Jubel in Rom Die Kirche feiert hier ein Fest

ROM · In Rom bricht Jubel aus, als weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle aufsteigt. Franziskus tritt als milder Mann in Weiß auf.

Stille. Ungläubige Stille. Ein paar Begeisterungsrufe im Hintergrund. Aber der Name fällt in Rom in ein Loch. "Cardinalem Bergoglio", diese Worte hat der französische Protodiakon Jean-Louise Tauran soeben der angespannten Masse auf dem Petersplatz verkündet und dabei nicht verstecken können, dass dieser große Moment vielleicht ein bisschen zu groß ist für ihn. Taurans Stimme überschlägt sich, als er in das Mikrofon spricht. "Anunzio vobis gaudeum magnum", sagt der kleine Mann mit französischem Akzent, ich kündige Euch eine große Freude an. Aber diese Freude teilen die aufgedrehten Menschen auf dem Platz nur bedingt.

Jorge Mario Bergoglio ist Franziskus. Der Name fällt in die Stille, aufgefangen wird er vom leisen Jubelsturm einer Minderheit. Es jubeln diejenigen, die sowieso gejubelt hätten. Oder diejenigen, die ihn vielleicht kennen, Südamerikaner sind die meisten von ihnen. Denn mit dem 76 Jahre alten Argentinier hat kaum jemand gerechnet, obwohl er beim Konklave 2005 schon viele Stimmen bekommen haben soll und nach Joseph Ratzinger der Kandidat mit den meisten Stimmen war. Aber hatten diesmal nicht alle mit Scola, dem Italiener, mit Scherer, dem deutschstämmigen Brasilianer, gerechnet oder mit einem Überraschungskandidaten aus den USA?

Aber Bergoglio, den Jesuiten, den Erzbischof von Buenos Aires, hatte niemand auf der Rechnung. "Chi é?" fragen die Menschen ungläubig, wer ist das? "Ein Rätsel", wäre die unmittelbarste Antwort aus römisch-europäischer Sicht. Aber die Menschheit, die den Argentinier nicht einordnen kann, wird ihn bald kennen lernen.

Die Menge auf dem Platz jedenfalls muss sich erst einmal von diesem Schock erholen. Zeit dazu ist, nachdem der Protodiakon seine Ankündigung von der Loggia gemacht hat. Wieder wird es still, die Kapelle der vatikanischen Gendarmerie beginnt ab und zu einen Marsch und bläst ihn dann wieder ab. Auch die italienische Nationalhymne erklingt und verstummt. "Francesco, Francesco, Francesco", rufen die Menschen in Sprechchören. Dann tritt der Mann in Weiß auf die Loggia. Milde, das ist der erste Eindruck, den man von den Bildern auf den Leinwänden bekommt. Oder müde. Ein Tusch der Gendarmeriekapelle verdrängt die ersten Interpretationen. Franziskus I. steht da, harrt aus. Er wirkt überwältigt, nachdenklich. Vielleicht ist es ja auch für ihn eine Überraschung. Der Regen hat seit einer Stunde aufgehört, wer will, kann das als Zeichen des Respekts interpretieren.

Dann spricht Franziskus. Auf Italienisch die ersten Worte an die Menschen. "Brüder und Schwestern, guten Abend!" Es ist ein guter Anfang. "Es wirkt so, als hätten die Kardinäle den Bischof von Rom vom Ende der Welt geholt." Bergoglio macht eine Pause. "Aber wir sind hier." Der Mann weiß also, dass er eine Überraschung ist.

Rechts auf der Loggia ist das Strahlen des Camerlengo Tarcisio Bertone zu sehen, daneben zeigt auch Giovanni Battista Re eine zufriedene Miene. Waren sie die Regisseure hinter der Wahl? Bertone war der umstrittenste und mächtigste Mann der Kurie. Vielleicht bleiben Teile seiner Macht nun erhalten. Franziskus ruft die Menge auf, mit ihm das Vaterunser zu beten. Dann folgt noch ein Ave Maria. Der neue Papst ruft zu einem Weg "der Brüderlichkeit, der Liebe und des Vertrauens" auf. Alle Spaltungen, alle Differenzen, alle Skandale sollen in diesem Moment vergessen sein. Das Leben der Kirche, das für einige Tage still gestanden ist, geht weiter.

