform gelesen haben.

1997, dem Jahr, in dem die englische Prinzessin Diana starb, machte das ohnehin schon berühmte 18. Sonett erneut Furore: "Shall I compare thee to a summer's day? / "Vergleich ich dich mit einem Sommertag?". Der englische Sänger Bryan Ferry nahm es zusammen mit Michael Kamen und dem London Metropolitan Orchestra als Hommage an Diana auf, das vertonte 18. Sonett erschien auf der CD "Diana: Tribute".

Es gewann hier eine Klarheit und Dringlichkeit, als sei es für die verunglückte Prinzessin geschrieben worden. Der Frankfurter Musikkritiker Wolfgang Sandner schrieb ergriffen: "Entrückter Kirchengesang über einem Orgelpunkt der Streicher, rockmusikalisch gebrochene Klavierakkorde zur Begleitung eines abgeklärten Dean-Martin-Tonfalls, der sich seines Tremolos nicht schämt, eingebettet in eine poetisch-kühle Form des siebzehnten Jahrhunderts: das Klangbild unserer Tage."

Das Sonett endet mit den Worten: "Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn, / Solang dies steht, so lang wirst du bestehn."

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