Tödliche Schüsse in Berlin-Mitte Düsseldorfer Anwältin will Fischerinsel-Mordfall neu aufrollen

Berlin/Düsseldorf · Der spektakuläre Fischerinsel-Mord aus dem Jahr 2008 könnte zwölf Jahre später ein Nachspiel haben: Eine Düsseldorfer Anwältin will beweisen, dass die Männer, die als Anstifter eines Auftragsmordes an einem Manager aus NRW verurteilt wurden, zu Unrecht hinter Gittern sitzen.

Tatort Fischerinsel in Berlin: Der Täter hatte dreimal mit einer Pistole auf Friedhelm S. gefeuert. Eine Kugel traf den Kopf.

Foto: Thomas Schroeder

Ein windiger Immobilienmanager aus NRW, der mitten in Berlin mit drei Schüssen förmlich hingerichtet wird. Ein Ex-Fremdenlegionär als Täter, zwei Handwerker als Auftraggeber, ein Bordellbetreiber als Belastungszeuge der Anklage: Den Fischerinselmord in Berlin-Mitte am 3. November 2008 hätte sich ein Krimi-Autor kaum spektakulärer ausdenken können. Jetzt muss der Fall womöglich neu aufgerollt werden. Eine Rechtsanwältin aus Düsseldorf hat einen Wiederaufnahmeantrag beim Berliner Landgericht eingereicht und will beweisen, dass die beiden Handwerker und der frühere Elitesoldat zu Unrecht in Haft sitzen.

Anwältin Viktoria Reeb vertritt den 41-jährigen Benjamin L., der vor zwölf Jahren mit seiner Berliner Baufirma im Auftrag eines Immobilieninvestors Wohnungen in der Hauptstadt renovierte. Das spätere Mordopfer Friedhelm S. (59), ebenfalls für den Investor aktiv, machte diesen auf Unregelmäßigkeiten in den Rechnungen aufmerksam. Der Investor stoppte die Zahlungen; L. musste um den lukrativen Großauftrag fürchten. Gemeinsam mit seinem Angestellten Torsten L. (58) suchte er deshalb nach jemandem, der Friedhelm S. aus dem Verkehr ziehen könnte. Torsten L. sagte später aus, es sei nur darum gegangen, den Immobilienmanager für 10.000 Euro plus Spesen zu verprügeln und einige Monate lang geschäftsuntüchtig zu machen. Doch der Auftrag endete tödlich.

Kopfschuss aus der Beretta mitten in Berlin

Der Mann, der ihn übernommen hatte, war Adam M. (52) – ein Bekannter von Torsten L., der in der französischen Fremdenlegion gedient hatte. Er heuerte über einen Bordellbetreiber einen Fahrer an, verfolgte und beobachtete Friedhelm S., der abends regelmäßig mit seinem Hund auf der Fischerinsel spazieren ging. So steht es im Urteil der 40. großen Strafkammer aus dem Jahr 2010. Nach Überzeugung der Richter versuchte Adam M. zunächst, sein Opfer mit einer Armbrust zu töten. Doch der Schuss ging wohl daneben. Am Abend des 3. November 2008 aber soll er sich dem ahnungslosen 59-Jährigen auf der Fischerinsel von hinten genähert und mit einer Beretta Kaliber 9 dreimal auf ihn gefeuert haben. Eine Kugel traf den Kopf des Opfers.

Der Ex-Fremdenlegionär floh danach bis nach Indien, wurde aber später gefasst. Während seiner Flucht prahlte er mit seiner Bluttat, wie unter anderen zwei deutsche Zeugen aussagten, die er in Indien getroffen hatte. Die Richter hegten keinerlei Zweifel, wer die Schuldigen am Mordkomplott waren: Sie verurteilten die beiden Handwerker als Anstifter zu lebenslanger Haft. In einem späteren Prozess erging auch gegen Adam M. der Schuldspruch.

Doch nun will der frühere Bauunternehmer Benjamin L. belegen, dass der Ex-Fremdenlegionär den Mord gar nicht begangen habe – und er damit auch nicht wegen Anstiftung bestraft werden könne. Er hat dafür eine CD aus den Ermittlungsakten ausgewertet, die Handy-Verbindungsdaten von 2008 enthält, wie aus dem Wiederaufnahmeantrag hervorgeht. Das Landeskriminalamt hatte die Daten für diverse Beteiligte und Verdächtige des Falls angefordert, aber nur teilweise analysiert.

Handy-Verbindungsdaten sollen neu ausgewertet werden

Der Häftling, schreibt Anwältin Viktoria Reeb, habe sie in jahrelanger Kleinarbeit in Exceltabellen übertragen und damit maschinenlesbar gemacht. Deshalb sei es nun möglich, einzelne Telefonnummern konkreten Personen, Uhrzeiten und Aufenthaltsorten zuzuordnen. Damit könnten Aussagen widerlegt werden, die im Urteil gegen die Handwerker als Beweise gewertet wurden, so die Juristin – etwa zum Armbrustangriff oder zu einer Schießübung mit der Pistole in einem Wald. Auf Anfrage erklärte Reeb lediglich: „Es liegen neue objektive Beweismittel vor, die die Beweisführung des erkennenden Gerichts grundlegend erschüttern.“

Was die Daten nicht hergeben: Dass Adam M. zur Tatzeit an einem anderen Ort als der Fischerinsel gewesen wäre. Der Mord geschah gegen 19.23 Uhr; M. telefonierte etwa 20 Uhr in seiner Wohnung an der Schmargendorfer Straße – die allerdings acht Kilometer vom Tatort entfernt liegt. Schmauchspuren von der Pistole fanden Kripo-Spürhunde in der Wohnung nicht.

Glaubt man dem Handwerker, soll jemand anderes den Mord begangen haben. Das Opfer Friedhelm S. galt als cholerisch, hatte etliche Liebschaften – und eine kriminelle Vergangenheit, wie aus den Akten hervorgeht. So ermittelte das Polizeipräsidium Bochum noch 2008 wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen den in Witten geborenen Ex-Anwalt. Die Kripo in NRW hatte S. wegen Steuerhinterziehung, Untreue, Körperverletzungen, Förderung der Prostitution und Beihilfe zum illegalen Aufenthalt im Visier. Nach Aussage eines früheren Arbeitgebers soll S. als Investor an Bordellen in Senden, Kamp-Lintfort und Hilden beteiligt gewesen sein. Rechtskräftig verurteilt wurde er in anderen Zusammenhängen wegen Untreue und Steuerhinterziehung.

Welche Rolle spielte der V-Mann des LKA Berlin?

Wird der Prozess wiederaufgenommen, werden sich die Richter wohl auch mit den offenen Fragen dieses Falls befassen. Welche Rolle spielte der V-Mann des Landeskriminalamtes Berlin, der in den Akten auftaucht? Und: Was ist mit der frischen Blutspur, die wenige Stunden nach dem Mord am Tatort entdeckt wurde, aber nicht zugeordnet werden konnte? Die beiden Zeugen aus Indien, die den Ex-Legionär M. belastet hatten, können allerdings nicht mehr aussagen – einer starb bei einem Verkehrsunfall, der andere an einer Überdosis. Auch der Berliner Ganove, der dem Schützen die Tatwaffe verkauft haben soll, lebt nicht mehr: Er wurde erschossen, als er Widerstand gegen seine Festnahme leistete.