Die Reaktionen auf die Worte des Papstes sind verhalten. Er werde gleich den Segen Urbi et Orbi aussprechen, aber vorher wolle er die Menschen noch um einen Gefallen bitten, sagt Franziskus. Die Gläubigen sollen nun für ihn beten. Um 20.28 Uhr ist es auf dem Petersplatz so still, wie es vielleicht noch nie war. Nicht einmal die in Rom nie zu überhörenden Sirenen der Krankenwagen sind zu hören. Viele Menschen falten die Hände und beten.

Als der weiße Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle stieg, war es laut. Mehr als eine Stunde lang ist dieser Moment bereits vergangen. Aber er gehört ebenso dazu. Als der weiße Rauch aufsteigt, beginnt die Masse zu schreien. Vor allem hohe Frauenstimmen sind zu hören. Gleichzeitig setzt ein Schub von hinten ein. Die Menge drängt nach vorne. Keiner interessiert sich mehr für den kleinen Kamin oder die großen Bildschirmleinwände, über die den ganzen Nachmittag das Bild des Schornsteins übertragen wurde. Einige geraten in Ekstase. Eine Mutter umarmt ihren kleinen Sohn und dreht sich mit ihm im Kreis. Das bange Warten hat ein Ende. "Siiiiii", ruft eine Frau und ballt die Fäuste. Eine Gruppe von Jugendlichen springt im Kreis herum und reckt die Hände in den Himmel. Jetzt ist der Papst gewählt. Nur wer der neue Pontifex ist, das weiß in diesem Moment noch keiner. Franziskus existiert in diesen Augenblicken nur für die Kardinäle.

Was im Inneren der Sixtinischen Kapelle vorgegangen ist, muss man sich so vorstellen: Kardinal Bergoglio, der die 2/3-Mehrheit erreicht hat, wird vom ranghöchsten Kardinal, in diesem Fall ist das Giovanni Battista Re , gefragt, ob er die Wahl annehme. Er sagt ja und gibt den Namen bekannt, den er sich ausgesucht hat: Franziskus. Anschließend hat er sich in das Zimmer der Tränen gleich hinter dem Altar der Sixtinischen Kapelle begeben, eine der drei weißen Soutanen angezogen und sich das weiße Pileolus auf den Kopf gesetzt. Dann tritt jeder der anderen 114 Kardinäle vor den neuen Papst und leistet ihm den Treueeid.

Die Kirche feiert hier ein Fest, dessen Ausgang die meisten noch nicht kennen. Es ist ein Fest, das aus bangem und ziemlich stillem Warten plötzlich explodiert ist. Nicht nur die Gläubigen sind vor dem Petersdom versammelt. Aus allen Richtungen der Stadt strömen die Menschen in einem fröhlich-aufgeregten Wettlauf Richtung Vatikan. "Viva!", schallt es vom Platz. Hier kommen Priester und Ordensschwestern zusammen, alte und junge Menschen. Gläubige und Nicht-Gläubige. Die Wahl des Papstes ist ein Event und sie zeigt, was für ein Talent die katholische Kirche zu Inszenierungen hat. Überall blickt man in strahlende Gesichter. Am Ende sagt Franziskus, er wolle am Abend noch zur Jungfrau Maria beten. "Buona notte", sagt er dann in seinem mit einem sympathischen spanischen Akzent gefärbten Italienisch. "E buon riposo!" Gute Nacht und gute Erholung wünscht Franziskus. So ähnlich hatte sich auch Benedikt XVI. vor zwei Wochen verabschiedet. Die Kirche und alle, die dieses Spektakel mitverfolgt haben, müssen sich jetzt wirklich erst einmal erholen. Zumindest eine Nacht lang.

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